Er war ein ruhender Pol in der oft ruckeligen Kulturpolitik der Stadt Berlin, in einem oft unentschiedenen, glücklosen Unternehmen, der Berlinale, die sich anstrengte, ein richtiges Weltfestival des Kinos zu werden. Viele Jahre war Hans Helmut Prinzler für deren filmhistorische Retrospektive zuständig, zusammen mit seinen Kollegen von der Stiftung Deutsche Kinemathek, die 2000 dann zum Berliner Filmmuseum wurde am Potsdamer Platz. Die Retros waren ein verlässliches, vitales Element, das einen magisch anzog im Festivalstress.
Im Team Prinzler zu arbeiten war eine aufregende, eine wesentliche Erfahrung. 1981 wurde ich erstmals aufgestellt, zehn spätsommerliche Tage in Berlin, die Retrospektive 1982 wurde vorbereitet. Filmkopien wurden aus aller Welt bestellt, begutachtet und uns vorgeführt, die wir dann darüber schreiben sollten. Wir sahen "Die Frau, nach der man sich sehnt" mit Marlene Dietrich, "Conflict" mit Humphrey Bogart, "Possessed" mit Joan Crawford, "Interrupted Melody" mit Eleanor Parker. "Aufruhr der Gefühle", so der Titel der Retro und des Bandes, war dem deutschen Hollywood-Regisseur Kurt/Curtis Bernhardt gewidmet.
Filmhistoriker und Publizist, so bezeichnete Prinzler sich selbst auf seiner Website ( hhprinzler.de), wo er bis zuletzt regelmäßig neue Bücher und DVDs vorstellte. Geboren wurde er am 23. September 1938 in Berlin, 1958 bis 1966 studiert er Publizistik, Theaterwissenschaft und Germanistik in München und Berlin, von 1979 an war er Abteilungsleiter in der Stiftung Deutsche Kinemathek, von 2000 bis 2006 dann Direktor des Filmmuseums. "Als neues Logo gab es ein M", schrieb er zur Eröffnung, "es stand für Museum, aber auch für Marlene, 'Metropolis' und Fritz Langs großen Film 'M'." Seit 1996 war Prinzler Mitglied der Akademie der Künste, Berlin, in der Sektion Film- und Medienkunst.
In den Sechzigern und Siebzigern hatte das Kino in Deutschland einen kräftigen Schub bekommen, das Filmemachen und das Schreiben über Filme. Man wollte, durchaus vehement, das nachholen, was in Frankreich mit den Cahiers du cinéma passiert war, deren Autoren dann die Regisseure der Nouvelle Vague wurden, Godard, Truffaut, Rivette. Man wollte das ganze Kino neu beleben, das alte und das neue, Kunst und Kommerz, Filmgeschichte und Experiment, sich einer alten Lust am Kino neu vergewissern. Hans Helmut Prinzler förderte diese Impulse, war Anreger, Ratgeber, Vermittler für junge, manchmal ungestüme Autoren wie Norbert Grob, Norbert Jochum, Karsten Witte. Er war das, was man einst - ein starkes, bombastisches Wort - einen Mentor nannte.
Hans Helmut Prinzler war ein Filmliebhaber ohne rigiden Kanon
Ein Mentor, der das Kino liebte, auch das Spektakuläre an ihm, das deutsche natürlich, von Berufs wegen, aber auch Hollywood. Jenes Hollywood, das zum Filmexil wurde, in das viele deutsche Filmschaffende in den Dreißigern gezwungen wurden - diesem Exil galt ein besonderes Interesse der Kinemathek mit Werkschauen für Franz Lederer oder Hertha Thiele, die Brüder Robert und Curt Siodmak.
Mit den (damals) jungen deutschen Filmemachern verband Hans Helmut Prinzler lebenslange Solidarität und Freundschaft, Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta, Peter Lilienthal und Rudolf Thome. 1979 dokumentierte er in einem Band mit Hans Günther Pflaum den "Film in der Bundesrepublik Deutschland", 1993 die "Geschichte des deutschen Films" - zwei Standardwerke.
Auch die Reihe Film bei Hanser entstand mit Unterstützung der Kinemathek, Prinzler hat oft die Filmo- und Bibliografie dafür erarbeitet. Es begann mit Truffaut und endete 1990 mit Murnau, Woody Allen war dabei oder Herbert Achternbusch, Bogart und Kubrick, Schroeter und Bertolucci, Rossellini und Resnais. Für ein paar Jahre dachte man, auch in den deutschen Verlagen, es gäbe hier ein starkes Interesse am Kino, dem in Frankreich vergleichbar... heute kann man nur staunen, welche Bände damals geplant waren, bis hin zu Yasujiro Ozu!
Hans Helmut Prinzler war ein Filmliebhaber ohne rigiden Kanon, er ging gern ins Kino, auch ins neue Actionkino, er ließ sich verführen und sah die Bilder auf der Leinwand doch immer im Kontext ihrer Gesellschaft, ihrer Geschichte. Er hörte gern zu, wenn Filmemacher von ihren Erfahrungen erzählten, beim alten King Vidor genauso wie bei Klaus Wildenhahn. 2007 machte er mit Michael Althen den Film "Auge in Auge": zehn Filmschaffende sehen sich konfrontiert mit zehn Werken der deutschen Kinogeschichte.
Auf seine legendären Berlinale-Partys kamen auch Filmlegenden wie Jane Russell
Team Prinzler, das war eine echte Komplizenschaft, eine Familie. Das Fest, das er auf jeder Berlinale mit seiner Frau Antje Goldau ausrichtete, war legendär - nur Jane Russell, der 1991 eine Werkschau gewidmet wurde, habe gebrummelt, heißt es, weil ausgerechnet an diesem Abend der Lift streikte und sie einige Treppen hinaufsteigen musste.
Filmhistoriker und Publizist, man muss das im weitesten Sinne sehen. Sich Zeit nehmen für die Filmgeschichte, anderen die Zeit schenken, sich ein Bild zu machen vom einzelnen Film, vom Kino, dessen Umfeld mitzureflektieren. Undenkbar heute, da Digitalisierung und Internet Tempo und Kurzschlüssigkeit verlangen, ein aggressives Auf-den-Punkt-Bringen. Hans Helmut Prinzler besaß, was Walter Benjamin die "Gabe des Lauschens" nennt in seinem wunderbaren Text "Der Erzähler" - eine Gabe, die verschwindet im 20. Jahrhundert, und mit ihr "verschwindet die Gemeinschaft der Lauschenden. Geschichten erzählen ist ja immer die Kunst, sie weiterzuerzählen, und die verliert sich, wenn die Geschichten nicht mehr behalten werden."
Auf dem Bild auf seiner Website schaut der Weitererzähler Hans Helmut Prinzler neugierig scheu in die Kamera, hinter ihm sieht man das schöne Plakat für Yasujiro Ozus "Banshun / Später Frühling" an der Wand, das Gerhard Ullmann im Münchner Filmmuseum gestaltet hat, die berühmte Radler-Sequenz mit Setsuko Hara. Hans Helmut Prinzler liebte Ozu und Hara, das Ineinander von Bewegung und Ruhe, in dem das Geheimnis des Kinos steckt. Ein Geheimnis, dem er sein Leben lang nachspürte. Am Sonntag ist Hans Helmut Prinzler im Alter von 84 Jahren gestorben.