Im Gespräch: David Golumbia:Twitter? Überschätzt!

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Die Massen bekommen Macht, aber Konzerne werden noch viel mächtiger: Für den Kulturkritiker und Computerprogrammierer David Golumbia stecken hinter den Neuen Medien die alten Kräfte.

Johannes Boie

David Golumbia entwickelte von 1993 bis 2002 Software für Banken und Börsen. Eines seiner Hauptprojekte war die Entwicklung einer Software, mit der Investmentbanker Daten graphisch manipulieren konnten, um bessere Ergebnisse vorzuweisen. Mittlerweile gilt er als harter Kritiker des digitalen Wandels. Seit 2003 ist er Englischprofessor an der Universität von Virginia, wo er Sprachsoftware entwickelt. Sein Buch "The Cultural Logic of Computation" erscheint demnächst bei Harvard University Press.

"Computationalismus" heißt der Glaube, der unsere Gesellschaft laut David Golumbia prägt. (Foto: Foto: ddp)

SZ: Die Proteste in Iran sind vorerst verstummt. Aber wenigstens konnte die ganze Welt dank des Kurznachrichtendienstes Twitter mit dabei sein. Sind Neue Medien nicht etwas Großartiges?

David Golumbia: Ich bezweifle, dass Twitters Wirkung für die Proteste wirklich so großartig war, wie viele Leute das gerne hätten. Vielleicht handelt es sich einfach nur um Werbung für Twitter.

SZ: Aber wäre diese Art von Protest ohne Twitter überhaupt möglich gewesen?

Golumbia: Das ist sehr westlich und kapitalistisch gedacht, wenn man behauptet, dass Twitter eine grundlegende Rolle bei den Protesten gespielt habe. Wenn man die gesamte Kommunikation betrachtet, die zu den Protesten in Iran beigetragen hat, tendiert Twitters Beitrag eher gegen null.

SZ: Hierzulande hatte man aber den Eindruck, dass Twitter eine große Rolle spielt.

Golumbia: Weil sich die ganze Aufmerksamkeit auf die technologischen Aspekte der iranischen Proteste richtete. Genau genommen hat der starke Fokus auf den technischen Aspekt die ernsthafte Debatte über das, was wirklich geschieht, sogar gestört. Die Technik-Fans glauben, dass man soziale Probleme mit digitalen Mitteln lösen kann. Nur die allerwenigsten beschäftigen sich allerdings mit den komplexen sozialen Problemen, für deren Lösung man neue Ideen benötigt.

SZ: Profitieren nur die Bürger der reichen Nationen vom Netz?

Golumbia: Auch das ist zweifelhaft. Die Infrastruktur des Netzes lässt ihre Nutzer einen hohen Preis bezahlen. Sie benutzt die Nutzer genauso, wie sie von ihnen benutzt wird. Ein Beispiel: Jeder will sein Bankkonto online verwalten können. Aber auch die Bank will, dass der Nutzer sein Bankkonto mit dem Computer verwaltet, weil dadurch eine digitalisierte, eine "computerisierte" Version von ihm entsteht, die die Bank wie eine Ressource verwalten kann. Insbesondere die Linke, die sich traditionell mit solchen Fragen beschäftigte, lässt derzeit an dieser Stelle Diskurs vermissen.

SZ: Warum sollten die Neuen Medien nicht helfen? Sie verleihen doch Individuen weltweit hörbare Stimmen.

Golumbia: Die Möglichkeiten der Massen sind überhaupt nicht mit dem vergleichbar, was "Superuser" wie die Supermarktkette Wal-Mart oder Regierungen mit Computern machen können. Der Glaube, dass es sich beim digitalen Wandel um ein Nullsummenspiel handelt, ist weit verbreitet: Wir bekommen Macht, also müssen die Großen Macht verlieren. Es ist aber genau umgekehrt: Die Massen bekommen Macht, aber Konzerne und Regierungen werden mit den neuen Medien proportional noch viel mächtiger. In einer großen Perspektive bleibt die Ausbeutung dieselbe. Und es gibt verdammt wenig Internet-Apologeten, die sich mit der Frage befassen, was die Neuen Medien für die Tausenden bedeuten, die in den Minen, in denen Material für Computerchips gewonnen wird, sterben.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie konservative Kräfte agieren.

SZ: Zu der Sie selber gehören?

Golumbia: Ja. Ich bin von marxistischen Denkweisen beeinflusst. Aber die meisten Leute, die sich heute für links oder grün oder sogar sozialistisch halten, werden im Zuge der digitalen Veränderungen von konservativen Positionen aufgesogen, ohne es zu merken.

SZ: Wie sieht das konkret aus?

Golumbia: Ein einfaches Beispiel ist, dass viele Linke große Apple-Fans sind, weil sie sich selbst und die Marke als "kreativ und cool" empfinden. Das mag schon stimmen. Aber gleichzeitig ist bekannt, dass Apple eine ziemlich autoritäre Firma ist und sich über interne Arbeitsabläufe ausschweigt.

SZ: Andererseits sind die Entwicklungen - auch die von Apple - Geräte, die die Welt verändern. Wenn man an die Zeit vor der Erfindung des Computers denkt, durchleben wir einen gewaltigen, radikalen Bruch.

Golumbia: Das Internet hat viele Dinge fundamental verändert. Ich bin alt genug, um meine vielen Kisten mit Vinyl-Platten gegen ein kleines, tragbares Gerät getauscht zu haben. Aber die Menschen konzentrieren sich zu sehr darauf, wo uns die Technik hintreibt anstatt zu fragen, wo wir hin wollen. Die Welt in einen besseren Ort zu verwandeln ist keine Aufgabe für Computer.

SZ: Aber markiert das Internet nicht doch einen radikalen Bruch?

Golumbia: Wenn man in der Kulturgeschichte zurückblickt, stellt man fest, dass radikale Brüche selten sind. Und weil der Begriff "Medien" nur eine Metapher für "Kommunikation" ist, und Kommunikation seit jeher Teil des menschlichen Daseins ist, könnte man gleichzeitig behaupten, dass sich Medien jederzeit stark verändern. Im Übrigen sind diejenigen, die so gerne an den "radikalen Bruch" glauben möchten, nicht die, die von ihm profitieren würden.

SZ: Wer profitiert dann davon?

Golumbia: Neoliberale, neoimperialistische Thinktanks und politische Organisationen, die für ihre Vorstellung von ökonomischer Globalisierung kämpfen. Die Veröffentlichungen der Rand Corporation (ehemals militärischer Thinktank, Anm. d. Red.) aus den Siebzigern machen im Nachhinein klar, warum sie damals für ein vernetztes Computersystem geworben haben. Weil es damit leichter wird, weite Teile der Welt auszubeuten, sich Ressourcen anzueignen und ganze Regionen zu kontrollieren. Diese Erkenntnis kommt direkt aus der vergangenen Politik der Imperialmächte: Kommunikation und Kontrolle waren früher Schwachpunkte. Heute kann ein Wal-Mart-Manager auch die Produktion im chinesischen Hinterland ganz einfach überwachen.

SZ: Demnach stärkt - anders als viele glauben - die digitale Entwicklung nur den Status quo?

Golumbia: Ich nenne diesen Glauben "Computationalism". Eine Ideologie, die sich selber als neu darstellt, aber tatsächlich in verkappter Form nur bekannte kapitalistische und neoliberale Praktiken transportiert. Ich nutze den Begriff mittlerweile, um auf eine ganze Reihe von Standpunkten hinzuweisen, die das Hirn, vor allem aber die Sprache als computerartig betrachten.

SZ: Woher leiten Sie diesen Begriff ab?

Golumbia: Die Idee des Computationalismus habe ich durch die Lektüre angloamerikanischer Philosophie und sprachwissenschaftlicher Texte bekommen. Da fiel mir auf, dass es einen starken Drang gibt, unsere Gedanken und Sprache mit der Funktion von Computern zu vergleichen. Der Spracherkennungs- und Künstliche-Intelligenz-Forscher Ray Kurzweil ist der berühmteste "Computationalist", der glaubt, dass das Hirn ein Computer sei. Der Mathematiker und Erfinder der Suchmaschine Wolframalpha Stephen Wolfram behauptet sogar, dass praktisch alles im Universum ein Computer sei. Mich interessiert, warum diese Sichtweisen so fesselnd sind, obwohl überhaupt kein einziger Beweis vorliegt, dass sie stimmen könnten. Ganz im Gegenteil - Philosophen wie Hilary Putnam oder Ludwig Wittgenstein haben konsequent dagegen argumentiert.

SZ: Das sind Forscher. Taucht diese Geisteshaltung denn schon im Alltag auf?

Golumbia: Ich befürchte, dass Computationalism schon einen enormen Einfluss auf unser Leben und die Art und Weise, wie sich Menschen in die Gesellschaft einbringen, genommen hat. Die Menschen werden dadurch stärker in das weltweite Kapital-Netzwerk integriert als jemals zuvor. Nicht nur der Einzelne. Die ganze Gesellschaft wird heute deutlicher um das Kapital herum organisiert als je zuvor.

SZ: Gibt es für Sie keinen Weg, die Neuen Medien sinnvoll einzusetzen?

Golumbia: Barack Obama hat sie während seiner Kampagne meisterhaft verwendet. Er machte seine politischen Ziele stets klar. Doch neue Medien sind bei ihm niemals mehr als einer von mehreren Kanälen, die er nutzt, um seine politische Effizienz zu maximieren. Der digitale Diskurs nahm in der Debatte um und mit Obama stets einen geringen Stellenwert ein, anders als zum Beispiel bei den Protesten in Iran.

© SZ vom 6.7.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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