Michael Tötebergs Roman "Falladas letzte Liebe":Benn hilft mit Morphium aus

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Der Schriftsteller Hans Fallada mit seiner ersten Frau Anna Issel, genannt Suse, die auch seinen Nachlass besorgte. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Geldnot, Drogensucht, Krankenhaus: Michael Tötebergs dokumentarischer Roman über die letzten Lebensjahre Hans Falladas.

Von Jörg Magenau

Vermutlich gibt es nicht mehr viel, was es über Hans Fallada noch zu wissen gäbe. Er ist so gründlich ausbiografiert und durchbuchstabiert, dass da zwischen Ehedesaster, Briefe an die Kinder, Drogensucht und vorsichtigen Opportunismus in der NS-Zeit, zwischen die Erfolgsromane "Kleiner Mann - was nun?" und das postum erschienene "Jeder stirbt für sich allein" eigentlich kein Blatt mehr passt.

Michael Töteberg, lange Jahre im Rowohlt-Verlag für Medienrechte zuständig und seit 2019 Vorsitzender der Hans-Fallada-Gesellschaft, hat sich dennoch noch einmal an Falladas "tragische Geschichte über die menschlichen Abgründe und die unvergleichliche Kraft der Literatur" - so der Klappentext - herangewagt. Dafür hat er einen interessanten, neuen Ansatz gewählt. Er erzählt romanhaft, als wäre Fallada seine eigene Romanfigur, und beschränkt sich auf den Zeitraum vom September 1945 bis zum frühen Tod mit 53 Jahren im Februar 1947.

Mit Kriegsende wurde Fallada von den Sowjets als Bürgermeister im Mecklenburgischen Feldberg eingesetzt, ein Amt, das ihn überforderte und dem er sich nicht zuletzt durch den Umzug nach Berlin zu entziehen suchte. Zusammen mit seiner zweiten, sehr viel jüngeren Frau Ulla wollte er dort einen Neuanfang wagen. Suse, die langjährige Ehefrau und Mutter der Kinder, hatte sich nach seinen zahlreichen Affären, Zusammenbrüchen und gewalttätigen Ausbrüchen 1944 von ihm getrennt.

Michael Töteberg: Falladas letzte Liebe. Roman. Aufbau Verlag, Berlin 2021, 336 Seiten, 20 Euro. (Foto: N/A)

Die Geschichte der "letzten Liebe", die Töteberg erzählt, ist aber die eines fürchterlichen Absturzes, einer gemeinsamen Selbstzerstörung in der Abhängigkeit vom Morphium, getrieben von einer geradezu fieberhaften Geldbeschaffungsnot. Drogensucht machte das Überleben in der Ruinenstadt mit Wohnungsnot, Lebensmittelkarten, Schwarzmarkt und politischer Ungewissheit sicher nicht leichter.

Einen Gastauftritt hat zunächst Gottfried Benn, der Fallada einmal mit Morphium versorgte und in seiner Praxis ein Gespräch über Lyrik begann. Wichtiger wird jedoch Johannes R. Becher, der im sowjetischen Machtbereich für Kultur zuständig ist, der Fallada für den "Kulturbund" anwirbt, ihm eine Wohnung in Pankow, Publikationsmöglichkeiten und Buchverträge mit dem neu gegründeten Aufbau-Verlag besorgt. Becher ist es auch, der ihn auf die Spur des Arbeiter-Ehepaares setzt, das von den Nazis zum Tode verurteilt worden war, weil es kleine, gegen Hitler gerichtete Kärtchen in Berliner Treppenhäusern ausgelegt hat.

Fallada kann mit dem Stoff zwar zunächst nichts anfangen, braucht aber das Geld. Den Roman bleibt er lange schuldig, bis er mehr als ein Jahr später sich dann doch noch hinsetzt und in einem einzigen Monat die 800 Manuskriptseiten des Romans produziert, der schließlich "Jeder stirbt für sich allein" heißen wird. Der Titel nimmt auf tragische Weise sein eigenes, einsames Sterben im Krankenhaus nach einer Entziehungskur vorweg. Seine Frau Ulla ist da selbst in der Entzugsklinik und nicht bei ihm.

Der literarische Freiraum ist überschaubar, ein Quellenverzeichnis hätte geholfen

Töteberg entwirft ein lebendiges Bild des kulturellen Berlin der Nachkriegszeit und taucht in die unübersichtliche Zeitungs- und Verlagswelt ein. Das ist spannend genug, auch wenn der Roman notgedrungen dokumentarisch bleibt. Der literarische Freiraum ist überschaubar, sodass ein Verzeichnis der Quellen hilfreicher wäre, als zu erfahren, was Fallada in dieser oder jener Situation gedacht und gefühlt haben könnte.

Eine kleine Rahmenhandlung gibt es auch: Die Leipziger Studentin Christa Wolf bekam von ihrem Professor Hans Meyer als Thema ihrer Diplomarbeit "Realismus im Werk von Hans Fallada". Deshalb schrieb sie an Johannes R. Becher, ob er ihr mit autobiografischen Hintergründen zu Fallada weiterhelfen könne. Becher antwortete darauf nur ausweichend. Tötebergs Roman ist ein Versuch, diese Ausweichbewegung zu erklären und eine eigene, gründliche Antwort zu geben.

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