Im Kino: "Fünf Jahre Leben":Frisch aus dem Drehbuchseminar

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Eine Stärke von "Fünf Jahre Leben": Um Schuld oder Unschuld geht es nicht. (Foto: dpa)

Guantanamo bedeutet Willkür, an die sich die Welt irgendwie gewöhnt hat. "Fünf Jahre Leben" erzählt die Leidensgeschichte des Ex-Häftlings Murat Kurnaz. Regisseur Stefan Schaller versucht sich an einer Heldenreise - und macht es sich und den Zuschauern zu leicht.

Von Martina Knoben

Die Decke muss zusammengefaltet auf der Pritsche liegen, wer die Decke anfasst, wird bestraft. Die absurde Regel gehört zum Schreckensapparat im Gefangenenlager der Guantanamo Bay Naval Base, ebenso wie die Tatsache, dass auch derjenige, der die Decke nicht berührt, bestraft werden kann. Guantanamo bedeutet Willkür. Hier braucht es keine Gründe, um Menschen einzusperren, einzuschüchtern und zu prügeln. Dass es dieses Lager immer noch gibt, als mehr oder weniger rechtsfreien Raum, dass dort Menschen ohne Gerichtsverfahren auf unbestimmte Zeit inhaftiert und sogar gefoltert werden, ist ein Skandal - an den sich die Welt aber irgendwie gewöhnt hat.

"Fünf Jahre Leben" zeigt Guantanamo von innen, aus dem Blickwinkel eines Menschen, der dort fünf Jahre lang eingesperrt war. Wenn Stefan Schaller die Leidensgeschichte des prominenten Ex-Häftlings Murat Kurnaz ins Kino bringt, um mit den Mitteln des Spielfilms auf das Unrecht dieses Lagers hinzuweisen, dann ist das an sich schon eine gute Sache. Selbst dann, wenn der Film nicht durchweg gelungen ist, oder wenn er am Ende zu harmlos sein sollte - das jedenfalls hat der echte Murat Kurnaz dem Film attestiert. Und obwohl nur er selbst wirklich wissen kann, was ihm angetan wurde, von Anfang 2002 bis August 2006 in Guantanamo, möchte man Kurnaz zustimmen: "Fünf Jahre Leben" macht es sich und dem Zuschauer zu leicht.

Der Film ist Schallers Abschlussarbeit an der Filmakademie Baden-Württemberg. Für Kurnaz' Schicksal hatte sich der Regisseur schon vor seinem Studium interessiert, da saß Kurnaz noch in Haft. Im Herbst 2001, nur wenige Wochen nach den Anschlägen des 11. September, war der gebürtige Bremer mit türkischem Pass nach Pakistan gereist, um mehr über den Koran zu lernen. Dort war er verhaftet und den Amerikanern übergeben worden. Als vermeintlicher Taliban-Kämpfer landete Kurnaz 19-jährig in Guantanamo; und es dauerte fast fünf Jahre, bis er freikam, obwohl selbst die Amerikaner ihn für unschuldig hielten und schon 2002 bereit waren, ihn freizulassen.

Die unrühmliche Rolle, die deutsche Behörden in dem Fall spielten, vom Außenministerium bis zum Verfassungsschutz; die Tatsache, dass der damalige Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier Kurnaz' Wiedereinreise in die Bundesrepublik maßgeblich verhinderte; und auch, dass die türkischen Behörden sich wenig für Kurnaz einsetzten - all das erwähnt Schaller leider nur am Rande. Er verdichtet - und reduziert - den Politskandal zur Leidensgeschichte und zum Duell, das sich Kurnaz (Sascha Alexander Geršak) und der amerikanische Verhörspezialist Gail Holford (Ben Miles) liefern.

Holford ist kein Sadist, aber ein gewiefter Verhörtechniker, der alle Facetten des Good-cop-bad-cop-Spiels beherrscht. Mal ist er ein Verführer, der mit Fastfood lockt, mal droht er Kurnaz mit der Amputation von Gliedmaßen. Es ist ein ungleicher Kampf, den man aus dem Gefängnisfilm kennt, wie auch den Einfall, Kurnaz einen Leguan als "Haustier" mit in seine Zelle zu geben. Er wird sein einziger Freund, und ein Freund macht verwundbar.

Dabei werden die Räume um Kurnaz immer enger, das gehört zu Schallers Konzept: von den berüchtigten Käfigen unter freiem Himmel im Camp X-Ray bis zur ultimativen Weltferne der Isolationszelle, die mal zur Kälte-, dann zur Hitzekammer wird, in der Kurnaz auch mit Heavy-Metal-Musik zugedröhnt wird. Aus dem Mini-Budget eines Filmhochschulprojekts macht Schaller bemerkenswert viel. Auch dank Sascha Alexander Geršak, der in seiner ersten Hauptrolle eindringlich (und zunehmend verzottelt an Haar und Bart) die verschiedenen Gefühlszustände spielt, durch die der Lagerhäftling Kurnaz geht: Von der ohnmächtigen, aber auch naiven Verzweiflung des Newcomers bis zur desillusionierten Härte eines Mannes, der das System durchschaut hat und den man deshalb nicht mehr beugen kann.

Schaller, der genauso alt ist wie Kurnaz und wohl auch deshalb eine besondere Nähe zu seinem Protagonisten spürt, interessiert sich vor allem dafür, wie Kurnaz die Torturen des Lagers - psychisch wie physisch - überstehen konnte. Dass der Häftling keinen ernsthaften Schaden an seiner Seele in Guantanamo genommen hat, scheinen die Amateuraufnahmen von Kurnaz' Hochzeit am Ende zu illustrieren. Schaller selbst nennt Kurnaz' Leidensgeschichte im Presseheft eine "Heldenreise" - ein Begriff aus dem Drehbuch- und Dramaturgieseminar, das Grundmuster von Mythologien und eine gerade in Hollywood beliebte Erzählstrategie. Nun ist der "War on Terrorism" aber kein "Krieg der Sterne", weshalb die Typisierung von Figuren und Situationen, die das Heldenmuster verlangt, in "Fünf Jahre Leben" eher stört. Will man den Widerstand gegen ein System, in dem Menschenrechtsverletzungen nicht nur "passieren", sondern gewollt und geplant sind, auf das dramatische Muster des Zweikampfs reduziert sehen?

Zur Verdichtung, die Schaller anstrebt, gehört auch, dass er die eigentliche Handlung auf die ersten zwei Jahre beschränkt, die Kurnaz in Guantanamo interniert war. Um die Vorgeschichte zu erzählen, die gleichzeitig Stationen der Heldenreise darstellen - Kurnaz' Leben in Deutschland, seine Abreise und Verhaftung in Pakistan - werden, nicht immer elegant, Rückblenden eingefügt. Da wird dann der Tod eines Freundes zur Wende in Kurnaz' Leben: War er vorher ein ausgesprochen weltlicher Typ, als Kampfsportler und Türsteher einer Disco, wendet sich Kurnaz nach diesem Erlebnis dem Islam zu. Ob der Mann, der Kurnaz zur Reise nach Pakistan überredete, wirklich ein Terrorist war, wie Holford im Verhör mitteilt, lässt der Film aber offen.

Um geheimdienstliche Informationen, Schuld oder Unschuld, auch von Kurnaz, geht es in "Fünf Jahre Leben" nicht, das ist eine Stärke des Films. Damit ist Schallers Debüt das Gegenstück zu Kathryn Bigelows "Zero Dark Thirty", der in der Folter einen Sinn sehen wollte, ein Mittel der Informationsbeschaffung. Nicht einmal die Amerikaner, so Schallers bedenkenswerte These, hätten ab einem gewissen Zeitpunkt an Kurnaz' Schuld geglaubt. Das Geständnis, das sie erzwingen wollten, hätte nur noch dazu gedient, die Existenz des Lagers, Kurnaz' Inhaftierung und Folter zu rechtfertigen.

Fünf Jahre Leben , D 2013. Regie: Stefan Schaller. Buch: Schaller, David Finck. Kamera: Armin Franzen. Mit: Sascha Alexander Geršak, Ben Miles, Trystan Pütter . Verleih: Zorro Film, 96 Minuten.

© SZ vom 28.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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