Im Gespräch: Nury Vittachi:Der Globalese

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Als Journalist in Hongkong erhielt er Schreibverbot, nun ist Nury Vittachi Feng-Shui-Krimi-Autor und gibt Managern Kamasutra-Tipps. Ein Gespräch über kulturelle Eigenheiten.

Martina Scherf

Der Mann, der in Interviews als Komiker beschrieben wird, hat sehr kleine, feine Hände, eine große Nase, trägt stets asiatische Anzüge mit Stehkragen, und obwohl seine Augen unruhig hin und her wandern, taxiert er sein Gegenüber genau. Der Journalist und Schriftsteller ist in Sri Lanka geboren, in London aufgewachsen und lebt seit seiner Hochzeitsreise vor mehr als 20 Jahren mit seiner englischen Frau und drei chinesischen Adoptivkindern in Hongkong. Als Kolumnist, Buchautor und Herausgeber einer Literaturzeitschrift erreichte er dort Kultstatus, weil er unter anderem über das Unverständnis asiatischer Gebräuche durch Europäer berichtete und auch Regimekritik übte. Als die Kronkolonie 1997 an China überging, erhielt er Schreibverbot und wurde, wie er selbst sagt, "zum bestbezahlten Arbeitslosen Hongkongs". Er begann, die Abenteuer von Fengshui-Meister C. F. Wong und Joyce McQuinnie aufzuschreiben.

"Ihr bekommt von uns Pokemon und Nintendo, Feng Shui und Ayurveda, und wir lernen Parties feiern, gute Roman schreiben und den Kunstmarkt zu nutzen": Nury Vittachi. (Foto: Foto: privat)

Gerade ist er auf Lesereise in Deutschland, um seinen fünften Krimi: "Der Feng-Shui-Detektiv im Auftrag Ihrer Majestät" (Unionsverlag) vorzustellen. Sein Detektiv, Mr. Wong, ist ein kauziger, knochiger, geldgieriger Chinese, der es mit seinem Feng Shui immer wieder schafft, Balance in menschliche Beziehungen zu bringen - auch wenn er von einer Katastrophe in die nächste tappt.

sueddeutsche.de: Herr Vittachi, Sie haben eine Mission, richtig?

Nury Vittachi: Kann man so sagen. Ich will die asiatische Kreativität fördern. Da ist ein enormes Potential ungenutzt. Wenn ich durch Münchens Straßen wandle und all das schöne Design, die Buchläden, Museen und Theater sehe, dann staune ich. Und denke: Ihr Westler transportiert Eure Kultur sehr erfolgreich in die ganze Welt. So was müssen wir auch erreichen.

sueddeutsche.de: Dafür investieren Sie eine Menge Zeit. Sie schreiben Kolumnen, Krimis, Sach- und Kinderbücher, organisieren Schreibwettbewerbe, Literaturfestivals ...

Nury Vittachi: Stellen Sie sich vor, es gelang mir, das Booker-Prize-Komitee davon zu überzeugen, dass sie Geld für einen asiatischen Booker-Prize ausgeben! Und wollen Sie wissen, was das neueste Projekt ist?

sueddeutsche.de: Natürlich.

Nury Vittachi: Ein Preis für SMS-Poesie. Wir mussten allerdings die Jury in Hongkong durch Teenager ergänzen - die älteren Kollegen konnten die Texte gar nicht lesen.

Vittachi grinst und seine Augen wandern unruhig durch den Raum. Die lila getönte Sonnenbrille hat er inzwischen hoch auf seinen kahlen, wohlgeformten Schädel geschoben.

sueddeutsche.de: Ihr Detektiv, Mr. Wong, reist von Buch zu Buch zu einem anderen Schauplatz: Hongkong, Singapur, Sydney, Schanghai, jetzt sogar London, wo er den Buckingham-Palast "fengshuien" und nebenher noch einen Mord aufklären soll. Ist er ein ähnlich unruhiger Geist wie Sie?

Nury Vittachi: Für eine Krimiserie ist der Schauplatz Hongkong zu klein. Und Menschen in Hongkong oder Singapur reisen, wie ich selbst, viel. Wenn Sie in München jemand fragen: Wie oft fliegen Sie nach Übersee? Dann sagt er vermutlich: ein- zweimal im Jahr. Leute in Hongkong fliegen zehn, zwanzig Mal.

sueddeutsche.de: Haben Sie auch schon mal, wie der Feng Shui Detektiv in Schanghai, einen Frosch mit noch schlagendem Herzen verspeist?

Nury Vittachi: Ich bin Vegetarier, wie fast alle in meiner Familie. Aber so was gibt es, auch heute noch! Oder lebendige Shrimps, die werden aufgespießt, am Tisch in eine heiße Suppe getaucht und dann gegessen. In China kennt das jedes Kind.

sueddeutsche.de: Und da sagen Sie, die asiatische Küche sei raffiniert?

Nury Vittachi: Sie ist tausendmal feiner als die westliche! Gestern probierte ich in München Schweine- und Entenbraten. Gut, ja, aber doch sehr einfach. Bei uns wären da mindestens 71 Zutaten beteiligt.

sueddeutsche.de: Also kein Ausgleich auf kulinarischem Gebiet?

Nury Vittachi: Vielleicht dort am wenigsten. Aber sonst glaube ich sehr an eine Annäherung in Zukunft. Es passiert ja schon: Ihr bekommt von uns Pokemon und Nintendo, Feng Shui und Ayurveda, und wir lernen Parties feiern, gute Roman schreiben und den Kunstmarkt zu nutzen.

sueddeutsche.de: Was sind die größten Vorurteile?

Nury Vittachi: Oh, da gibt es so viele! In meinem Blog sammle ich Vorurteile aller Art. Heirat, zum Beispiel. Asiaten schrieben mir, der Westen habe die Institution Ehe zerstört. Nein, wir haben die Ehe doch erfunden, antworten Westler. So geht das hin und her. Oder: Die Asiaten seien gut in Mathe. Aber fragen sie mal Schulkinder, was zwei mal zwei ist. Die asiatischen Sprachen, die ja nicht logisch aufgebaut sind, haben dafür viele Bedeutungen - fürchterlich! Oder: Asiaten hätten keinen Humor. Stimmt nicht. Natürlich nicht die Parteifunktionäre, die sicher nicht. Aber schauen Sie auf die Straßen, in den Philippinen zum Beispiel. Da finden Sie eine Bäckerei, die "Bread Pitt" heißt oder einen Metzger, der "Meating Place" über die Tür geschrieben hat. Man muss auch nur ins Internet schauen, in die Blogs von Studenten oder Theatergruppen. Da versteckt sich eine Menge Humor!

sueddeutsche.de: Was sind Ihre nächsten Buchprojekte?

Nury Vittachi: Mr. Wong wird wohl das nächste Mal nach Indien reisen. Denn noch vor Feng Shui gab es das indische Vastu. Das sollen meine Leser kennenlernen. Und dann kommt noch ein Sachbuch über die Weltsprache der Zukunft: Globalese. Chinesische Sprachbilder mit englischen Wörtern durchsetzt. Das spricht in Asien ja jetzt schon jeder, zum Beispiel "Long time no see" oder "same, same". Vittachi beginnt, den Anfang der Bibel in Globalese, eine Art Chinglish, wiederzugeben und freut sich dabei wie ein Kind.

sueddeutsche.de: Sie haben auch ein Buch "Kamasutra für Manager" geschrieben, das sich in Deutschland gut verkauft. Darin ging es nicht um Sex, oder?

Nury Vittachi: Das ist ja nur ein ganz kleiner Teil des Kamasatura! Nein, ich versuchte, den asiatischen Begriff des Dharma aufs Wirtschaftsleben zu übertragen: "Wenn du anderen Gutes tust, dann nützt das auch dir selbst", denn es lenkt - ganz pragmatisch - den Fokus von dir auf andere. Im Westen ist neuerdings viel von "work-life-balance" die Rede. In den asiatischen Philosophien kommt noch was hinzu: Arbeit, Leben, Gutes-Tun.

sueddeutsche.de: Haben das die chinesischen Machthaber auch schon verstanden?

Nury Vittachi: In China passieren natürlich immer noch furchtbare Dinge. Aber es gibt auch - zugegeben kleine - Fortschritte, in Sachen Umwelt, zum Beispiel. Wir müssen eben dazu beitragen, dass sie es lernen.

sueddeutsche.de: Sind Sie Optimist?

Nury Vittachi: Oh ja. Wenn Sie Kinder haben, müssen Sie Optimist sein.

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