Jazzkolumne:Geheimnisträger

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Hasaan Ibn Ali in den Atlantic Studios. (Foto: Larry Fink)

Der Pianist Hasaan Ibn Ali prägte Zeitgenossen wie John Coltrane und McCoy Tyner. Bisher gab es nur ein einziges Album mit ihm. Nun ist ein zweites aufgetaucht.

Von Andrian Kreye

Der Pianist Hasaan Ibn Ali war seiner Zeit weit voraus, was kaum jemand weiß, weil er auch eine gewaltige Nervensäge war. In den Jazzclubs von Philadelphia drückte er Pianisten öfter mal von der Bühne und spielte selbst weiter. Was meist dazu führte, dass die Bläser ausstiegen, weil es fast unmöglich war, seinen Ideen zu folgen. Anfang der Sechzigerjahre waren seine Gedankensprünge, seine Quart-Vorhalte, seine Klangwände und verzahnten Rhythmen einfach nur irre. Er selbst ja auch.

Er lebte als erwachsener Mann immer noch bei seinen Eltern in North Philadelphia. Geboren wurde er 1931 als William Henry Langford. Sein Vater war Koch, seine Mutter arbeitete als Haushalthilfe. Stundenlang saß er im Haus herum und übte. Unter Musikern galt er als schwieriger Eigenbrötler, auch wenn er anfangs noch für durchreisende Stars wie Miles Davis, J. J. Johnson oder Clifford Brown arbeitete. Es waren vor allem seine Nachbarn, die seine Ideen in die Welt trugen. Der Trompeter Lee Morgan lebte in der Gegend, der Pianist McCoy Tyner, der Bassist Jimmy Garrison, der Saxofonist John Coltrane. Es heißt, dass Ibn Alis Ideen Coltrane zur harmonischen Tour de Force "Giant Steps" und zu seinen "sheets of sound" im Spätwerk inspirierten. Gemeinsam gespielt haben sie viel. Nur nicht in der Öffentlichkeit und nicht im Studio.

Wenn jetzt Hasaan Ibn Alis lang verschollenes Album unter dem Titel "Metaphysics" (Omnivore) erscheint, verdoppelt sich sein Gesamtwerk veröffentlichter Aufnahmen. Es war das einzige Mal, dass er unter eigenem Namen aufnehmen durfte. Im Sommer 1965 war das, in den Atlantic Studios in New York. Im Winter davor hatte er dort schon ein Album aufgenommen, allerdings erschien das mit dem Titel "The Max Roach Trio featuring the legendary Hasaan", obwohl alle Stücke darauf seine Kompositionen waren. Roach hatte das Geniale in ihm erkannt und seine Plattenfirma überredet, ihn aufnehmen zu lassen. Die hatten allerdings Vorbehalte, einem vollkommen Unbekannten ein Album zu überlassen. Roach war dagegen als einer der Pioniere des Bebop, als Erneuerer und Bürgerrechtskämpfer ein Star.

Der Pianist Matthew Shipp beschrieb diesen Ansatz neulich als "Black Mystery School Pianists"

Weil das Ergebnis aber so aufregend war, gaben sie Hasaan Ibn Ali dann doch eine Chance. Er stellte sich ein Quartett zusammen. Neben dem Schlagzeuger Khalil Madi und dem Bassisten Art Davis gehörte der Saxofonist Odean Pope dazu, den Ali immer wieder zu sich nach Hause eingeladen hatte. Weil sie sich sofort verstanden. Pope erinnerte sich später an die Tage, als sie atemberaubende Harmonien und Rhythmen ausprobierten. Ali trug bis zum frühen Abend Bademantel. Mittags servierte ihnen der Vater etwas zum Essen, sie spielten noch etwas Schach, um dann den Rest des Nachmittages weiter zu üben. Abends spielten sie in Häusern mit Klavier für Trinkgelder und Zigaretten.

Kurz nach den Aufnahmen wurde Hasaan Ibn Ali wegen Drogenbesitz verhaftet. Das war damals eine beliebte Methode, Jazzmusiker zu drangsalieren. Er konnte jedenfalls nicht zum Abmischen kommen. Atlantic Records ließ die Bänder im Lager verschwinden. Das Lager brannte ab. Jahrelang gab es das Gerücht, dass es eine Kopie geben muss. Jetzt ist sie in den Archiven von Warner Records wieder aufgetaucht. Hasaan Ibn Ali zog sich nach der Enttäuschung mit Atlantic von der Musik zurück. Als 1972 das Haus seiner Eltern niederbrannte, erlitt er einen Schlaganfall und konnte nie wieder spielen. Er verbrachte die letzten Lebensjahre bis zu seinem Tod 1980 in einem Pflegeheim.

Nach 56 Jahren aufgetaucht: Das Album von Hasaan Ibn Ali (Foto: Omnivore Recor)

Auch wenn das Werk so überschaubar ist, sollte man mit dem Max-Roach-Album anfangen, das vom deutschen Label Speakers Corner neu gemastert wurde. Im Trio hört man die Qualität, die Hasaan Ibn Ali so stilprägend machte, und die seinen Mitspielern so viel Geduld abverlangte. Das ist dieser musikalische Übermut, mit der er um Harmonien und Rhythmen herumspielt, ohne sie ganz aufzubrechen, wie seine Zeitgenossen im Free Jazz. Der Pianist Matthew Shipp beschrieb diesen Ansatz neulich in einem Essay als "Black Mystery School Pianists". Thelonious Monk war der Pate dieser Bewegung, zu der Shipp unter anderem Mal Waldron, Randy Weston, Andrew Hill, Sun Ra und den frühen Cecil Taylor zählt. Sie alle spielen außerhalb der gewohnten Formen, aber innerhalb der musikalischen Regeln.

Auf "Metaphysics" strickten Hasaan Ibn Ali und Odean Pope aus diesem Ansatz ein so dichtes Flechtwerk aus musikalischen Ideen und emotionalen Höhenflügen, dass man sich zwei, drei Mal darauf einlassen muss, bis sich die Tragweite erschließt, die diese Musik vor 56 Jahren hatte. Die Geschichte des Albums passt zwar auch gut in die aktuellen Debatten um die rassistische Drogenpolitik der USA, um die tragischen Folgen psychischer Erkrankungen, die damals nur mangelhaft behandelt wurden, wenn Rauschgift ins Spiel kam. Doch auch ohne den gesellschaftsgeschichtlichen Kontext öffnet "Metaphysics" einen Spaltbreit die Tür in ein musikalisches Leben, das zum größten Teil für immer ein Geheimnis bleiben wird.

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