Konzert:Feuerwerk mit Knalleffekten

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Rammstein heizt dem Münchner Publikum im Olympiastadion ein. Zweideutige Provokationen gehen im Rausch der Gitarren unter. Dafür liefert die Band schon fast romantische Momente

Von Jürgen Moises

Haben nun viele Rammstein-Fans im ausverkauften Münchner Olympiastadion den Chorus von "Deutschland" mitgesungen? Und hat sich das irgendwie seltsam patriotisch angefühlt? Nun, einige haben das bestimmt getan, aber die donnernden Gitarren und das kräftige Organ von Rammstein-Sänger Till Lindemann waren zumindest beim ersten der zwei ausverkauften Stadion-Konzerte dann doch zu dominant, um das genauer herauszuhören. Interessanter als dieses Lied, dessen Video schon für einiges Aufsehen sorgte, war sowieso die davor vom Band zu erlebende Remix-Version davon. Und zwar deswegen, weil man dazu vier der Musiker als leuchtende Strichmännchen auf der Bühne tanzen und mit verfremdeten Computerstimmen singen sah. Eine Referenz an die legendäre deutsche Krautrock-Truppe Kraftwerk?

Passen würde es jedenfalls zum neuen, siebten, unbetitelten Album von Rammstein, das die sechs Musiker auf ihrer aktuellen Stadiontour vorstellen. Darauf hört man tatsächlich ein bisschen mehr Elektronik, mehr Synthesizer, manche haben auch Referenzen an die 80er-New-Wave-Ikone Anne Clarke ausgemacht. Ansonsten könnte man in der für Rammstein typischen Fusion aus Rhythmus, Elektronik und hypnotischer Monotonie auch eine gewisse Nähe zu Krautrockbands wie Can, Neu! oder eben Kraftwerk sehen. Aber noch mehr sind es die krachenden Industrial-Metal-Gitarrenriffs und die provozierenden, deutschen Texte über Liebe, Hass, Gewalt, Sex oder Tod, die die Wahrnehmung des weltweit bekanntesten deutschen Popkultur-Exportartikels nach außen hin prägen.

Von dieser Melange gibt es auch beim Konzert in München reichlich. Und natürlich viel Feuerwerk, Knall und Rauch, der sich dann aber als schwarze Papierschnipsel entpuppt. Die theatralischen Show-Effekte, für die die vor 25 Jahren in Berlin gegründete Band berüchtigt ist, dürfen natürlich nicht fehlen. Dazu zählt ein großer Kinderwagen, den Sänger Till Lindemann für das Lied "Puppe" auf die Bühne schiebt und der am Ende Feuer fängt. Die Puppe dazu, der Lindemann, wie er wild gestikulierend schreit, den Kopf abbeißen will, mag man sich gar nicht vorstellen. Bei "Mein Teil" wird Keyboarder Christian "Flake" Lorenz vom als Metzger verkleideten Lindemann mit dem Feuerwerfer im Kochtopf gegrillt. Als Slapstick-Nummer ein bewährter Running Gag, an dessen Ende Flake seinen Peiniger von der Bühne schubsen darf.

Apropos Running Gag: Während des Konzerts sieht man Flake beim Keyboard- oder Synthesizer-Spielen im Glitzerkostüm auf einem Laufband rennen. Vielleicht weil er auf die Art die drei riesigen, spiralförmigen Scheinwerfer antreibt, die zur vom Münchner Florian Wieder gebauten Bühne gehören? Die versprüht, offenbar inspiriert von Fritz Langs Stummfilm-Meisterwerk "Metropolis", einen industriellen Steampunk-Charme, passend zur metallischen Härte der Musik. Ansonsten wirken, das war schon an anderer Stelle über die Tour zu lesen, das Opern- oder Operettenhafte, die theatralischen und bildlichen Überwältigungsstrategien, auffallend zurückgeschraubt. Weil einem nach 25 Jahren die eigene Überbietung schwerfällt?

In Richtung Reduktion weist auch der Auftritt des Duos Jatekok im Vorprogramm. Zwei französische Pianistinnen die auf einer zweiten, kleinen Bühne Rammstein-Songs auf dem Klavier spielten. Bei den romantisch dahinperlenden Klavierläufen musste man teilweise schon etwas deutlicher hinhören, um die Stücke zu erkennen. Später haben die beiden nochmal ihren Auftritt. Da dürfen sie zusammen mit Rammstein "Engel" und "Ohne Dich" als akustische Balladen auf der kleinen Bühne interpretieren, inmitten eines Meers aus leuchtenden Handys. Auch das ein Moment, den man fast schon romantisch nennen möchte.

Davor und danach rollen wie in einem letzten infernalischen Aufbäumen des Industriezeitalters stählerne Gitarren über einen hinweg. Till Lindemann lässt dazu sein dunkles "r" rollen, etwa bei alten Klassikern wie "Sonne", "Du hast" oder "Rammstein", die es neben zahlreichen neuen Songs wie "Tattoo" oder "Radio" natürlich ebenfalls zu hören gibt. Zur Freude der 70 000 Fans, die diese euphorisch feiern.

Wirklich Anstößiges gibt es nicht. Zwar sind mit "Deutschland" und "Ausländer" zwei neue Songs dabei, die alleine schon durch ihre Titel und durch die zugehörigen Videos für Diskussionsstoff sorgten. Weil es in dem einen Fall im Quentin-Tarantino-Style durch den Morast deutscher Geschichte geht. Im anderen wird auf Sex-Tourismus und Kolonialismus angespielt. Aber die Videos gibt es auf der Bühne nicht. Und was sich in den Videos an doch etwas kalkuliert wirkenden Provokationen im Meer der Zweideutigkeiten und Referenzen verliert, geht live im Rausch der Gitarren unter.

Auch wenn Lindemann gegen Ende bei "Pussy" mit seiner Spermakanone durchs Publikum fährt, hat das wenig Provokatives. Sondern es gehört zu den Standards oder Markenzeichen, die man von einem Rammstein-Konzert erwartet. Und was dann aus der Kanone aufs Publikum ejakuliert wird, das ist dann auch wieder nur Papier. Was bleibt, ist ein breitbeiniges, wuchtiges Rockkonzert mit Knalleffekten und viel Feuerwerk. Das heizt einem in den mehr als zwei Stunden ordentlich ein. Und weil nicht nur auf der Bühne, sondern auch über dem Publikum die Flammen auflodern, kann man die Hitze sogar in den hinteren Rängen auf der Haut spüren.

© SZ vom 11.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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