Großformat:Ping-Pong gegen das System

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Lena Skrabs ist mit ihrer Arbeit "Okay Club" (2017) in der diesjährigen Goldrausch-Ausstellung vertreten. (Foto: Goldrausch)

Genial sein genügt nicht: Die Berliner Initiative Goldrausch hilft seit 30 Jahren Künstlerinnen, sich in einem noch immer männlich dominierten Business durchzusetzen.

Von Kito Nedo

Wie Teile einer geheimen Zeichensprache liegen dreizehn Knoten vor dem Betrachter auf einer dunkel polierten kreisrunden Platte ausgebreitet. Die 1980 in Dänemark geborene Künstlerin Marie-Louise Andersson hat das Alphabet aus endlos ineinander verwickelten Bündeln in der Gruppenausstellung "Hydra" im Berliner Haus am Kleistpark installiert. Sie wirken wie ein Sinnbild für die vielen Knoten, die es für die Kunst von Frauen auf dem Kunstmarkt und im Kunstbetrieb noch immer zu zerschlagen gilt.

Denn bis heute haben Künstlerinnen nach wie vor weniger Ausstellungen und erzielen deutlich niedrigere Umsätze als ihre männlichen Kollegen. Dieses Missverhältnis ist kulturell wie ökonomisch signifikant, hat es doch auch Auswirkungen auf die spätere Bewertung der Kunst von Frauen: In den vergangenen zehn Jahren belief sich der Marktanteil von Künstlerinnen bei internationalen Auktionen auf gerade mal zwei Prozent, so lautet der niederschmetternde Befund einer Kunstmarkt-Studie, welche die beiden Internet-Plattformen In Other Words und Artnet News kürzlich veröffentlichten. Von den über 196,6 Milliarden Dollar die zwischen 2008 und den ersten fünf Monaten des Jahres 2019 auf Kunstauktionen ausgegeben wurden, entfielen demzufolge nur vier Milliarden auf Arbeiten von Frauen. So dreht sich der Teufelskreis der Ausgrenzung weiter.

Hannah Kruse, Projektleiterin des Berliner Künstlerinnenprojekts Goldrausch kennt das Problem. "Der Kunstmarkt ist träge, und diese Trägheit setzt sich fort." Die von der Kunstwissenschaftlerin und Kulturmanagerin geleitete Berliner Initiative trägt ihren Teil dazu bei, dass sich die Verhältnisse ändern. Die Hydra-Schau ist Teil von "Goldrausch", einem jährlich stattfindenden Weiterbildungsprogramm für jeweils 15 Berliner Künstlerinnen, die im Laufe eines Jahres das notwendige Know-how vermittelt bekommen, um im Kunstbetrieb professionell mitzuspielen.

Dazu gehört die Produktion einer eigenen Website genauso wie die Herstellung eines eigenen Katalogs wie auch die Präsentation der eigenen Kunst in einer Gruppenausstellung. Hinzu kommen Seminare zu Zeitmanagement, Rhetorik und Präsentationstechniken oder Treffen mit Galeristen, Kuratoren, Projektraumbetreibern, Kunsttheoretikern, bis hin zu Fachleuten für Steuer- und Urheberrecht. Damit Frauen aber tatsächlich gleichberechtigt am Kunstbetrieb teilnehmen könnten, so Kruse, bräuchte es darüber hinaus aber auch verbindliche Quoten für Jurys, Ankäufe und Förderungen sowie die Einführung von Ausstellungshonoraren.

Es geht um Ermutigung und Ermächtigung, Austausch und Netzwerke, die langfristig tragen

Gegründet wurde Goldrausch 1989 aus dem Geist der Institutionskritik und im Zuge der Bewegung zur ökonomischen Selbstermächtigung von Frauen. Dieser kritischen Tradition ist das unabhängige berufliche Weiterbildungsprojekt für Bildende Künstlerinnen bis heute verpflichtet. Dazu gehört etwa auch, dass der Erfolgsbegriff nicht nur auf den Markt bezogen wird. "Erfolg hat viele Gesichter" sagt die Projektkoordinatorin Kira Dell, die die "Hydra"-Ausstellung kokuratiert hat. Deshalb wird auf die Vermittlung von Standardrezepten verzichtet. Die Betonung liegt hingegen auf dem Austausch untereinander und der Etablierung von Netzwerken, die nachhaltig tragen.

So wie bei der Malerin Kerstin Drechsel, die Ende der Neunziger teilnahm: "Der Freiraum mit den Künstlerinnen im Kurs und den Kursleiterinnen ermöglichte mir, ein größeres Selbstbewusstsein als Bildende Künstlerin zu entwickeln und auch mit anderen detailliert über meine Arbeiten zu sprechen."

Goldrausch sei "keine Serviceagentur" sondern setze auf das Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe, erklärt Kruse. "Wir wollen durch Wissenserwerb eine grundsätzliche Ermutigung und Ermächtigung herstellen." Nur so könne es auch gelingen, dass die Künstlerinnen das erworbene Wissen dann später für ihre eigene Praxis anwenden könnten. Gefördert wird das Projekt mit jährlich 277 000 Euro vom europäischen Sozialfonds und der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung, es handelt sich also nicht um eine Kulturförderung, sondern um ein Existenzgründerinnenprogramm.

Voraussetzung für Bewerberinnen ist ein Wohnsitz in der Hauptstadt und die Arbeit als Künstlerin. Eine Altersbegrenzung gibt es jedoch nicht. So soll der Unterschiedlichkeit der jeweiligen Lebensläufe Rechnung getragen werden. Der erste Jahrgang, an dem etwa die spätere Documenta-Künstlerin Maria Eichhorn teilnahm, schloss 1990 den Kurs ab. Im nächsten Jahr wird das 30-jährige Jubiläum gefeiert.

Mittlerweile haben über 400 Künstlerinnen das Programm durchlaufen. Goldrausch hat auf diese Weise selbst schon Berliner Kunstgeschichte geschrieben. Zu den Ehemaligen gehört etwa Pauline Curnier Jardin, die Gewinnerin des diesjährigen Preises der Nationalgalerie, und Monica Bonvicini, die den Preis 2005 erhielt und die schon mehrfach auf der Venedig-Biennale vertreten war.

Bonvicini absolvierte das Programm Anfang der Neunzigerjahre. "Es gab damals nicht viele Initiativen für junge Künstlerinnen" erinnert sich die Künstlerin. "Goldrausch war relativ neu, als ich anfing, und viele Künstlerinnen, die ich kannte und schätzte hatten bei dem Programm schon mitgemacht. Besonders attraktiv war die Möglichkeit einen Katalog zu realisieren. Tatsächlich ist also mein allererster Katalog mit einem sehr schönen Text von Harald Fricke bei Goldrausch herausgekommen", dem legendären Kunstkritiker der taz. Eine andere wichtigste Sache, die die gebürtige Italienerin bei Goldrausch auch lernte, war die Fähigkeit, vor vielen Leuten frei auf Deutsch über ihr Werk zu sprechen. Anders als heute wurde in den frühen Neunzigern in Berlin fast nur Deutsch gesprochen - auch in der Kunstszene.

Nicht nur die Atelierarbeit, sondern auch die Systemanalyse gehören zum Geschäft. Durch das Projekt sei sie "für die strukturellen Benachteiligungen in der Kunstwelt sensibilisiert" worden, erklärt die derzeit gefeierte Installationskünstlerin Henrike Naumann. Bei Goldrausch habe sie auch begriffen, "dass es Kollegialität und Zusammenhalt braucht", um das verfestigte Machtsystem zu bekämpfen. Die Malerin Friederike Feldmann, die Mitte der Neunziger das Programm absolvierte, beschreibt Goldrausch hingegen als eine Art Nachhilfekurs zum "Beruf Künstlerin". Zwar hätte sie die dort vermittelten neuen Erkenntnisse nicht sofort erfolgreich zur Anwendung bringen können, aber es sei "ein Anfang" gewesen. Aus der Abschlussausstellung, bei der die Künstlerin ihre Bilder erstmals einer größeren Öffentlichkeit zeigen konnte, ergab sich später die Zusammenarbeit mit zwei Galerien.

Hydra: Goldrausch 2019. Berlin, Haus am Kleistpark. Bis 8. Dezember.

© SZ vom 26.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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