"The Birth of a Nation" im Kino:Warum auch noch eine Vergewaltigungsszene?

Lesezeit: 4 min

Manchmal hat der Film etwas von "Braveheart": Nate Parker führt als Nat Turner einen gewalttätigen Aufstand an. (Foto: dpa)

Das Sklavendrama "The Birth of a Nation" galt als sicherer Oscar-Kandidat. Bis Regisseur und Hauptdarsteller Nate Parker ein Skandal aus seiner Vergangenheit einholte.

Von Susan Vahabzadeh

Dieser Film kam im letzten Jahr vielen Leuten gerade recht. Das Sklavendrama "The Birth of a Nation" von Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller Nate Parker hatte während des Sundance Festivals Premiere, mitten in der "Oscars so white"-Debatte. Weshalb der schwarze Filmemacher Parker sein kleines Werk für spektakuläre 17,5 Millionen Dollar verkaufen konnte, es galt als sicherer Kandidat für die diesjährige Preissaison.

Der Film bot die ersehnte Erlösung für Hollywood, das liberal sein möchte und dem doch leicht nachzuweisen ist, dass es in der Frage ethnischer Zugehörigkeit noch viel zu tun gibt. Wie kann es eigentlich sein, dass die Geschichte des Sklavenaufstands von Virginia, die zum Beispiel in der Serie "Roots" nur am Rande vorkommt, nicht längst verfilmt wurde? Schon der Titel ist eine Provokation. Nate Parker hat seinen ersten Film nach D. W. Griffiths "The Birth of a Nation" benannt, ein Meilenstein der Stummfilmgeschichte, allerdings schwarzenfeindlich und mit schwer bestreitbaren Sympathien für den Ku-Klux-Klan versetzt. Parker hat für seinen "Birth of a Nation" ein historisches Ereignis aufgegriffen. Er erzählt die Geschichte von Nat Turner, der 1831 in Virginia einen Sklavenaufstand anführte, eine blutige Episode, die zu heftigen Debatten über die Sklaverei führte. Turners Aufstand war ein zentraler Moment auf dem Weg zu ihrer Abschaffung.

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Nate Parker ist in "Birth of a Nation" alles, er hat das Leben Nat Turners in ein Drehbuch gefasst, Regie geführt, er spielt ihn selbst, den erwachsenen Turner. Den kleinen Jungen Nat sieht man am Anfang des Films, wie ihn die anderen Sklaven, die noch in Afrika geboren sind, als ganz besonderes Kind rühmen. Er wächst auf einer Plantage auf, und er erweist sich wirklich als besonders, denn Mrs. Turner (Penelope Ann Miller), die Frau des Plantagenbesitzers, bemerkt bald, dass der Junge lesen kann, und holt ihn ins Haus.

Nach der Premiere tauchten Berichte auf, dass Parker wegen Vergewaltigung angeklagt wurde

Sie ist eine tiefreligiöse Frau, die ihn die Bibel lesen lässt. Bis der Junge dann, gegen ihren Willen, eines Tages doch auf die Felder geschickt wird. Aber er bleibt eine Besonderheit, er predigt zu den anderen Sklaven, ein schwarzer Priester. Als Erwachsener bekommt er einen neuen Besitzer, Sam (Armie Hammer), den Sohn des alten Mr. Turner, mit dem er aufgewachsen ist. Dieser nimmt ihn zum Geldverdienen auf andere Plantagen mit. Er soll dort den Sklaven predigen, die unter schrecklichen Bedingungen leben, sich wehren, oder nicht mehr arbeiten, weil sie so krank und schwach sind, dass sie nicht mehr können.

Parker versucht, den Schrecken der Sklaverei zu fassen, bevor er die Rebellion als Gemetzel inszeniert, ein aus der Wirklichkeit destillierter Gegenpart zu Quentin Tarantinos "Django Unchained".

"The Birth of a Nation" ist historisch nicht genau, die Eckdaten stimmen, und innerhalb der Logik des Films ist die Brutalität des Aufstands eine logische Konsequenz. William Styrons Roman "Die Bekenntnisse des Nat Turner", Ende der Sechzigerjahre ein Bestseller, ging mit den belegten Tatsachen, über die man einiges weiß, wesentlich freier um.

Zwei Tage dauerte der Aufstand, dann waren fast alle Rebellen getötet worden, außer Turner selbst, der entkam und später hingerichtet wurde. In den Wochen danach wurden Schwarze umgebracht, die gar nichts mit dem Aufstand zu tun hatten. Wie sich die sechzig, siebzig Rebellen zusammenfanden, das sieht man bei Parker nicht. In Wirklichkeit sollen es Lieder gewesen sein, das hätte eine sehr ergreifende Szene sein können.

Ein bisschen mehr Virtuosität, Mut bei der Dramatisierung hätten dem Film gut zu Gesicht gestanden. Von ein paar surrealen Bildern abgesehen, blutendem Mais etwa, ist er sehr geradlinig und konventionell heruntererzählt. "The Birth of a Nation" hat nichts von der Vielschichtigkeit der Figuren, die Steve McQueens "12 Years a Slave" auszeichnete. Er hat mehr mit Mel Gibsons "Braveheart" gemein, die Heldenpose, den Freiheitskämpfer, der sich für einen Heiligenschein qualifiziert, während er in die Schlacht zieht. Parkers Figuren entwickeln sich kaum, die Bösen sind böse, die Guten hilflos. Parkers Turner ist ein glatter, eindimensionaler Held ohne Angst und Zaudern, besonders eben, durch und durch. Nur eine Szene entwickelt wirklich Feuer, wenn sich Nat Turner, der Prediger, auf ein Wortgefecht in Bibelversen mit einem Weißen einlässt.

Als einigermaßen sicher gilt, dass Parker sie nicht gerettet hat.

Aber das größte Problem, das dieser Film hat, ist auf der Leinwand gar nicht zu sehen. Nach der gefeierten Festivalpremiere, aber noch vor dem offiziellen US-Kinostart tauchten Berichte auf, Parker und Jean Celestin, im Vorspann als Co-Urheber der Geschichte genannt, seien 2001 wegen Vergewaltigung angeklagt worden. Parker wurde freigesprochen, Celestin verurteilt. Die Studentin, die beide angezeigt hatte, soll an dem betreffenden Abend stark betrunken gewesen sein, war mit Parker aber zusammen, mit Celestin nicht. Als einigermaßen sicher gilt, dass Parker sie nicht gerettet hat. 2012 beging sie Selbstmord.

Man kann das auf zwei Arten sehen. Der Film kann im Grunde nichts für die Verfehlungen seines Schöpfers. Es gibt keine Szene, in der durchschimmert, dass Nate Parker einer ist, der mal über sich gesagt hat, er würde keine Rolle annehmen, die er als "Entmännlichung" empfindet. Der Film geht mit seinen weiblichen Figuren respektvoll um. Andererseits steht im Zentrum eine Vergewaltigung, die zu den Dingen gehört, die Parker und Celestin zu Nat Turners wahrer Geschichte dazuerfunden haben. Es zeugt schon von einem unverwüstlichen Gemüt, sich ausgerechnet eine solche Szene auszudenken, zu inszenieren, zu spielen, in der Turner die Revolution anzettelt, weil seiner Frau Gewalt angetan wurde. Die eigentliche Rebellion ist brutal, so wie es die Sklavenhaltung war, von den Vergewaltigungen sieht man im Film wenig. Man kann Künstler und Werk voneinander trennen. Aber Parker hätte sich leichter getan, wenn er vom Thema Vergewaltigung als Künstler einfach die Finger gelassen hätte.

The Birth of a Nation , USA 2016 - Regie und Buch: Nate Parker. Kamera: Elliot Davis. Mit: Nate Parker, Armie Hammer, Colman Doming, Aja Naomi King, Penelope Ann Miller. Fox, 120 Minuten.

© SZ vom 12.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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