Sprache im Krieg:"Gefährlich, wenn man eine politische Lösung möchte"

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Putin als Vergewaltiger und die deutsche Unterstützung an die Ukraine als Hilfe in der Vergewaltigungsnot: Wirtschaftsminister Robert Habeck im Bundestag. (Foto: Frederic Kern/imago images/Future Image)

Die Linguistin Kristin Kuck über Sprache im Krieg, Propaganda und moralische Bewertungen.

Interview von Lars Langenau

Krieg verändert alles, auch die Sprache. Superlative werden gebräuchlich, moralische Metaphern verwendet, Differenzierungen obsolet. Sprache wird außerdem militarisiert - und so wenden viele Ukrainer den "Großen Vaterländischen Krieg" der Sowjetunion jetzt gegen die Russen. Ein Gespräch mit der Magdeburger Linguistin Kristin Kuck über vermeintlich längst überwundene Gut- und Böse-Schemata.

SZ: Wie verändert sich in Zeiten höchster Bedrohung die Sprache der Kriegsparteien?

Kristin Kuck: Wir vernehmen gerade in besonderem Maße eine Sprache, die mit Superlativen und klaren Schwarz-Weiß-Unterscheidungen arbeitet. Und ich würde diesen Sprachgebrauch tatsächlich als Besonderheit in Kriegssituationen einstufen.

Zum Beispiel?

Einige Formulierungen - vor allem im Bundestag - lassen mich schon aufhorchen. Da nehme ich einiges wahr, was für die Rechtfertigungen von Kriegseinsätzen typisch ist. Zum Beispiel, wenn die eigenen Werte wie Freiheit und Demokratie gepriesen werden und gleichzeitig der Gegner als das personifizierte Böse dargestellt wird. So hat Habeck am Sonntag zum Beispiel den Überfall auf die Ukraine als Vergewaltigung bezeichnet, Putin zum Vergewaltiger erklärt und die deutsche Unterstützung an die Ukraine als Hilfe in der Vergewaltigungsnot. Dadurch hat er sehr drastische moralische Gut-/Böse-Bewertungen vorgenommen. Wer möchte schon mit einem Vergewaltiger verhandeln und Frieden schließen? Politische Lösungen sind so kaum möglich. Für die wichtigen Sanktionen und Verurteilungen gegen Putin hätte es keine solche Metapher gebraucht.

Wo liegt die Grenze zur Propaganda?

Alles Sprechen, besonders in der Politik, beinhaltet eine Perspektive auf das, worüber man spricht. Propaganda bedeutet, dass man absichtlich desinformiert und manipuliert, um die eigene Sichtweise als die einzig richtige darzustellen. Zum Beispiel, indem man lügt, Tatsachen verdreht, Dinge verschweigt oder zusammenbringt, die nicht zusammengehören. Alles mit dem Ziel, Menschen zu etwas zu bringen, was sie normalerweise nicht tun oder nicht akzeptieren würden. Das sehe ich in der hiesigen Berichterstattung etablierter Medien oder in der politischen Sprache zum Krieg in der Ukraine aktuell nicht. Aber wir betreiben, wie gesagt, eine so starke moralische Abwertung von Putin, dass man ihn sich als Verhandlungspartner kaum noch vorstellen kann. Das halte ich für gefährlich, wenn man eine politische Lösung möchte.

Die Linguistin Kristin Kuck ist Co-Leiterin der Arbeitsstelle für linguistische Gesellschaftsforschung und lehrt an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. (Foto: Jana Dünnhaupt)

Fällt die Art und Weise, wie Medien und Experten Putin gerade einordnen, unter den Begriff "Framing"?

"Framing", so wie es in den Medien zurzeit benutzt wird, ist mit dem wissenschaftlichen Framing-Begriff nicht vereinbar. Meist wird das Wort in der Öffentlichkeit als Vorwurf benutzt, wenn jemand eine andere politische Position vertritt als man selbst. Ich würde diesen Begriff gerne vermeiden, weil er so missverständlich ist. Aber wir finden dennoch etwas, das man semantischen Kampf nennen kann. Dort, wo es darum geht, die 'richtige' Bezeichnung zu finden. Ich meine die Wörter "Aufrüstung" und "Ausrüstung". Wenn es um den viel zitierten "Paradigmenwechsel" bei den Rüstungsausgaben geht, hören wir in diesen Tagen häufig, dass die Bundeswehr aufrüste. Andere kritisieren diesen Sprachgebrauch und schlagen oft "Ausrüstung" als Alternative vor. Die Abneigung gegen die Bezeichnung "Aufrüstung" hat sicherlich damit zu tun, dass es so eng mit dem Wettrüsten des Kalten Kriegs verknüpft ist, mit Atomwaffen assoziiert ist und über Jahrzehnte hinweg in der Friedensbewegung stigmatisierend verwendet wurde. Ausrüstung hingegen klingt nach "ausreichend Waffen", nicht nach "mehr Waffen".

In der russischen Föderation wird es inzwischen zum Problem, von "Krieg" zu sprechen. Putin nennt es eine "Militäroperation".

Das ist ein typischer Euphemismus, das Bezeichnete wird beschönigt oder kleingeredet. Das Wort "Krieg" ist fest verknüpft mit negativen Begriffen wie "Leid", "Tod" und "Verlust". Es ruft Bilder der Zerstörung eines Weltkriegs hervor. Das Wort "Militäroperation" hingegen hebt das militärische Tun hervor und blendet etwa Schaden für die Zivilbevölkerung aus. Solche rhetorischen Mittel sind bei kriegführenden Parteien immer zu beobachten. Auch in Deutschland hat man ja lange Zeit nicht von einem Krieg in Afghanistan gesprochen, sondern von einer Friedensmission oder einem bewaffneten Konflikt. Natürlich möchte ich keinesfalls den Afghanistan-Einsatz mit dem Angriffskrieg Putins gleichsetzen, aber man kann daran zeigen, dass kriegführende Parteien immer daran interessiert sind, dass ihre Taten in der Bevölkerung akzeptiert werden. Unabhängig davon, ob sie gerechtfertigt sind oder nicht.

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Putin nutzt Begriffe wie "Blitzkrieg" und nennt Mitglieder der ukrainischen Regierung "Neonazis". Wie ist das zu erklären?

Von Blitzkrieg sprechen jetzt auch viele Putin-kritische Beobachter, wenn sie auf die offensichtliche Absicht Putins, die Ukraine in ein paar Tagen einzunehmen, Bezug nehmen wollen. Zumindest für historisch Bewanderte kann damit eine Assoziation zum deutschen Angriffskrieg auf Polen hergestellt werden. Deutlich platter ist der NS-Bezug bei Putins Behauptungen, die ukrainische Regierung wären "Nazis" und er wolle die Ukraine "entnazifizieren". Diese Lüge gehört zu dem Versuch, seinem Überfall vor allem gegenüber der eigenen und der ukrainischen Bevölkerung Legitimität zu verschaffen.

Der ukrainische Präsident Selenskij hat geantwortet: "Wie kann ich ein Nazi sein? Erklären Sie das mal meinem Großvater, der den ganzen Krieg in der Infanterie der sowjetischen Armee mitgekämpft hat und als Oberst in einer unabhängigen Ukraine gestorben ist." Indirekt erwähnte er auch, dass er Jude sei und Familienmitglieder im Holocaust ermordet wurden.

Das ist eine widerwärtige Täter-Opfer-Umkehr von Putin, und sie ist in den vergangenen Tagen sehr häufig kritisiert worden. Wer als "Nazi" bezeichnet wird, wird vor allem als Aggressor beschuldigt und moralisch vollkommen abgewertet. Das hat Putin mit Selenskij hier versucht. Wir kennen diese Nazivorwürfe gegen Politiker ja auch von Verschwörungstheoretikern und sogenannten Querdenkern, nur haben die weniger drastische Folgen. Aber die Selbstinszenierung als Opfer von Nazis ist die gleiche.

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