Antiker Feldherr:Hannibal, der Rebell

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Eine Ausstellung in Piacenza feiert den kathagischen Feldherrn Hannibal, der die Römer mehrmals besiegt hat. Was ist an ihm für die Italiener der Gegenwart interessant?

Von Thomas Steinfeld

Nachdem Hannibal, der karthagische Feldherr, im Herbst des Jahres 218 v. Chr. die Alpen überquert hatte, begleitet von mehreren Zehntausend Söldnern und 37 Elefanten, trat ihm am Ufer des Ticino, ungefähr dort, wo heute die Stadt Vigevano liegt, zum ersten Mal ein römisches Heer entgegen.

Die Römer verloren den Kampf, so wie sie danach noch viele Schlachten verloren, die sie gegen Hannibal führten. Von den Kämpfen am Ticino aber blieb nichts, soweit man weiß, keine gebrochenen Speerspitzen, verrosteten Schwerter, zerbeulten Helme, die man aus dem Erdreich hätte bergen können. Dennoch wird nun in Piacenza, sechzig Kilometer den Po hinunter, eine große Ausstellung zu Hannibal gezeigt, eine Schau, wie sie offenbar alle paar Jahre irgendwo in Italien zu sehen ist und wie sie jedes Mal zu einem Erfolg wird.

Dieser nordafrikanische Krieger stellte die einzige substanzielle Herausforderung dar, die den Römern zwischen dem Beginn der Republik (um 500 v. Chr) und der Plünderung Roms (410 n. Chr.) auf italienischem Boden entgegentrat. Und doch gilt ihm eine offenbar nicht nachlassende Leidenschaft, auch unter Menschen, die sich selbst als Nachfahren der oft geschlagenen und am Ende doch siegreichen Römer verstehen.

Von den großen Gegnern der Römer - Boudicca in Britannien, Vercingetorix in Gallien, Arminius in Germanien - ist Hannibal immer der lebendigste gewesen. Er ist es auch geblieben. Das liegt an den Geschichtsschreibern, vor allem an Titus Livius. Es liegt an der nicht nachlassenden Bewunderung für einen Mann, der als Einzelner, gestützt allenfalls auf seine Familie, eine Großmacht herausforderte.

Es liegt an der Bewunderung des historistischen Zeitalters für große Feldherren im Allgemeinen und an der spektakulären Überquerung zweier Gebirgszüge im Besonderen. Und es liegt, nördlich der Alpen, an der fatalen Ähnlichkeit, die es zwischen Karthago im 3. Jahrhundert v. Chr. und Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg zu geben schien: Die Guten hatten einen großen Krieg verloren, ihnen waren große Gebiete genommen, und sie waren zu Reparationen gezwungen worden.

In einem kleinen Kino wird der Propagandafilm für Mussolinis Nordafrika-Pläne gezeigt

Doch aus der tiefen nationalen Schmach heraus erhob sich ein genialer Führer. Gut zwanzig Jahre nach der katastrophalen Niederlage nimmt er Rache und trägt einen neuen Krieg tief ins Feindesland. Mirko Jelusich, ein österreichischer Faschist, schrieb darüber einen Roman zur dauerhaften Erbauung der deutschen Jugend ("Hannibal", 1934).

Gisbert Haefs verwandelte die Geschichte in seinem Roman "Hannibal" (1989) in eine Auseinandersetzung zwischen den freiheitsliebenden Karthagern und dem bösen Imperium.

Was aber beschäftigt Italiener so sehr an diesem antiken Helden, dass ihm ein langer Parcours in den Kellergewölben des gigantischen Palazzo Farnese gewidmet wird? Ein Parcours, in dem vielleicht zwei Dutzend historische Exponate, ansonsten aber vor allem Animationen zu sehen sind - und, in einem eigens eingerichteten kleinen Kino, Szenen aus dem Propagandafilm "Karthagos Fall" ("Scipione l'Africano", 1937), in dem Benito Mussolinis Absichten, Teile Nordafrikas zu kolonialisieren, in antiker Verkleidung vorgespielt werden?

Findet sich das gegenwärtige Italien in einem rebellischen Feldherrn wieder, der sich gegen ein bürokratisches Monster erhebt, in dem nach Lage der Dinge nur die Europäische Union zu vermuten wäre?

Wohl kaum, und noch weht die blaue Flagge mit den zwölf Sternen neben der italienischen Flagge über dem Eingang zum Palazzo. Hannibal, das ist jetzt zweierlei: die Sympathie für einen Gegner, der eine Unterlegenheit in der Masse durch eine Überlegenheit in der Beweglichkeit auszugleichen vermochte - und die Gewissheit, dass am Ende doch die eigenen Leute gewinnen. Und es ist die Aufwertung einer alten, aber wenig bekannten Stadt im Süden der Po-Ebene durch eine sehr weit zurückliegende Geschichte.

Francisco de Goya malte 1771 Hannibal, wie er von einem Alpenpass in die Po-Ebene hinunterblickt. Hinter dem Feldherrn steht der Genius des Kriegs. Ein Entwurf Goyas für das Gemälde ist in der Ausstellung zu sehen. Diesem Genius ist die Schau gewidmet, zur Begeisterung der männlichen Jugend, die in Schulklassen durch die Gewölbe zieht, begleitet von einer Klangkulisse, in der in einem fort Schwerter gezogen und Schmerzensschreie unterdrückt werden.

In ihrer Mitte steht ein runder Lichttisch, auf dem dargestellt ist, wie sich in der Schlacht bei Cannae (216 v. Chr.) die karthagische Infanterie zurückzieht, wie die in ihrem scheinbaren Erfolg unvorsichtig gewordenen römischen Kohorten vordringen, worauf die karthagische Reiterei sie von hinten einschließt.

Die Begeisterung reicht bis zur Belagerung Roms. Sie lässt nach, wenn Hannibal die Stadt nicht einnehmen kann, auch weil ihm die Belagerungsmaschinen fehlen. Sie ist verschwunden, wenn Hannibal sich nach Süden zurückzieht, in die ehemals griechischen Gebiete Italiens, während die Römer Syrakus erobern, wodurch sein schrumpfendes Heer von Karthago abgeschnitten wird.

Manche Jugendliche, die staunend vor den Projektionen stehen, auf denen ein langer Zug von Elefanten durch ein Schneegebirge zieht, werden, wenn ihr Interesse am Fremden anhält, später womöglich Gustave Flauberts Roman "Salammbô" von 1862 lesen. Er handelt nicht von Hannibal, dem Helden und seinem großen Krieg, sondern spielt zwanzig Jahre vorher, nach dem ersten punischen Krieg, als Karthago sich nach der Niederlage in einem schlechten Frieden einrichtete und nichts auf seine Wiederkehr als Militärmacht hindeutete.

Gustave Flaubert erzählt nicht nur vom Scheitern eines Söldneraufstands, sondern vor allem auch davon, wie gemein und bedeutungslos viele Ereignisse sind, aus denen sich dann in der Geschichtsschreibung ein heroisches Zeitalter zusammensetzt. Dieser Roman ist das Gegenüber zur Heldensage.

Annibale. Un mito mediterraneo, Piacenza, Palazzo Farnese, bis 17. März. Info: www.annibalepiacenza.it

© SZ vom 19.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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