Konzert:Beklemmung in Bild und Ton

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Mit Originalaufnahmen hat Alain Resnais in seinem 1956 entstandenen Dokumentarfilm gearbeitet. (Foto: Argos Films)

Das Jewish Chamber Orchestra unterlegt Alain Resnais' Film "Nacht und Nebel" mit düsterer Musik

Von Egbert Tholl

Eva Umlauf wurde am 19. Dezember 1942 im slowakischen Arbeitslager Nováky geboren. Knapp zwei Jahre später wurde sie zusammen mit ihrem Vater und ihrer schwangeren Mutter nach Auschwitz deportiert. Am 2. November kamen sie an, am 30. Oktober 1944 hatten die Nazis die Vergasung in Auschwitz eingestellt. Wenn die Lok einwandfrei funktioniert hätte, wären sie vielleicht zu früh angekommen. Ihren Vater sah sie an der Rampe, dem Ort der Selektion, zum letzten Mal. Später wurde er auf einen Todesmarsch Richtung KZ Melk, einem Außenlager von Mauthausen geschickt. Im Film sieht man kurz das prachtvolle Stift von Melk. Durch den Stacheldraht des ehemaligen Lagers. Der Film heißt "Nacht und Nebel", weil die Züge bei Nacht und Nebel in den Vernichtungslagern ankamen.

Daniel Grossmann, der den Film von Alain Resnais im Jüdischen Zentrum München zeigt und dazu das Jewish Chamber Orchestra dirigiert, bittet zuvor Eva Umlauf zum "Zeitzeugengespräch" auf die Bühne. Eigentlich ist es das nicht - Umlauf war zwei Jahre alt, als das KZ befreit wurde. Es ist vielmehr ein mäanderndes Gespräch über die Frage, ob sich Traumata über Generationen hinweg vererben, wie und ob man gegen sie anreden, anschreiben, erzählen kann. Eva Umlauf hat darüber ein Buch geschrieben, sie ist Ärztin und Psychotherapeutin.

Janus Torp spricht den Text über den Bildern, den Jean Cayrol geschrieben und Paul Celan auf Deutsch nachgedichtet hat. Wahrscheinlich ist der Film das radikalste Kunstwerk, das je über die Massenvernichtungsmaschinerie der Nazis gedreht wurde. Er beruht größtenteils auf Originalaufnahmen, die Resnais Mitte der Fünfzigerjahre Jahre sichtete, zusammenstellte und mit der dafür geschriebenen Musik von Hanns Eisler unterlegte. Erlebt man den Film auf großer Leinwand, mit dem davor spielenden Orchester, fällt einem noch stärker seine zwingende Dramaturgie auf. Die Planung der Vernichtung, an der viele profitierten. "Ein Konzentrationslager, das wird gebaut wie ein Stadion oder ein großes Hotel; dazu gehören Unternehmer, Kostenvoranschläge, Konkurrenz, sicher auch Bestechungsgelder." Und Abertausende, die sich für die deutsche Wirtschaft zu Tode arbeiteten.

Immer tiefer dringt der Film in die Lager ein, die Musik wird grimmig, wenn der Aberwitz deutscher Verwaltungsbürokratie geschildert wird oder vom Bordell der Kapos die Rede ist. Der Lagerkommandant im trauten Heim. Und die Musik wird nervenaufreibend schön, ein brüchig schönes Weh, wenn die Bilder die Gaskammern zeigen, später die Leichenberge. Ein riesiger Berg nur Brillen. Ausgemergelte Körper, mehr Skelett als Leib. Abgeschlagene Köpfe. Erlebt man den Film im Hubert-Burda-Saal, dann ist man nach der Aufführung auch Teil einer tief erschütterten, stummen, fassungslosen Gemeinschaft. Und am Ende steht der Kommentar nach einer neuen Hoffnung, "als glaubten wir wirklich, dass all das nur einer Zeit und einem Land angehört, wir, die wir vorbeisehen an den Dingen neben uns und nicht hören, dass der Schrei nicht verstummt". Eva Umlauf heiratete einen Mann, der vier Konzentrationslager überlebt hatte. Viel später schickte sie ihre Söhne zur Schule. Einer von ihnen wurde am Albert-Einstein-Gymnasium als "Scheißjude" beschimpft. Das war in München vor 20 Jahren.

Nacht und Nebel , Dokumentarfilm mit Livemusik und Zeitzeugen-Gespräch, Do., 31. Jan., 19 Uhr, Schloss Dachau; Fr., 1. Feb., 20 Uhr, Puchheimer Kulturcentrum Puc.

© SZ vom 13.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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