Konzert:Lieber mit Lampenfieber

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Der Jazztrompeter Nils Wülker hat sein erstes, perfekt umgesetztes Live-Album veröffentlicht. Mit seinen Stücken kommt er nun ins Ampere

Von Oliver Hochkeppel

Der ewige Vergleich mit Till Brönner hinkt in so gut wie jeder Beziehung. Eines aber eint Nils Wülker - nach Brönner der erfolgreichste deutsche Jazztrompeter - tatsächlich mit ihm, und das ist wohl auch bei beiden ein Baustein des Erfolgs: Die perfekt produzierten Studioalben sind für ein großes CD-Hörer-Publikum ausgelegt, nicht für die Jazzgemeinde, für die Jazz erst live im Club richtig zum Leben erwacht. Nach den Konzerten kam deshalb die Frage nach einem Live-Album immer öfter - Wülker aber konnte nur auf seine neun Studioproduktionen verweisen. Nun ist es also endlich soweit, sein zehntes Album, dementsprechend "Decade" betitelt, präsentiert auf fast 80 Minuten (!) 13 Eigenkompositionen, die während zweier Tourneen in Köln, Nordhausen und Essen mitgeschnitten wurden. Und wie zuvor gilt: Der Perfektionist Wülker hat auch sein Live-Projekt sorgfältig vorbereitet und umgesetzt.

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Es ist natürlich immer noch kein Avantgarde-Jazz, aber Wülkers souliger, sachte mit modernen Elementen von Elektro bis Hip-Hop angereicherter Mainstream hat hier doch mehr Freiheiten, vermittelt eine andere Energie, wie sie eben nur durch die Interaktion mit dem Publikum zustande kommt. "Auch nach all den Jahren kann ich mich auf mein Lampenfieber verlassen", sagt Wülker, "fünfzehn Minuten vor dem Auftritt kommt dieses Kribbeln." Diese Live-Spannung kann man hören. Bei lyrisch-balladesken Stücke wie "Wanderlust" fast noch mehr als bei Hymnischem wie "You Cannot Imagine" oder funkigen Uptempo-Nummern wie "Today's Gravity". Drei Komponenten sind bei Wülker stilbildend: Seine phänomenale, bis zum 16. Lebensjahr rein klassisch ausgebildete Technik, die im Dienst eines an den klassischen Jazztrompetern - vor allem Miles Davis - orientierten Tons steht. Sein Gespür für eingängige Themen. Und das Vertrauen, das er seiner Band schenkt. Obwohl er natürlich das eine oder andere üppige Solo spielt, ist es doch das Interplay mit seinen zum größten Teil langjährigen Begleitern, das den Sound definiert. Sonst wären solche Ausnahmekönner auch verschenkt wie die Powerdrummer Felix Lehrmann und Simon Gattinger, der Bassist Edward Maclean oder Arne Jansen, der zu den Top Drei der deutschen Jazzgitarristen gehört.

Eingängige Themen und ab und zu ein üppiges Solo gehören bei Nils Wülker dazu. (Foto: Florian Arvanitopoulos)

Man kann aus der Musik heraushören, was Nils Wülker geprägt hat, den Bonner, der nach zwölf Jahren in Hamburg vor drei Jahren nach München kam, seiner Frau zuliebe und auch wegen des Bergsteigens, seiner zweiten großen Leidenschaft neben der Musik. Vor allem das Erbe des Acid und House Jazz, durch den Wülker einst als Austauschschüler in den USA überhaupt erst mit dem Jazz in Berührung kam, mit Bands wie den Brand New Heavies, Incognito oder Us3. Dann spielte ihm jemand auch noch Miles Davis vor und es war um ihn geschehen. Sein Debüt nach dem Studium an der Berliner Musikhochschule Hanns Eisler und der Station im Bundesjazz-Orchester, in der RIAS Bigband sowie im avantgardistischeren Thärichens Tentett seines Dozenten Nicolai Thärichen war gleich ein Paukenschlag: Das mit den US-Stars Gene Calderazzo und Orlando LeFleming eingespielte "High Spirits" erschien als erstes Album eines deutschen Jazzers überhaupt bei Sony.

Von Album zu Album konnte Wülker seine Popularität steigern. Weil die 13 Stücke von "Decade" nicht nur von den jüngsten, sondern auch von älteren Programmen stammen, ist es nicht nur Wülkers Live-, sondern fast auch ein "Best of"-Debüt. Das kann man sicher auch bei der Präsentation im Ampere hören, seinem angestammten Münchner Spielort. Und vielleicht sogar schon den einen oder anderen Song, der auf dem nächsten Studioalbum landet.

Nils Wülker, Dienstag, 23. Oktober, 20.30 Uhr, Ampere, Zellstraße 4

© SZ vom 22.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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