Jazz:Stubenhocker in der Unterfahrt

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Johannes Enders und Gäste vertonen das Phänomen "Hikikomori"

Von Oliver Hochkeppel, München

"Hikikomori", so lautet der japanische Begriff für das zuerst dort, inzwischen aber auch in Europa beschriebene Phänomen, wenn sich Menschen, zumeist männliche Jugendliche, für Monate oder gar Jahre in ihre Wohnungen oder Zimmer einschließen und den Kontakt zur Außenwelt und zu anderen Menschen so weit wie möglich meiden. Übermäßiger Erwartungsdruck der Familie oder der Gesellschaft, Mobbing oder andere traumatische Erfahrungen sind meist die Auslöser. Inwieweit davon Musiker - womöglich wegen der extensiven Beschäftigung mit ihrer stofflosen Materie - davon betroffen sind, sei dahingestellt. Jedenfalls hat der Saxofonist Johannes Enders den Begriff zum Titel seines jüngsten Projekts gemacht, das er nun bei der nächsten "Summer Week" in der Unterfahrt vorstellt.

Enders hat mit dem ihm eigenen Humor schon öfter physiologisch-medizinische Anspielungen in seinen Werktiteln untergebracht, angefangen mit "Billy Rubin", was sich auf den Gallenfarbstoff Bilirubin bezog, mit dem er durch eine Erkrankung am Pfeifferschen Drüsenfieber Bekanntschaft gemacht hatte, bis zuletzt beim Album "Endorphin".

"Hikikomori" ist nun das nächste Vehikel für Enders Room, das Elektrojazz-Projekt und Klanglaboratorium des seit Längerem in Leipzig als Professor lehrenden und auch sonst viel beschäftigten 51-jährigen Weilheimers. Parallel zu seinem eher dem klassischen Modern Jazz gewidmeten Quartett, dem clubbigen Enders Dome, dem Orgeltrio Endorg, seiner Gast- oder Begleiterrolle bei internationalen Bands und seiner nach wie vor mitprägenden Beteiligung an den gerne "Weilheimer Schule" genannten Gruppen und Projekten rund um ihn und die Acher-Brüder ist dieser 2002 ins Leben gerufene Seitenstrang wohl sein bekanntester. Vier Alben sind bislang entstanden, immer mit unterschiedlichen Besetzungen, und auch diesmal wird viel Neues ausprobiert. So sind aus seinem Weilheimer Zirkel zwei Notwists dabei, der Vibrafonist Karl Ivar Refseth und Michi Acher an der Trompete und am Sousafon. Sie treffen auf die Schweizer Groove-Meister Wolfgang Zwiauer am Bass und - ein bekanntes Gesicht bei Enders Room - Gregor Hilbe am Schlagzeug sowie auf den in Wien und New York ausgebildeten Kölner Trompeter Bastian Stein, einen der aktuell aufregendsten Vertreter seines Fachs. In der Unterfahrt stößt am Freitag und Samstag auch noch der Schweizer Pianist Jean-Paul Brodbeck dazu, das sonst im Johannes Enders Quartett spielt.

Illustre Begleiter für ein Projekt, das wie die Melange aller Einflüsse klingen soll, die durch sein Hirn und die Seele bislang gefiltert wurden. So drückt es Enders aus. Weit über die übliche Ästhetik des Jazz geht das hinaus, hin zu einer den Pop umarmenden hypnotischen, elektronisch unterfütterte Musik, die vermeintlich Gegensätzliches zu einem organischen Ganzen verbindet.

Enders Room , Dienstag bis Samstag, 13. bis 17. August, 21 Uhr, Unterfahrt, Einsteinstraße 42

© SZ vom 13.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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