Konzert:Der Pianist lässt auf sich warten

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Hyeonjun Jo sitzt im Stau, hat Stress und spielt trotzdem ein tolles Programm

Von Daniel Sippel, München

Was frustriert Konzertbesucher mehr als ein Klavierabend ohne Pianisten? Antwort: Wenn sie im Kleinen Saal der Münchner Musikhochschule auch noch auf dem Fußboden oder auf herangeschafften Tischen sitzen müssen. Dann bekommen sie, wie am vergangenen Donnerstag, ziemlich schlechte Laune. "Die Planung hier ist keine deutsche Wertarbeit", schimpfte ein Besucher.

Die Ankündigung, Hyeonjun Jo würde Klavier spielen, lockt knapp 200 Menschen. "So voll war es schon seit 20 Jahren nicht mehr", raunt ein Wartender. Doch der diesjährige Preisträger des Richard-Strauss-Wettbewerbs erscheint nicht. 25 Minuten nach dem offiziellen Konzertbeginn stürmt ein 22-Jähriger in den Saal: Rostbraun gefärbte Haare, Ray-Ban-Brille, Jeans. "Ist er das?" - "Ich hab so was gehört", flüstert es im Publikum.

Er ist es. Der junge Koreaner steigt auf die Bühne, setzt sich vor den Flügel. "Willst du vielleicht einmal durchatmen, ein Glas Wasser trinken?", fragt eine Konzertbesucherin. Jun Jo antwortet: "Ich habe mich genug ausgeruht. Beethoven!" Einen Augenblick später schießen B-Dur-Akkorde im Fortissimo durch den Saal. Jun drischt Beethovens Hammerklaviersonate in die Tasten, die schwierigste aller Beethoven-Sonaten, eines der kompliziertesten Klavierwerke überhaupt. Jun spielt sie wüst, mal unkontrolliert leidenschaftlich, dann kindlich verspielt. So wie Beethoven es wohl gemocht hätte.

Am Ende der Sonate wischt sich Jun Jo die Nase am Hemdkragen ab. Ohne den Applaus abzuwarten beginnt er, Strauss zu spielen: "Till Eulenspiegels lustige Streiche". Fast wirkte es wie ein lustiger Streich, als Jun Jo nach der Strausschen Klangorgie wieder nur kurz aufsteht, dem Publikum zunickt und sofort weiterspielt: Olivier Messiaens "La Rousserolle Effarvatte", den Teichrohrsänger. Jun spielt eine halbe Stunde voller Cluster und scheinbar zufälligen Tonabfolgen, natürlich auswendig. Er musiziere "wie ein Halbgott - unglaublich", findet Christian Wolf, Organisator des Abends und stellvertretender Vorsitzender der Strauss-Gesellschaft.

Nach dem fast zweistündigen Konzert steht Jun Jo auf, nickt dem Publikum kurz zu und hastet hinter die Bühne. Dort bleibt er, kommt trotz minutenlanger Ovationen nicht zurück. Der Grund: Er übt schon wieder, ein Konzert von Alban Berg. Warum er keine Pause im Konzert zugelassen hat? "Ich habe keine Zeit. Ich muss üben." Dann erzählt er, dass ihn vor zwei Tagen ein Anruf der Berliner Philharmoniker ereilte mit der Frage, ob er für eine verhinderte Pianistin einspringen könne. So eine Chance! Er sagte zu. Vergangenen Dienstag probte er zum ersten Mal mit dem Orchester. In der Nacht auf Mittwoch übte er. Um 6 Uhr morgens legte er sich hin, schlief zwei Stunden, übte weiter. Donnerstagmorgen: Eine weitere Probe. Dann schnell zum Fernbus, der ihn zum Konzert nach München bringen soll. Ein Stau durchkreuzt seinen Zeitplan: Er verspätet sich. Warum er nicht geflogen sei? "Aus Geldspargründen", sagt Jun Jo und übt weiter.

© SZ vom 10.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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