Netzkolumne:Jeder ist sich selbst der Nächste

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Die Rally um Gamestop ist erst mal vorbei - die Legendenbildung beginnt. (Foto: Reuters)

Nach der Börsenrevolution um die Aktie von Gamestop tobt im Internet nicht nur der Deutungskampf - es geht auch schon um die Rechte an der Verfilmung.

Von Michael Moorstedt

Der Sturm hat sich gelegt. Nachdem Internetnutzer auf dem Reddit-Forum Wallstreetbets in den vergangenen Wochen zu einem unerhörten Börsenspektakel rund um das abgewirtschaftete Unternehmen Gamestop geblasen hatten, in der die Aktie zwischenzeitlich um mehr als 700 Prozent zugelegt hatte, ist die Rally erst einmal vorbei. Die Aktie liegt auf noch niedrigerem Niveau als vor der ganzen Aufregung.

Als unbeteiligter Beobachter fragt man sich, was da passiert ist. Da ist zum einen die Erkenntnis, dass der größte Profiteur wohl nicht die einzelnen Nutzer waren, sondern ein anderer Hedgefonds, der durch den Börsenwahnsinn mehr als 700 Millionen Dollar Gewinn machte. Oder die Tatsache, dass einfache Rentner, die ihr Erspartes in ebenjene Fonds investiert hatten, die ein großes Minus verbuchen mussten, nun um ihre Altersvorsorge bangen müssen.

Ebenso divers wie die Auswirkungen sind auch die Motive der Nutzer. Die einen wollten tatsächlich "denen da oben" mal eins auswischen, die anderen vor allem schnell ein paar Gewinne realisieren, wieder andere empfinden einfach nur Lust an etwas Chaos. Der Kampf um Deutungshoheit tobt nun auch im Netz, parallel zur Sache selbst.

Schwer zu überblicken, ob es überhaupt noch so etwas wie die gute Seite gibt

Es stellt sich auch die Frage, wer eigentlich die Rechte an einem Internetforum besitzt, das auf einem großen Portal wie Reddit läuft. Üblicherweise gibt es sogenannte Moderatoren, die dafür sorgen, dass Spam gefiltert wird, dass die Nutzer sich an die Richtlinien halten. Je nach Größe der Community kann das in einen Vollzeitjob ausarten, der selbstverständlich nicht vergütet wird. Im Gegenzug hat man die Chance, seine eigenen Vorstellungen durchzusetzen. Im Fall von Wallstreetbets gibt es offenbar eine alte und eine neue Garde von Moderatoren, die sich über die Ausrichtung ihres Forums nicht ganz einig sind. Während die Letzteren maßgeblich dafür verantwortlich waren, die Aktion überhaupt durchzuführen, wollen die Ersteren nun ihren "Anteil".

Denn der Grund für die Uneinigkeit war einmal mehr: Geld. Es war kaum eine Woche vergangen, da wurde schon publik, dass sich die Produktionsgesellschaft MGM die Filmrechte an einem noch zu schreibenden Buch über die Affäre gesichert hat, Autor soll Ben Mezrich sein, der bereits das Skript zum Facebook-Film "The Social Network" lieferte, der Arbeitstitel lautet dementsprechend "The Antisocial Network". Derweil hat der ursprüngliche Gründer des Forums die Rechte an seiner Biografie bereits an ein anderes Filmstudio verkauft. Angeblich geht es um Summen im sechsstelligen Bereich.

Als uneingeweihter Nutzer kann man schwer überblicken, wer da nun lügt, welche Unterstellungen wahr sind oder ob es überhaupt noch so etwas wie "die gute Seite" gibt. Rechte wurden entzogen, Allianzen geformt. Anschuldigungen und Beleidigungen flogen durch den Äther, Todesdrohungen wurden ausgesprochen. Anstatt eine neue schlagkräftige Bewegung zu formen, die auf Augenhöhe mit den großen Playern des Kapitalismus agieren kann, droht nun offenbar Zersplitterung. Wer den Kampf gewinnt, ist längst nicht klar. Sicher scheint aber, dass auch in neuen Zeiten viele Menschen an einem sehr alten Grundsatz festhalten: Jeder ist sich selbst der Nächste.

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