Im Gespräch: José Padilha:"Sie setzten mich massiv unter Druck"

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Regisseur José Padilha über seinen Ruf als Linksradikaler, seinen Ruf als Rechtsradikaler und seinen neuen Film über Polizeigewalt in Brasilien.

Benedikt Sarreiter

Der Regisseur José Padilha aus Rio de Janeiro gewann 2003 einen Emmy für den Dokumentarfilm "Ônibus 174". Sein aktueller Film ist der erfolgreichste brasilianische Film seit Fernando Mereilles' "City Of God". Der Cop-Thriller über die Spezialeinheit BOPE, eine Art brasilianische GSG 9, und den Drogenkrieg in Rio führte zu heftigen Diskussionen in der brasilianischen Öffentlichkeit.

José Padilha bei der 58. Berlinale, bei der sein Film "Tropa de Elite" mit dem goldenen Bären ausgezeichnet wurde. (Foto: Foto: Getty Images)

SZ: Senhor Padilha, Sie sind derzeit der umstrittenste Regisseur Brasiliens. Sie werden von manchen als radikaler Linker, von anderen wiederum als radikaler Rechter bezeichnet. Wo stehen Sie denn jetzt?

José Padilha: Weder radikal links, noch radikal rechts. Aber zwei meiner Filme handeln von einem Thema, das in Brasilien immer kontrovers diskutiert wird - die Gewalt in den Städten. Allgemein wird behauptet, dass Armut der Grund für das hohe Gewaltaufkommen ist. So einige Statistiken sagen allerdings etwas ganz anderes. Rio de Janeiro hat zum Beispiel weniger Armutsprobleme als vergeichbare Städte in anderen Ländern, die Zahl der Morde, Raubüberfälle oder Entführungen ist aber viel höher. Es muss da also etwas speziell Brasilianisches geben. Ich habe versucht, das darzustellen.

SZ: Wie kann man das darstellen?

Padilha: Im Dokumentarfilm "Ônibus 174" erzähle ich die Geschichte von Sandro Nascimento, der 2000 einen Linienbus in Rio entführt hat. Sandro wurde von klein auf misshandelt. Als Straßenkind von der Polizei, später von den Aufsehern in den Einrichtungen für jugendliche Straftäter, noch später im Gefängnis. Der Film zeigt, kurz gesagt, wie der Staat Jugendliche, die einmal auf die schiefe Bahn gekommen sind, immer weiter erniedrigt und letztendlich aus Kleinkriminellen gewalttätige Individuen macht. Es gab Leute, die mir vorwarfen, ich würde mit dem Film das brutale Verhalten Sandros während der Entführung entschuldigen. Sie nannten mich einen radikalen Linken.

SZ: Und wie wurden Sie zum radikalen Rechten?

Padilha: Durch "Tropa de Elite". Mit "Tropa" nähere ich mich dem Problem von der Seite der Polizei. Ich stelle die Frage: Warum sind in Brasilien Polizisten oft korrupt und gewalttätig? Nun wurde mir vorgeworfen, ich würde Polizeigewalt entschuldigen. Es gab Leute, die mich einen Faschisten nannten. Ich wollte aber keinesfalls die Polizei in Schutz nehmen, sondern zeigen, dass alle Teil dieses speziellen, brasilianischen Spiels sind - die Drogenkonsumenten aus der Mittelschicht, die Politiker, die Polizei, Leute wie Sandro, die Dealer... Natürlich hat jeder eine andere Perspektive auf dieses Spiel und dadurch auch auf meinen Film. Und letztendlich auch auf mich als Regisseur.

SZ: Was meinen Sie mit Spiel?

Padilha: Ich denke an das Spiel als Modell sozialen Verhaltens. Jeder Spieler verhält sich nach den Regeln, die ihm das Spiel vorgibt und versucht dabei, das Beste für sich rauszuholen. Ein Polizist in Rio verdient 400 Dollar im Monat, ist schlecht ausgebildet und muss sich als Vertreter einer korrupten Institution mit brutalen Kriminellen herumschlagen. Wie verhält sich ein Polizist, wenn das die Regeln des Spiels sind? Ein korrupter Polizist ist immer auch das Produkt des Spiels, dessen Regeln wir alle mitbestimmen. Um die Situation zu verändern, müssen wir die Regeln ändern.

SZ: Wie hat die Polizei versucht, den Filmstart zu verhindern?

Padilha: Erst wollte sie ihn verbieten lassen. Zwölf Vertreter der Spezialeinheit BOPE reichten Klagen ein, um den Kinostart zu verhindern, und um uns zu zwingen, Szenen aus dem Film zu schneiden, in denen Polizisten töten und foltern. Dann forderten sie mich auf, die Namen meiner Informanten zu nennen. Sie setzten mich massiv unter Druck. Doch die Presse stärkte mir den Rücken, mein Anwalt verhandelte gut. Am Ende wurden alle Klagen abgewiesen. Jenseits der Führungsriege ist die Meinung aber eine andere. Ich habe oft mit Polizisten diskutiert, die jeden Tag auf der Straße im Einsatz sind. Fast alle fanden meinen Film gut. Sie kennen die Wirklichkeit, in der sie leben. Warum sollten sie so tun, als würde sie anders aussehen?

SZ: Sie haben intensiv für "Tropa de Elite" recherchiert. War es schwierig, Informanten zu finden?

Padilha: Die Recherche dauerte zwei Jahre. Ich habe mit ehemaligen und noch aktiven Polizisten und Polizeipsychiatern gesprochen. Es war nicht besonders schwierig, mit ihnen in Kontakt zu kommen, weil mein Co-Autor ein ehemaliger BOPE-Kapitän ist. Die meisten Interviewten brannten geradezu darauf, ihre Erfahrungen im Job und ihre Meinung über die Gesellschaft, in der sie ihn tun, loszuwerden. Sie identifizieren sich mit dem Drehbuch und den Figuren des Films.

SZ: Warum haben Sie als Dokumentarfilmer einen Spielfilm über das Thema gemacht?

Padilha: Ich wollte zuerst einen Dokumentarfilm drehen. Doch das hat sich als unmöglich erwiesen. Vor der Kamera wollte dann doch kein Polizist reden. Außerdem wäre es einfach zu gefährlich gewesen, bei den Einsätzen der Spezialeinheit dabei zu sein.

SZ: Trotzdem hat Ihr Film eine dokumentarische Anmutung.

Padilha: Ich habe den Schauspielern weder Dialoge vorgegeben, noch habe ich sie in eine bestimmte Richtung geführt. Ich habe jede Szene so gedreht, als hätte ich nur eine Möglichkeit, sie zu drehen. Die Kamera war immer in Bewegung, versuchte vorauszuahnen, was die Schauspieler als nächstes tun. Es war also ein bisschen so, als würden wir einen Dokumentarfilm machen. Eine Abbildung der Realität mit den dramaturgischen Mitteln des Kinos.

SZ: Zur Abbildung der Realität gehören auch Originalschauplätze. Dafür mussten Sie in Favelas drehen. Wie haben Sie sich mit dort regierenden Druglords arrangiert?

Padilha: Wir haben den dafür üblichen Weg gewählt. Zuerst stellt man eine Anfrage bei der offiziellen Vertretung der Favela, die fragen dann die Druglords. Wir hatten also indirekt deren Erlaubnis. Trotzdem wurde in einer Favela eines unserer Fahrzeuge von acht als Polizisten verkleideten Dealern entführt. Im Auto waren vier Crew-Mitglieder und die ganzen Schusswaffen für die Dreharbeiten, die meisten davon waren echt. Das hat den Film fast gekillt. Wir konnten acht Tage nicht arbeiten, mussten neue Drehorte suchen und Szenen noch mal drehen.

SZ: Der Protagonist ihres Films, Kapitän Nascimento, foltert mehrere Male Favela-Bewohner. Können Sie sich erklären, warum er von manchen als Held gefeiert wird?

Padilha: Für mich ist Nascimento ja eher ein Antiheld. Er leidet unter Angstzuständen, seine Ehe scheitert an seinem Beruf, er lässt seinen Frust im Einsatz raus. Ich habe mit vielen Leuten über den Film gesprochen. Kein einziger fand das brutale Verhalten Nascimentos gut oder unterstützenswert.

SZ: Aber es gab Leute, die sich wegen ihm eine BOPE-Uniform gekauft haben.

Padilha: Natürlich gibt es in Brasilien Leute, die Nascimento als Held sehen, weil sie glauben, Gewalt sollte mit Gewalt bekämpft werden. Aber die gibt es in Deutschland sicherlich auch. Es war jedenfalls nicht meine Absicht, mit Nascimento einen brasilianischen Helden zu schaffen.

SZ: Und besonders für Mitglieder der Unterschicht ist er das auch nicht. Die sehen "Tropa de Elite" als kleine Rache an der Polizei.

Padilha: Ja. Viele Brasilianer leiden unter Korruption und Polizeigewalt und können sich nicht einmal darüber beschweren, weil Beschwerde einlegen sehr riskant ist. "Tropa de Elite" ist der erste Film, der das ungerechte Verhalten der Polizei ganz direkt zeigt. Viele Leute haben sich dafür bei mir bedankt. Sie sagten, die Polizei bekomme das zurück, was sie verdiene. Das wollte ich natürlich auch nicht - aber so ist das nun eben.

© SZ vom 10.8.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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