Horrorkino:Schmetterlinge im Schnee

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Catherine (Synnøve Macody Lund) bekommt Gesellschaft, als wie aus dem Nichts ein kleines Mädchen auftaucht und fragt: Hast du Kinder? (Foto: Nameless Media)

Der norwegische Horrorfilm "Haunted Child" erzählt von Frauen in den kalten, unheimlichen Häusern der Vergangenheit.

Von Fritz Göttler

Catherine steht in einem großen grauen Raum, sie streckt die Arme in die Höhe, weit über den Kopf, und wiegt den Oberkörper, damit das rote Kleid, das sie gerade überstreift, den Körper entlang gleiten kann. Die Kamera nimmt sie von unten auf und schwenkt sacht abwärts, sodass man spüren kann, mit dieser Bewegung löst sich was in ihr - es ist wie eine Befreiung, eine Verwandlung. Das kleine Mädchen, das sich Daisy nennt, steht daneben und schaut ihr zu. Die beiden haben gespielt, den Schrank von Catherines Mutter geöffnet und ihre Kleider anprobiert, sich gegenseitig weite Hüte auf den Kopf gesetzt. Ein fröhliches Treiben ist das, ein unschuldiges Kinderspiel. Daisy reicht Catherine den langen grünen Schal, der zum Kleid gehört.

Catherine beerdigt ihren Vater, dann muss sie das Haus verkaufen, und die Temperaturen sinken immer weiter

Momente wie diese sind immer tückisch im Horrorkino. Die Unschuld, die sie suggerieren, hat Widerhaken, der Moment, der Erlösung verspricht, bringt die Geschichte zum Kippen. "Haunted Child/Hjemsøkt" ist ein norwegischer Horrorfilm von 2017, der erste Spielfilm von Carl Christian Raabe - er hat die Standfotos gemacht von den Erfolgsfilmen "Headhunters" und "Kon-Tiki". Maja Lunde hat das Drehbuch geschrieben, die mit Büchern wie "Die Geschichte der Bienen" oder "Die Geschichte des Wassers" Welterfolge lieferte. Synnøve Macody Lund spielt Catherine, sie war auch in "Headhunters" dabei.

Es ist frostig von der ersten Szene des Films an. Catherine und ihr Mann Markus drücken sich eng aneinander, in sexueller Erregung, ein unbeherrschter Quickie, von hinten, in der Herrentoilette eines exklusiven Restaurants. Dann sieht man sie gemessenen Schrittes an ihren Tisch zurückgehen, in provokativer Leichtfertigkeit. Mein Vater ist heute gestorben, sagt Catherine, es folgen Beerdigung und Testamentseröffnung in wenigen Einstellungen. Am nächsten Morgen: Catherine muss los, sie will das Haus verkaufen auf dem Land. Auf ihrem Nachttisch: "American Pastoral" von Philip Roth. Die Temperaturen sollen immer noch fallen. Es gibt immer noch so viel, was ich von dir nicht weiß, wird Markus später zu ihr sagen. Als sie ins Auto steigt, ruft sie ihren Arzt an, sie fragt nach der Pille danach. Sie will noch einen Termin bei ihm, es ist kurz vor Weihnachten.

Schuld und Liebe und Verdrängung sind unheilvoll verteilt in dieser Familie

Der weitere Film ist aus klassischen Elementen des Horrorgenres zusammengesetzt, die um sich kreisen wie ein Mobile. Das einsame Haus im Schnee, darin der verschlossene Raum, fremde Leute, die unvermutet vor dem oder im Haus auftauchen und vom Familienleben damals berichten, ein Geheimnis beschwören - Marie, die Schwester der Mutter, sei mit sieben plötzlich verschwunden -, Schatten, die durch die Räume huschen, Fratzen im Spiegel. Die Kälte will nicht weichen aus den Bildern.

Das Horrorkino wird meistens von den Müttern bestimmt. Hast du Kinder, fragt die kleine Daisy, als sie plötzlich wie aus dem Nichts vor dem Haus steht, und als Catherine verneint: Hab ich mir gedacht. Catherine schreckt zurück vor der Mutterschaft, die Schwangerschaft als Midlife-Krise.

Daisy wird ihr eine vertraute Spielkameradin. Nach dem Tod der Mutter, meint Catherine, konnte ich nicht mehr allein einschlafen. Schuld und Liebe und Verdrängung sind unheilvoll verteilt in dieser Familie. Und seit den Fünfzigern hat man an dem Haus nichts mehr gemacht. Plötzlich hat auch Markus den Weg aufs Land gefunden.

Einmal liegen Daisy und Catherine nebeneinander im Schnee, flach ausgestreckt, und schlagen mit den Armen auf und ab, als wären sie zwei Schmetterlinge. Manchmal enden Horrorfilme als Märchen: "Zwei von ihren Tränen aber benetzten seine Augen, da wurden sie wieder klar, und er konnte damit sehen wie sonst. Er führte sie in sein Reich, wo er mit Freude empfangen ward, und sie lebten noch lange glücklich und vergnügt."

Hjemsøkt, 2017 - Regie: Carl Christian Raabe. Buch: Maja Lunde. Mit: Synnøve Macody Lund, Ebba Steenstrup Såheim, Ken Vedsegaard. Musik: Raymond Enoksen. Kamera: Philip Øgaard. Nameless Media, 81 Minuten.

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