Wenn Rock-Karrieren zu lange dauern, wenn sie sich zum Beispiel von dem einen oder anderen grünen Segelschiff haben mitnehmen lassen und bierselig durch die deutsche Fernsehwerbung schaukelten - wenn Rock-Karrieren also Arges widerfährt, dann ist das zum 70. Geburtstag schon eine kleine Ehrenrettung wert.
Im Falle des britischen Rock- und Blues-Sängers John Robert "Joe" Cocker hilft es sehr, einen Blick in die noch immer grandiose Pop-Geschichte "AWopBopaLooBopALopBamBoom" zu werfen, in welcher der gerade 22-jährige Nik Cohn 1969 schrieb: "Joe Cocker war ein fetter Klempner aus Sheffield, und ich mochte ihn sehr.
Auf der Bühne war er aalglatt, und er sang weißen Soul, sehr schwitzig, und er wirbelte mit den Armen wie eine geistesgestörte Windmühle. Er war lustig und sang ausgezeichnet. Seine erste Platte 'Majorine', war ein kleiner Klassiker und schlug nicht ein. Seine zweite, Lennon/McCartneys 'With A Little Help From My Friends' war weniger gut und kam auf Nummer eins."
Klempner, weißer Soul, Schweiß, geistesgestörte Windmühle, ausgezeichneter Gesang, bisschen Hilfe von den Freunden - das ist im Grunde auch mehr als 45 Jahre später noch das Prinzip Joe Cocker. Wobei man heute leicht vergisst, dass die Periode der Bierwerbemusik für Cocker erst nach einer langen, dunklen Zeit des Bierkonsums anbrach.
Der erste ganz große Erfolg nach dem Durchbruch mit "With A Little Help From My Friends" Ende der Sechziger war 1982 der Song "Up Where We Belong", Cockers erster und bis heute einziger Nummer-eins-Hit in den USA.
Auch seine übrigen weltbekannten Songs (die er nicht geschrieben, aber mit seinen Interpretationen via Dudelfunk unsterblich gemacht hat,) von "Unchain My Heart" über "You Are So Beautiful" bis "You Can Leave Your Hat On" sind seither exzellentes Material für Striptease- und Romantikszenen in zweitklassigen Film- und Fernsehproduktionen.
Auch sonst hat er eigentlich alles erreicht: Er stand mit der Kelly Family auf der Bühne, arbeitete mit Klaus Lage, sang für die Queen und ließ sich eine Goldene Kamera überreichen. In Dresden ist sogar eine Wiese nach ihm benannt. Seit seinem Auftritt 1988 nennt man den nördlichen Teil der Dresdner Güntz-Wiesen angeblich "Cockerwiese".
Von innen wirklich vollkommen durchgerüttelt
Aber Moment! Was ist nun mit der Ehrenrettung? Auf eine merkwürdig anrührende Weise gibt es einen offenbar unverwüstlichen Kern der Cocker-Kunst. Man spürt ihn auf den Aufnahmen aus Woodstock oder von denen der tollen Tour mit Leon Russell Anfang der Siebziger, als der "fette Klempner aus Sheffield" im Vergleich zu späteren Zeiten beinahe gertenschlank war. Natürlich.
Genauso aber noch auf dem Youtube-Clip eines Auftritts auf dem Coburger Schlossplatz im vergangenen Jahr. Es liegt eine verblüffende und bislang fast ungebrochene Kraft in der Art, wie sich da ein Soulman einen Song einverleibt, ganz und gar, und sich davon einmal von innen wirklich vollkommen durchrütteln lässt, selbst wenn dabei die Arme sehr unansehnlich wackeln und die Finger unkontrolliert zucken. Das grüne Segelschiff, die Kelly Family, die Goldene Kamera - geschenkt.