"Imagine" im Kino:Spiel der Sinne

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Der Schauspieler Edward Hogg als Ian in einer Filmszene des Kinofilms "Imagine". (Foto: dpa)

Die Choreografie in Andrzej Jakimowskis Film "Imagine" folgt anderen Gesetzen als denen des Blicks und entführt in eine magische Welt jenseits des Augenlichts.

Von Fritz Göttler

Lissabon, eine offene Stadt, das Kino liebt sie. Die Sonne, die Luft, das Licht, das Meer. Dazu die berühmte Straßenbahn, die sich bedächtig durch engste Straßen hindurchtastet.

Eine Stadt, die allen Sinnen offen steht, ein schöner Ort fürs coming of age. Die Kids in Andrzej Jakimowskis Film "Imagine" sind dagegen eingeschlossen, in einer Klinik in der Stadt, sie sind blind und müssen lernen, sich ohne Sehsinn in der Welt zu orientieren und zu bewegen. Aber glücklich sind sie, wenn sie das Licht auf ihren Gesichtern spüren.

Eines Tages kommt, zur Unterstützung des Unterrichts, aber/weil selber blind, Ian in die Schule (Edward Hogg). Er ist sehr selbstsicher und frech, tappt mit schweren Schuhen über die Pflastersteine, provoziert von Anfang an den Betrieb. Ein Handlungsreisender in Sachen Selbstvertrauen.

Zwischen Vorstellung und Wirklichkeit

Wir brauchen keinen Blindenstock, behauptet er, er nimmt ihn nur, um kräftig auf den Tisch zu hauen im Schulraum. Die Kamera ist voll auf seiner Seite, wenn er die Augen in die Höhe richtet, zeigt sie den blauen Himmel - diesen Blick nennt man gewöhnlich eine subjektive Einstellung. In diesem Film wird, was subjektiv und objektiv sein soll, Imagination und Wirklichkeit, einer so genauen wie spontanen Überprüfung unterzogen.

Echoortung ist Ians Ding. Er schnalzt und schnippt beim Gehen und baut mittels der Schallwellen, die die Objekte ihm darauf zurückwerfen, sich seinen eigenen imaginären Raum. Damit traut er sich sogar auf die Straßen der Stadt, mitten hinein in den Verkehr, unter die Bäume, in ein Café, an den Hafen. Und andere folgen ihm, sie vertrauen ihm, entwickeln trotzige Kühnheit und fassen Lebensmut, an der Spitze die junge Eva, gespielt von Alexandra Maria Lara. Ihr sucht er in der Stadt die wildesten, gewagtesten Schuhe aus, rein nach dem Klang, den die hohen Absätze machen, wenn Eva - zum ersten Mal - durch die Boutique stöckelt.

Jeder Prophet muss ein Blender sein

Der Unterricht ist hart und unsentimental in diesem Film, die Kinder testen Ian unerbittlich, das sind sie gewohnt in ihrer Welt, wo es keinen Augenschein gibt. Sie lassen ihn auflaufen, er muss beweisen, dass er einer von ihnen ist. Sie wollen sich keine Illusionen machen, keine falschen Hoffnungen. Und manchmal taucht für Sekunden eine Spur von Traurigkeit auf in Ians Gesicht, er weiß, dass jeder Prophet am Ende auch ein falscher sein muss, ein Blender.

In Ians Raum gibt es kein Gefälle zwischen Wirklichkeit und Unwirklichkeit, darin ist er ein echtes Kinowesen, wie Walter Mitty. Die Imagination ist ein Wirklichkeitssinn im Kino, die Kamera arbeitet immer dann am intensivsten, wenn sie die Räume jenseits des Blickfelds beschwört, außerhalb der Leinwand.

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Es klingt wie ein Stepptänzer, wenn Ian sich bewegt, und seine beschwingten Lektionen sind wie ein Tanz. Sie haben die traumwandlerische Sicherheit der klassischen magischen Hollywoodmusicals, des reinsten Kinos, das man sich irgendwie imaginieren kann.

Imagine, F/GB/Polen/Portugal 2013 - Regie, Buch: Andrzej Jakimowski. Kamera: Adam Bajerski. Musik: Tomasz Gassowski. Schnitt: Cezary Grzesiuk. Ton: Guillaume Le Braz. Mit: Edward Hogg, Alexandra Maria Lara, Melchior Drouet, Francis Frappat, João Lagarto, Alix Planco, António Rolo, Cláudia Soares, Denilson Gomes . Neue Visionen, 105 Min .

© SZ vom 07.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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