Konzert:Kleiner Scherz

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Lang Lang spielt Bach: In München setzte er stellenweise die Bassstimme mit der linken Hand überdeutlich ab gegen schier flüsternde Oberstimmen. Das Foto entstand in Peking nach einem Interview. (Foto: Greg Baker/AFP)

Dürfen Bachs Goldberg-Variationen auch Spaß machen? Der Pianist Lang Lang beantwortet die Frage bei seinem Münchner Konzert spielend mit Ja.

Von Helmut Mauró

Natürlich ist er auch ein großes Showtalent. Der chinesisch-amerikanische Pianist Lang Lang begeistert nicht nur ein jüngeres Publikum weltweit, sondern auch ganz solide Klassikfans der älteren Semester. Dies konnte man nun wieder einmal im Münchner Herkulessaal erleben, wo seine Darbietung von Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen mit Standing Ovations goutiert wurde.

Und die sind bei Lang Lang ein ganz eigener Showpart. Nach langem inneren Nachhall erhebt er sich vom Steinway, strahlt ins Publikum, verbeugt sich tief, etwas tiefer als üblich, die Hände in den Schoß gefaltet, um sie sogleich, sich erhebend, himmelwärts zu strecken, die Handflächen nach innen gewendet, mit einem leichten, langsamen Flattern Richtung Publikum. Erst wird das Parkett bedient, dort zunächst die ersten Reihen, dann der Rest, schließlich der Rang links, Rang rechts - der Saal war voll besetzt - und zum krönenden Abschluss die Logenplätze auf dem Podium. Jede Körperdrehung geht einher mit einem minimierten Ausfallschritt. Nun das Ganze noch mal von vorn, nur kurz unterbrochen von der Veranstalterin, die einen Blumenstrauß überreicht, den er, damit winkend, spontan in seine Huldigungszeremonie integriert. Schließlich fröhlich schlendernder Abgang nach rechts. Der Applaus tost weiter, das Spiel beginnt von vorn, diesmal mit einem Blumenstrauß aus dem Publikum. Nun kleine Bonuseinlagen, kurzes, aber fröhliches Winken in die hinteren Reihen. Niemand wird hier zurückgelassen. Die Choreografie ist perfekt und erinnert ein bisschen an die Auftritte von US-Präsidentschaftskandidaten. Nur, dass Lang Lang diese Choreo viel besser beherrscht.

Bei Schumann folgt er nicht ganz dem romantischen Ideal von Schlichtheit

Die Begeisterung ist echt, zumindest aufseiten des Publikums, aber auch der Pianist ist von jener menschenfreundlichen Art, der man mit nichts als Sympathie begegnen kann. Zumal er nun auch in einem zweistündigen pausenlosen Tastenmarathon gezeigt hat, dass er nicht nur die Show, sondern auch den seriösen Kern der Klavierkunst beherrscht. Allerdings leitete er den Abend mit einer etwas manieriert verzerrten Arabesque von Robert Schumann ein, bestimmt von großzügigen Tempodehnungen, viel Innehalten, Verschleierung - also nicht ganz das romantische Ideal von klarer Schlichtheit.

Ungleich überzeugender kamen Bachs Goldberg-Variationen. Dass es hier auch um hochvirtuoses Klavierspiel geht, das vermittelt Lang Lang so überzeugend, dass man sich ernsthaft fragt, ob man sein Bach-Bild nicht wieder einmal ein bisschen auffrischen möchte. Zumal Lang Lang im Live-Konzert viel risikofreudiger zu Werke geht als in seiner vergangenes Jahr erschienenen Studioaufnahme, und selbst bei dem im gleichen Album enthaltenen Live-Mitschnitt. Konzeptuell erinnert das Münchner Live-Konzert an Glenn Goulds Idee für Bachs Wohltemperiertes Klavier: die einzelnen Stücke in scharfen Gegensatz zu stellen, vor allem was das Tempo betrifft. Die langsameren also extrem langsam zu nehmen und die schnellen virtuos rasant.

Lang Lang muss man zugutehalten, dass er sich nie wirklich über die Musik hinwegsetzt, dass er dann doch Bach das letzte Wort lässt und sich müht, dessen Intentionen nachzuspüren. Das Konzept ist nicht wichtiger als das Kunstwerk, als ausführender Künstler stellt er sich nicht über den Komponisten. Aber an die Grenze dessen, was dabei möglich ist, geht er allemal. Die eröffnende Aria schleppt sich eher keuchend dahin, als dass sie frei atmend hereinschwebte. Vielleicht ein wenig zu abstrakt gedacht, hier doch erst mal einem verbreiteten Bach-Klischee folgend, demzufolge die geistige Größe mit humorlosem Ernst und Weltfremdheit gleichzusetzen sei, also eher unsinnlich gemeinter Musik in Form klingender Rechenkünste?

Aber, und das kommt in den folgenden Variationen sehr bald ans Licht: Bach verstand sich auch als Handwerker, als hochkarätiger Kunsthandwerker, als freudiger Musikant und virtuoser Poet, nicht so sehr als Bauingenieur. Die teils atemberaubende Komplexität seiner Musik, gerade in der Ausarbeitung kontrapunktisch verschlungener Gebilde, wie man sie auch in den Goldberg-Variationen findet, ist eher das Privatvergnügen des Komponisten und der Gelehrten. Mit dem übrigen Publikum spricht Bach in sinnlicher Klangrede. Das sieht auch Lang Lang so, zumindest musiziert er so. Manchmal wird es dabei auch ein wenig didaktisch, wenn er die Bassstimme mit der linken Hand überdeutlich absetzt gegen schier flüsternde Oberstimmen. Und manchmal nutzt er auch die Gelegenheit, das Virtuose in einem kleinen Showact herauszustellen. Immer wirkungsvoll: Wenn die rechte Hand plötzlich weit nach links über die linke greift und ganz unten im Bass ein paar Töne antupft. Und wieder zurückschleudert und wieder hinunter. Lang Lang schafft es, einen Fingersatz zu finden, der ihn zwingt, sich auf dem Klavierhocker so weit nach links zu beugen, dass er mehr liegt als sitzt und man schon das Poltern im Ohr hat, wenn er gleich vom Hocker stürzt. Tut er aber nicht.

War wohl nur ein kleiner Scherz zur Auflockerung einiger doch sehr lang gezogener Variationen. Bachs Fantasie ist schier grenzenlos, es fällt ihm immer noch ein interessanter Umweg ein, ein neu kompositorisch zu beackerndes Feld. Lang Lang belohnt den Hörer dann in der jeweils folgenden Variation mit wirklich erstaunlicher Tastenakrobatik. Nun greifen die Finger beider Hände gar so engmaschig ineinander, dass man hörend mehr sieht und versteht als durch konzentriertes Beobachten. Diese Virtuosität ist aber nicht nur Theater, wenngleich sehr gutes, sondern musikalisch begründet. Das darf so schnell sein, das bringt frischen Schwung, Freude. Die Legende, dass diese Stücke Herrn Goldbergs schlaflose Nächte überbrücken oder ihn gar wieder in den Schlaf bringen sollten, ist längst widerlegt. Dieses Werk darf auch Spaß machen. Man muss sich Bach nicht als humorlosen Menschen vorstellen.

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