James Cameron ist ein geborener Bastler. Schon die Kampfroboter in seinem ersten Kurzfilm "Xenogenesis" hat er einst selbst aus Kunststoff und Metall zusammengeleimt - heute, dreißig Jahre später, entwickelt er noch immer neue Spezialeffekte. Wenn die aktuell verfügbare Kameratechnik und Computersoftware seinen Visionen nicht genügt, lässt er sein Technikerteam neue Lösungen erfinden, die dann auch gleich patentiert werden.
"Mit "Avatar" haben wir einen neuen Standard für Hollywood gesetzt", sagt Rob Legato, der den komplizierten Titel "Virtual Cinematography System Creator" trägt und schon mit einem anderen Cameron-Projekt namens "Titanic" einen Oscar für visuelle Effekte gewonnen hat: "Nichts wird mehr sein wie zuvor."
Legato steht in einem Raum, den die Filmemacher nur "the Volume" genannt haben - gewissermaßen das Epizentrum des Films, wo die Bewegungen menschlicher Schauspieler, die Motion-Capture-Animationen der Computer und die Umgebungswelt der digitalen Setdesigner zu einer neuen, nie gesehenen Realität zusammengeschweißt wurden. Heute, Monate nach den Dreharbeiten, bietet der alte Hangar bei Los Angeles ein eher trauriges Bild: An den Wänden stapelten sich Eisenstangen, Kabel und dunkle Leinentücher.
Legato aber erklärt, wie den Schauspielern Helmgerüste mit Infrarotkameras umschnallt wurden, wie James Cameron sie in diesem leeren Raum agieren ließ, um jeden Sprung, jede Handbewegung, jedes Blinzeln in digitale Bewegungsdaten zu übersetzen. Dieses sogenannte Performance Capturing diente als Grundlage für die Avatare, die virtuellen Katzenmenschen des Films: drei Meter groß, mit blauer Haut und langem Schwanz. "Er sieht ja aus wie ich", sagt der US-Soldat Jake Sully, als er im Film zum ersten Mal "seinen" Avatar sieht, den er mit seinen Gedanken steuern kann, der Teile seines Genmaterials enthält. Ganz ähnlich wird es dem Schauspieler Sam Worthington gegangen sein, als er zum ersten Mal die Computerfigur sah, die seine Gesichtszüge trägt und seine Bewegungen ausführt: eine technologisch produzierte Ableitung - mit der DNS seiner Performance.
Diese Technik ist seit Peter Jacksons "Gollum"-Figur bekannt und viel beschrieben - aber Rob Legato konnte seinem Regisseur etwas Neues bieten: Immer dann, wenn James Cameron bei den Dreharbeiten die "virtuelle Kamera" einschaltete, die aussieht wie eine Mischung aus Radarpistole und Videospiel-Controller, verwandelte sich die graue, leere Umgebung der Halle in eine fremde Science-Fiction-Welt. Auf dem Monitor sahen Cameron und sein Kamera-Operator nicht länger die Wirklichkeit, sondern schwebende Berge und einen dichten Dschungel. Und an Stelle der Schauspieler standen nun die drei Meter großen Avatare im Raum.
Die fremde Welt von des Planeten Pandora entstand nicht - wie in der Filmbranche sonst üblich - mehrere Monate nach Abschluss der eigentlichen Dreharbeiten vor anonymen Rechnerbatterien, sondern war als dreidimensionaler Raum auf den Monitoren und Servern bereits am Set präsent. Mit der "virtuellen Kamera" konnte James Cameron auf seinem Phantasie-Planeten umhergehen und alles mit seinen eigenen Augen aufnehmen. "Der ganze Raum war auf Modulbasis programmiert", sagt Production Designer Robert Stromberg. "Wenn Jim einen Ast oder einen Stein versetzen wollte, konnten wir das innerhalb von Minuten erledigen."
Filmemacher versuchen seit jeher, die Idee einer Szene, Einstellungen, Kamerabewegungen und gewünschte Effekte zu kontrollieren - mit Storyboards, Modellen oder 3D-Software. Und sie werden immer besser darin. Als Steven Spielberg im Jahr 2005 die Actionszenen für "Krieg der Welten" drehte, konnte er zum Beispiel auf einem kleinen Zusatzgerät ablesen, wie sich die außerirdischen Kriegsmaschinen im Raum bewegen würden. Was er nicht sah, waren die feuerspuckenden Kampfmaschinen selbst, das Chaos, die Action. Genau das ermöglicht nun die " virtuelle Kamera": "Bislang musste der Regisseur seine Vision immer den Spezialisten erklären, die die Kamerafahrten und computergenerierten Bilder dann nachträglich animierten", sagt Rob Legato. "Kein Wunder, dass bei diesem Transfer oft etwas verlorenging".
James Cameron sah das Problem sofort: "Ich kann eine Kamera nicht mit einer verdammten Maus steuern. Das ist lächerlich. Und es ist der Grund dafür, dass computergenerierte Kamerabewegungen immer auch so aussehen: computergeneriert".
Dank der virtuellen Kamera durfte er nun wieder selbst steuern, zeitgleich mit der Performance der Schauspieler. Das gab der Arbeit des Regisseurs im digitalen Zeitalter eine verloren geglaubte Flexibilität zurück. "Alles was auf Pandora passiert, geschieht in Echtzeit", sagt Rob Legato. "Jim konnte verschiedene Dinge ausprobieren, oder auch mal einen Fehler machen, der auf der Leinwand aber ganz phantastisch aussah - es war fast wie auf einem traditionellen Filmset." Das ist die Ironie der neuen digitalen Hypertechnisierung - sie ermöglicht zum ersten Mal wieder das Filmemachen nach der alten Schule.
"Avatar" könnte nun der Film sein, der den Spezialeffekt abschafft - zumindest in seiner Bedeutung als Produktionsproblem, das auf der Leinwand besondere Aufmerksamkeit auf sich zieht. Schauspielerei, physische Kameraarbeit und digitale Additive sind bruchlos in einen hybriden Bilderstrom integriert, die Unterscheidung zwischen fotografischen und computergenerierten Bildern wird hinfällig. Und wirklich, wer könnte schon behaupten, die Kamerafahrten und Actionszenen im Dschungel von Pandora seien "virtuell", also künstlich, falsch, trügerisch? Wenn die Arbeit der Schauspieler und die Vision des Regisseurs in Echtzeit mit den Beiträgen des Computers verschmilzt und jederzeit spürbar bleibt, kann die Digitalisierung nicht länger als Verlust an Weltgehalt beschrieben werden. Der Tanz mit dem Computer, das merkt jeder im Alltag zwischen Schreibtisch und Desktop, ist schließlich allzu real.
Im Video: Regisseur James Cameron hat in Berlin für sein neues Sciene-Fiction-Spektakel "Avatar" geworben. Erste Szenen aus dem Filmkunstwerk