Konzert:Überbordende Freude

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Sehr munter, wach und gut gelaunt eröffnet Valery Gergiev die Philharmoniker-Saison. (Foto: Andrea Huber)

Gergiev und die Philharmoniker starten grandios in die Saison

Von Egbert Tholl, München

Es wirkt, als hätte das Münchner Konzertpublikum noch nicht in Gänze mitgekriegt, dass es wieder losgeht. Jedenfalls sind in der Philharmonie erstaunlich viele Plätze frei, was vielleicht mit der Angst potenzieller Zuhörer vor Schnittke zusammenhängt. Allerdings schaut es nach der Pause nicht besser aus. Und da gibt es, wie immer, Bruckner, diesmal Nr. 6. Valery Gergiev und die Münchner Philharmoniker beginnen übrigens schon deshalb die Saison mit drei verschiedenen Bruckner-Symphonien - 6, 7, 5 - an drei Tagen hintereinander, weil kommende Woche die Aufnahmen aller Bruckner-Symphonien in St. Florian weitergehen. Da passt es auch sehr gut, dass Gergiev am Freitag die fünfte Symphonie mit der 36. von Mozart kombinieren wird. Die trägt den Beinamen "Linzer Symphonie". St. Florian liegt in der Nähe von Linz.

Allerdings erstaunt es an diesem Abend, dass die Münchner Philharmoniker gerade die sechste Symphonie auch in der Kirche dort aufnehmen werden. Die ist die unheiligste der Bruckner-Symphonien, ihre Verschrobenheit ist sehr zugänglich. Der erste Satz dürfte in Teilen vielen Filmkomponisten eines späteren Jahrhunderts als Inspirationsquelle gedient haben, zumindest in Gergievs farbenfroh-direkter Interpretation. Das Adagio ist von fein bewegter Anmut, was darauf folgt, wäre an sich hinreichend gspinnert, hätte man zuvor nicht Alfred Schnittkes erste Symphonie gehört.

Diese hört man selten im standardisierten Konzertbetrieb, und sie ist ein fabelhafter Anschlag auf alle festgefahrenen Gewohnheiten. Erst einmal ist niemand da, das Licht bleibt an, ein Schlagzeuger taucht auf und macht sich an den Röhrenglocken zu schaffen. Dann eilt ein Trompeter herbei, setzt sich und spielt wild drauflos, es folgen Marie-Luise Modersohn mit ihrer Oboe, Michael Martin Kofler mit seiner Flöte. Schließlich kommen sehr viele Philharmoniker aufs Podium, Gergiev folgt mit der riesigen Partitur und gemeinsam entwerfen sie ein grandioses Tohuwabohu, ein in alle Richtungen tönendes Volksfest aus ein paar hundert Jahren Musikgeschichte, sorgsam bewacht von den Blechbläsern, die wie Geharnischte auf ihrem hohen Podium sitzen.

Schnittkes erste Symphonie, uraufgeführt 1974, ist überlegene Parodie, Montage, Zitatenschatz, aber nie beliebig oder läppisch. An diesem Abend spielen die Philharmoniker mit großem Furor, ja mit überbordender Freude. Herrlich! Lustig ist es, es gibt noch mehr Wanderungen der Musiker. Und auch wunderschön ist es: Im transparenten Streichersee des dritten Satzes melden sich mit euphorischen Einschüben Celeste, Cembalo und Klavier zu Wort, der Satz endet mit einem herzzerreißenden Ländler, eingespielt von Lorenz Nasturica und Julian Shevlin. Dann wieder Jazz, E-Gitarre, Beethoven in Schräglage, Eschatologisches. Wunderbar.

© SZ vom 20.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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