Heinz Bennent zum 90.:Barfuß im Park

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Er war stets ein Fremdkörper des Theaters, zu unabhängig und eigen, um sich von etwas anderem vereinnahmen zu lassen als von der Figur, die er gerade verkörperte. Und doch ist Heinz Bennent einer der wenigen echten deutschen Stars. Nun wird der exzentrische Schauspieleinzelgänger neunzig.

Christopher Schmidt

In den neunziger Jahren gastierte Heinz Bennent mit seinem Hölderlin-Abend im Münchner Institut français. Der Schauspieler saß bereits während des Einlasses auf der Bühne, barfuß und im Schneidersitz - ein Yogi, der die Energie durch alle Chakren aufsteigen ließ, bevor er seine hochmögende Rezitation des "Hyperion" begann, als einen einzigen, schmerzhaft präzise prononcierten Gedankenflug.

Die kalte Aura exzentrischer Intelligenz: Heinz Bennent, fotografiert im Jahr 1974. (Foto: picture-alliance /)

Unnahbar wirkte Bennent auch hier, den immer schon die kalte Aura exzentrischer Intelligenz umgab - und dessen Virtuosität oft ans Fanatische, ja Seelenlose zu grenzen schien. Damit passte er nicht gut in die Stallwärme des Betriebs, geriet ins Abseits der Grenz- und Einzelgänger, der Rand- und Kippfiguren; er galt als schwieriger Sonderling, ein Spezialist für grüblerische, verschattete und feinstoffliche Charaktere.

Früh hatte er sich selbst aus dem Ensemblespiel genommen, überzeugt, dass das Subventionstheater nur Mittelmaß hervorbringe. Stattdessen vagabundierte er mit eigenen Projekten über die Bühnen, zuletzt mit dem Tschechow-Abend "Ich bin der Mann meiner Frau", oder zusammen mit Sohn David in Becketts "Endspiel". Und so entbehrt es nicht der Ironie, dass Bennent nach München so unerkannt zurückkehrte wie der Irrfahrer Odysseus nach Ithaka. Denn hier hatte er schon auf beiden Seiten der Maximilianstraße triumphiert: am Residenztheater als Hans Christian Andersen in Enquists "Aus dem Leben der Regenwürmer" (1984) unter der Regie von Ingmar Bergman - und an den Kammerspielen als Maximilian Steinberg in Botho Strauß' "Besucher" (1988) und als Narr im "König Lear" (1992), beides Inszenierungen von Dieter Dorn.

Ein Fremdkörper des Theaters war Heinz Bennent stets, zu unabhängig und eigen, um sich von etwas anderem vereinnahmen zu lassen als von der Figur, die er gerade verkörperte. Und doch ist er, der mehr Rollen abgelehnt als angenommen hat und versuchte, "ihm mich auszureden", als Truffaut ihn in "Die letzte Metro" besetzen wollte, einer der wenigen echten deutschen Stars. Internationalität umweht ihn, der in Frankreich genauso bekannt ist wie bei uns, und mit seiner Familie, Frau Diane, den Kindern Anne und David, lange ein Wanderleben zwischen Mykonos, Paris und Lausanne führte.

Die Bennents waren gut für Homestories, eine Zirkusfamilie von Hochbegabten, die aus dem Koffer leben und stets die Gefährdung auf dem Drahtseil suchen. Für die Quick posierte der bekennende Nudist Bennent 1978 nackt im Kreise der Lieben, ein Adam, der seine Blöße mit einer Teetasse bedeckte.

Oft weinend nach Hause gelaufen

Da hatte er die Ochsentour durch die Theaterprovinz längst hinter sich, dreißig Jahre, ohne an ein großes Haus zu kommen. Nach der Premiere, schrieb er einmal, sei er oft weinend nach Hause gelaufen, weil er so unzufrieden war mit sich.

Geboren wurde Heinz Bennent 1921 in Stollberg bei Aachen als sechstes Kind eines Buchhalters. Friseur hatte er werden wollen, machte dann jedoch eine Schlosserlehre. Er arbeitete in einer Munitionsfabrik, meldete sich aus Naivität freiwillig zum Militär. Dass er nicht an die Front musste, sondern auf einem Fliegerhorst an der Ostsee Flugzeuge reparierte, rettete ihm das Leben. Noch als Soldat legte er 1940 die Eignungsprüfung für den Schauspielerberuf ab und nahm Privatunterricht. 1947 kam er ins erste Engagement nach Karlsruhe und spielte den "Don Carlos".

Ein Metallarbeiter ist Heinz Bennent geblieben - allerdings als begnadeter Sprecher, der sich schindet am Widerstand des sprödesten Sprachmaterials, um es in Form zu schmieden.

Der heimliche Regisseur des Abends

In München sah man diesen asketischen Prometheus oft barfuß im Park. Laut deklamierend tanzte er über die Wiesen und erprobte seinen Text, indem er mit den Bäumen sprach. Heinz Bennent ist ein ganzheitlicher Schauspieler, sehnig, ausgezehrt, Körper und Geist sind gleichberechtigt im Spiel, das für ihn Training bedeutet. Mit seinem närrischen Kopfstand im "Lear" hat er die kontrollierten Kollegen arg aus dem Konzept gebracht.

Schon von 1954 an war er regelmäßig im deutschen Fernsehen zu sehen, später drehte er mit Bergman "Das Schlangenei", mit Schlöndorff "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" und "Die Blechtrommel". In "Kalt ist der Abendhauch" war er im Jahr 2000 noch einmal im Kino zu sehen, als verzauselter alter Liebhaber.

Oft aber muss man an seinen jüdischen Theaterdirektor aus "Die letzte Metro" denken, der sich im besetzten Paris im Keller verstecken muss und die Proben verfolgt, indem er sein Ohr an die Heizungsrohre hält. So hört er mit und notiert jeden falschen Ton. Am Abend geht er alles mit seiner Frau durch und gibt ihr Regieanweisungen. Als Ausgeschlossener nimmt er leidenschaftlicher am Theater teil als die anderen. Erst am Ende wagt er sich aus seinem Versteck und verbeugt sich auf der Bühne - als der heimliche Regisseur des Abends.

Auf einen solchen Moment warten wir seit zwei Jahrzehnten, denn Heinz Bennent, der an diesem Montag seinen neunzigsten Geburtstag feiert - er fehlt und scheint doch für jeden, der ihn erlebt hat, immer abwesend anwesend zu sein im Theater.

© SZ vom 18.07.2011/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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