Konzert:Hört, hört

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Vertieft in die eigene Arbeit: Helmut Lachenmann bei der Probe mit dem Münchener Kammerorchester. (Foto: Florian Ganslmeier)

Helmut Lachenmann deutet sein eigenes Werk im Prinzregententheater

Von David Renke, München

Hören und Zuhören sind völlig verschiedene Dinge. Man kann in einer Oper oder einem Konzert sitzen und Musik hören, wenn man nach Hause kommt, hat man das meiste dann jedoch schon wieder vergessen. Hört man allerdings tatsächlich zu, lässt sich auf die Musik ein und beobachtet sich selbst beim Erleben, dann kann man wirkliche Erkenntnis ziehen, auch dann, wenn das, was auf der Bühne passiert, überhaupt nicht dem eigenen Geschmack entspricht. Solche Konzerterlebnisse würden heute allerdings immer seltener, sagt Komponist Helmut Lachenmann. "Was heute in den Konzertsälen passiert, ist bloße Ablenkung von der Realität. Man hört Musik, um sich zu entspannen. Mit Kunst hat das wenig zu tun."

Einfach hat Lachenmann es sich und seinem Publikum mit seiner Musik selten gemacht, wie man im Prinzregententheater bei seinem Konzert an diesem Donnerstag mit dem Münchener Kammerorchester hören kann. Dort wird er sein Werk "... zwei Gefühle ..., Musik mit Leonardo für Sprecher und Ensemble" aufführen und selber rezitieren. Dass ein Komponist sein eigenes Werk interpretiert, ist selten, "... zwei Gefühle ..." hat Lachenmann als Sprecher seit der Uraufführung des Werks 1992 allerdings bereits unzählige Male aufgeführt. Der Text, der dem Werk zugrunde liegt, hat ihn lange begleitet. Er stammt aus Leonardo da Vincis "Codex Arundel". Auf den Text stieß Lachenmann bereits kurz nach seiner Rückkehr von seinem Studium in den Fünfzigerjahren bei Luigi Nono in Venedig. Die Dualität zwischen äußerer Naturgewalt und inneren menschlichen Konflikten beeindruckten Lachenmann so sehr, dass er den Text auch in seine gleichzeitig entstandene Oper "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" inkorporierte.

Sein Lehrer Nono habe einmal zu ihm gesagt, wer bloß zwei Noten hintereinander schreibe, die in Beziehung zu einander stehen, der sei bourgeois. "So zu komponieren, ist aber nicht meine Art", sagt Lachenmann. In seiner eigenen Musik gehe es darum, Klänge spürbar zu machen. "Wenn sie als Kind eine Blaskapelle hören, wollen sie doch immer neben der großen Trommel stehen, weil die im ganzen Körper nachhallt", sagt Lachenmann. Seine Musik ist steter Kampf gegen die eingeübten Hörgewohnheiten.

Gedichte und Texte, die gesungen werden, kann Lachenmann daher kaum noch ertragen. "Ich liebe die deutsche Sprache und sie eignet sich wunderbar dazu, im Fluss gesprochen zu werden." Dazu gehöre eben auch jedes Schnarren und Grunzen. Die ewigen Melodielinien eines Schubertliedes seien für Komponisten heutzutage nicht mehr zeitgemäß.

Mit dem Konzert setzen das Münchner Kammerorchester und Helmut Lachenmann ihre künstlerische Zusammenarbeit fort, die bereits 2018 mit einem reinen Lachenmann-Programm begonnen hat. Auch damals dirigierte Chef Clemens Schuldt, Lachenmann spielte am Klavier. Die Möglichkeit auf solche künstlerische Zusammenarbeit aufzubauen, helfe ungemein, wenn man ein Werk in kurzer Zeit zusammen erarbeiten muss, sagt Lachenmann.

Die Zeit, in der er mit seiner Musik Skandale heraufbeschwört, ist vorbei, das ist Lachenmann klar. Der Grund sei aber nicht, dass seine Musik für den Zuhörer weniger herausfordernd sei, sondern vielmehr habe das Publikum das Zuhören verlernt. Komponisten, die glauben, dass seine Musik politischen Einfluss habe, entgegne er, dass sie sich selbst betrügen würden. Kürzlich war Lachenmann in Israel für einen Lehrauftrag. Komponieren in einem Land, in dem eine permanente Bedrohung herrsche, halte er für sinnlos. "Als Komponist ist man überflüssig. Wenn die Müllabfuhr streikt, bemerken das die Leute, ein Komponist, der aus Protest seine Arbeit niederlegt, interessiert die Menschen nicht." Es ist ein erschreckender Befund über den Stellenwert der Kunst in unserer Gesellschaft.

Helmut Lachenmann und das Münchener Kammerorchester unter Clemens Schuldt , Do., 23. Jan., Prinzregententheater, Prinzregentenplatz 12

© SZ vom 23.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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