Jazzkolumne:Große Gesten

Lesezeit: 3 min

Angel Blue und Will Liverman in Terence Blanchard's Oper "Fire Shut Up in My Bones," an der New Yorker Metropolitan Opera. (Foto: Timothy A. Clary/AFP)

Jazztrompeter Terence Blanchard wurde als erster schwarzer Komponist an der Metropolitan Opera aufgeführt. Plus: Neuheiten von Henry Threadgill, Native Soul und Steely Dan.

Von Andrian Kreye

Am Montag vor einer Woche schrieb der Trompeter Terence Blanchard Musikgeschichte. Die Metropolitan Opera in New York eröffnete nach 18 Monaten Covid-Pause ihre neue Saison mit seiner Oper "Fire Shot Up in My Bones". Damit war er der erste schwarze Komponist, der nach 138 Jahren jemals an der Met aufgeführt wurde. Und weil die Oper die größte aller musikalischen Gesten ist, sei dies auch die erste Rubrik der Neuerscheinungen:

Terence Blanchard "Absence" (Foto: Blue Note)

Große Gesten

Terence Blanchard & the E-Collective "Absence" (Blue Note). Auch mit seinem neuen Album schlägt Blanchard einen epischen Bogen. "Absence" ist ein Tribut an Wayne Shorter, der ihn als Komponisten nachhaltig beeinflusst hat. Zusammen mit seiner Band und dem Turtle Island Streichquartett interpretiert er einige von Shorters Werken. Er bleibt aber keineswegs an seinem Vorbild kleben. Das etabliert ihn mehr noch als die Oper als Komponisten einer amerikanischen Klassik, die zwischen Jazz und zeitgenössischer Musik keine Grenzen mehr zieht.

Henry Threadgill & Zooid "Poof" (Pi). Mit ähnlichem Anspruch geht der Saxofonist und Komponist Henry Threadgill an seine Arbeit. Sein neuestes Werk ist zwischen atonaler Musik und Free Jazz deutlich gewagter. Aber er zeigt einmal mehr, warum ihn der Pulitzer Preis für Komposition, den er vor fünf Jahren bekam, auf eine Ebene mit Charles Ives, Steve Reich und Ornette Coleman hob.

Lady Blackbird "Black Acid Soul" (Foto: BMG)

Kleine Gesten

Lady Blackbird "Black Acid Soul" (BMG). Wenn die Sängerin Marley Munroe ihr erstes Album unter dem Pseudonym Lady Blackbird mit Nina Simones Song "Blackbird" eröffnet, ist das Chuzpe. Sie kann das, weil sie eine dieser Jahrhundertstimmen hat, die direkt unter die Haut gehen. Deswegen ist das Album voller Coverversionen unbekannter Folk- und Jazzsongs auch so gelungen. Nicht zuletzt, weil die Instrumentierung so extrem reduziert ist, dass Klavier, Orgel und Bass eigentlich kaum noch begleiten, sondern nur Akzente setzen, um Munroes emotionaler Wucht den maximalen Raum zu geben. In ihrer Heimatstadt Los Angeles ist sie schon eine Sensation. Auch weil sie ihren musikalischen Minimalismus in Videos mit einem Höchstmaß an Diva-Gestus inszeniert.

Dave Holland "Another Land" (Edition). Überhaupt ist Reduktion ein Segen. Nun war der Bassist Dave Holland in Miles Davis' elektrischer Band bei der Geburt des Jazzrock selbst dabei. Wie er den aber mit all seinen kantigen Rhythmen und Ideensprüngen im Trio mit dem Gitarristen Kevin Eubanks und dem Schlagzeuger Obend Calvaire auf seine Essenz eindampft, zeigt, dass Energie auch in diesem Genre nicht gleich Monumentalismus sein muss.

Native Soul "Teenage Dreams" (Foto: Awesome Tapes from Africa)

Neue Wege

On Our Own Clock (Mushroom Hour Half Hour). Eigentlich war geplant, dass sich Musiker aus England, West- und Südafrika in London zu Aufnahmen treffen. Dann kam die Seuche und alle blieben in ihren Studios daheim. Daraus wurde eine surrealistische Collage aus freier Improvisation, found sound objects und Rap. Der genialische Saxofonist Alabaster dePlume hat mitgemacht, der grandiose Schlagzeuger Asher Gamezde, der Tubaspieler der Sons of Kemet Theon Cross. Das findet trotz ein paar Längen erstaunlich gut zusammen.

Native Soul "Teenage Dreams" (Awesome Tapes from Africa). Amapiano ist ein südafrikanisches Genre zwischen Jazz-Ostinato, Deep House und Kraut-Elektronik, das im Heimatland Clubs und Raves dominiert. Das amerikanische Nischenlabel Awesome Tapes from Africa bringt nun erstmals eine Gruppe in den Norden. Das Duo Native Soul klingt exemplarisch: Geschichtete Synkopen, strahlende Klangteppiche, ein Hauch von Jive und immer wieder Klaviermotive von grandioser Schlichtheit. Nicht ganz Jazz, nicht ganz House, aber wen kümmert's, wenn es so ganz anders klingt und einen in den Bann ziehen kann.

Donald Fagen "The Nightfly Live" (Foto: Universal)

Alte Pfade

Steely Dan "Northeast Corridor" (Universal). Es ist dieses Jahr fünfzig Jahre her, dass Walter Becker und Donald Fagen am Bard College ihre Band nach einem Sexspielzeug aus einem William-S.-Burroughs-Roman benannten und dann die fünfte Kolonne des Jazz im Softrock wurden. Seit Beckers Tod macht Fagen mit den üblichen Kohorten exzellenter Profimusiker live weiter. Man findet da so gar nichts Neues, aber die bewährten Stücke mit neuer Kraft und mehr Tempo. Und weil das so erstaunlich gut funktioniert, hat Fagen auch noch sein Soloalbum von 1981 wiederbelebt, das eigentlich auch ein Steely-Dan-Album war und auf "The Nightfly: Live" (Universal) fast noch besser klingt, als damals.

The New Jazz Orchestra "Le Déjeuner sur l'Herbe" (Decca). Weil sich die Londoner Szene gerade so außerordentlich vielschichtig profiliert, bringen sie bei Decca eine ganze Reihe Platten heraus, die vor fünfzig, sechzig Jahren die Emanzipation des britischen Jazz von den amerikanischen Vorbildern markierten. Im New Jazz Orchestra fanden sich viele wie Barbara Thompson, Jack Bruce und Dick Heckstall-Smith, die dann bald berühmt wurden. Die spielten 1968 zwar auch Coltrane und arrangierten hin und wieder wie Gil Evans. Aber ein Anfang war gemacht.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: