Konzert:Zur Moldau nach Wien

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Ganz in seinem Element: Kirill Petrenko inmitten der Musiker des Bayerischen Staatsorchesters im großen Saal des Wiener Konzerthauses. (Foto: Wilfried Hösl)

Kirill Petrenko und das Bayerische Staatsorchester gastieren in Österreich. Mit Smetana und viel Magie

Von Egbert Tholl, Wien

Vermutlich hat man das so noch nie gehört. Die Moldau entsteht nicht durch den Zusammenfluss zweier Bächlein, nein, viele kleine Rinnsale vereinigen sich, auch einzelne Tautropfen, Nebelteilchen, viele Quellen unterschiedlichster Art ergeben den Strom. Der wächst an in grandioser Klangentfaltung, er ist tief und schillert und glitzert, wogt und drängt. Hier klingt er wie ein dreidimensionales Wagner-Klangbild. Atemberaubend, auch weil man gerade in den superakzentuierten Streichern glaubt Details zu hören, von deren Existenz man bislang nichts wusste. Kirill Petrenko dirigiert Smetanas "Má vlast" ("Mein Vaterland"), das extrem gut gelaunte Bayerische Staatsorchester spielt, wir befinden uns im großen Saal des Wiener Konzerthauses, welcher rot und golden prunkt, ein bisschen mehr als 1800 Menschen fasst und natürlich voll ist.

Es gab einen ganz simplen Plan für diese kleine Reise. Aus der Bayerischen Staatsoper in München kam die Nachricht, dass, wenn man sich nach Wien begäbe, man dort die Probe mitverfolgen könne. Nun giert man, was Kirill Petrenko angeht, nach jeder kleinsten Information, einfach schon deshalb, weil es kaum welche gibt. Es ist ja ungeheuer schade, dass die Sphinx vom Max-Joseph-Platz so wenig von sich preisgeben will, denn wenn er, in irgendwelchen Gesprächsrunden, dann mal etwas erzählt, dann ist er lustig, geistreich, klug. Also auf zur Probe. Wenn man schon einmal eine mit Petrenko erlebt hat, dann weiß man, wie plastisch und detailgenau er erzählen kann, wie er sich die Musik vorstellt.

Achte Reihe könnte ein guter Platz sein, man will ja dem Orchester und Petrenko nicht zu nah auf die Pelle rücken, aber halt auch verstehen, was er sagen wird. Ein guter Plan, doch dann kommt Michael Lewin. Der Mann ist Petrenkos Agent, ist der Agent von vielen berühmten Sängern, er scheint sehr wichtig zu sein und genau das vermittelt er. Darüberhinaus gehören Begegnungen mit Lewin, zumindest was die Summe eigenen Erlebens angeht, ganz offenbar zu den unangenehmsten im Klassikbetrieb. Jedenfalls verscheucht er die Gäste der Probe in die hinteren Reihen, duldet mit der Macht schlechtester Erziehung keinen Widerspruch, so dass man zwar die Probe verfolgen kann und viel Musik hört, aber nicht, was Kirill Petrenko zu seinen Musikern sagt. Ja, schon klar, Musik ist etwas Heiliges, besonders dann, wenn sie mit Steuergeldern bezahlt wird, da darf man nicht stören. Lewin nutzt die Probe dann, um auf seinem iPad herumzutappen.

Das gilt im engeren Sinn nicht für dieses Gastspiel. Im Jahre 1811 stellten die Mitglieder der Münchner Hofkapelle an den König die Anfrage, ob sie nicht an opernspielfreien Abenden Konzerte geben dürften. Dem König gefiel die Idee seiner offenbar unausgelasteten Musiker, setzte eine Order ans Kabinett auf und seitdem gibt es die Akademiekonzerte des inzwischen staatlichen Orchesters, selbstverwaltet in einer Eigenständigkeit, wie sie etwa die Wiener Philharmoniker haben. Guido Gärtner, Orchestermitglied und Geschäftsführer der Konzertgesellschaft, wusste vom Interesse des Wiener Konzerthauses, schlug diesem das Programm vor, der Termin wenige Tage nach den Münchner Konzerten war ideal. Die Einnahmen decken die Kosten.

Konzertmeister Markus Wolf, ein Wiener, blickt mit Verzückung in den Saal. Hier spielte er 1983 mit dem Hochschulsymphonieorchester das Solo in Richard Strauss' "Zarathustra". Ach. Heute macht er erst einmal den Stuhl kaputt und braucht während der Probe einen neuen. Das Podium des Saals neigt durchaus ein bisschen zum Dröhnen, der Klang hat zwar viel Platz, sich zu entfalten, aber man muss achtsam sein. Wie so oft ist es faszinierend zu erleben, wie wendig, flink im Kopf und im Spiel solche Spitzenorchester sind. Kirill Petrenko bastelt sorgfältig am ersten der sechs Teile herum, der mit den beiden Harfen wunderbar beginnt, dann folgt eine Art Holzbläser-Choral, der erst einmal ein bisschen dick klingt. Petrenko lässt wiederholen, probt Einzelteile, baut wieder zusammen, von unten wirkt das eher rätselhaft, im Konzert aber ist diese Stelle ein herrliches, lichtes, vollkommen transparentes Ereignis. Das hat schon alles viel Magie, auch wenn nicht einmal an diesem wunderbaren Abend alles, was Bedřich Smetana hier aufgeschrieben hat, von niederschmetternder Genialität ist. Aber die Moldau, ach, die Moldau.

© SZ vom 05.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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