Fünf Jahre nach Hurrikan Katrina:Noch windschief steht die neue Stadt

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Das Kulturleben blüht und Obama wird eine optimistische Ansprache halten - doch New Orleans ist fünf Jahre nach Hurrikan "Katrina" nicht wiederhergestellt. Wird es auch noch lange nicht sein, vielleicht nie mehr.

Reymer Klüver

Als wären die Dämme nie gebrochen und die brackigen, braunen Fluten nie bis unters Dach gestanden. Schneeweiß sind die getäfelten Wände gestrichen, rote Stoffrosengebinde zieren die Fenster. Aus Gold- und Silberrahmen schauen die Gesichter würdiger Herren herab, früherer Pastoren dieser kleinen Holzkirche mit einem schier endlosen Namen: Greater Little Zion Missionary Baptist Church. Gleich hinter dem weißen Gotteshaus wälzt sich der große Strom vorbei, der mächtige Mississippi.

"New Orleans kommt wieder", sagen manche. Doch vielerorts findet man in der Stadt noch leerstehende, windschiefe Holzhäuser. (Foto: dpa)

Nichts erinnert hier mehr an Hurrikan Katrina, die gewaltige Heimsuchung. Wie ein biblisches Strafgericht traf er New Orleans vor einem halben Jahrzehnt. Von den Folgen hat sich die Stadt längst nicht erholt. Auch wenn zum fünften Jahrestag nun Optimismus verbreitet wird und allenthalben Geschichten unglaublicher Comebacks erzählt werden, die den zähen Durchhaltewillen der Menschen belegen sollen.

Nicht immer zu Unrecht, wie das Beispiel der Xavier-Universität zeigt, wo Präsident Barack Obama am Sonntag aus Anlass des Jahrestags sprechen wird. Wie die Stadt war auch der gesamte Campus der Uni überflutet. Doch schon fünf Monate danach hatten Studenten und Dozenten die Hochschule wieder so weit hergerichtet, dass erste Seminare abgehalten werden konnten. Heute ist die Studentenzahl fast auf Prä- Katrina-Niveau. "New Orleans kommt wieder", konstatiert die Arbeitsgruppe "The New Orleans Index" des renommierten Brookings Instituts in Washington, "und zumindest in gewisser Hinsicht macht es sich besser als zuvor."

Da ist indes viel Wunschdenken dabei. New Orleans ist nicht wiederhergestellt.

Wird es lange nicht sein, vielleicht nie mehr. Natürlich, der Tourismus boomt wieder, die Stadt beherbergt erneut große Kongresse - der Maßstab der Tourismusmanager für die Leistungsfähigkeit ihres Gewerbes. Das Kulturleben blüht, die Revitalisierung der Musikszene ist fast schon legendär. Und im vergangenen Winter haben die Saints, die geliebte Football-Truppe der Stadt, sogar den Super Bowl geholt und den Menschen in New Orleans das erste kollektive Erfolgserlebnis beschert. Nicht wenige sahen darin einen Fingerzeig aus höheren Sphären.

Doch die Wirklichkeit sieht anders aus, sehr viel zwiespältiger. Hingebungsvoll ist die kleine hölzerne Baptistenkirche hinter dem Mississippi-Deich wiederhergerichtet. Wer aber draußen vor die Tür tritt, dem bietet sich ein anderes Bild, ein gewaltig anderes. Dort liegt das Lower Ninth Ward, das Traditionsviertel der schwarzen Unterschicht der Stadt. Das einstige Traditionsviertel, müsste man sagen.

In den Straßen mit wahrhaft noblen Namen wie Royal Street und Dauphine Street reihen sich leerstehende, windschiefe Holzhäuser. Fenster und Türen sind mit Sperrholzplatten verrammelt. Auf manchen Fassaden lassen sich noch neonfarbene Graffiti-Zeichen erkennen. Mit ihnen hatten Rettungstrupps in den ersten Tagen nach der Katastrophe die Häuser markiert, in denen sie nach Überlebenden gesucht und Tote gefunden hatten. Gras wuchert auf den zahllosen Grundstücken, deren einstige Bebauung als unrettbar nach dem Hurrikan abgerissen wurde.Das Lower Ninth Ward ist zur unbehausten Stadtsteppe verkommen: Nicht einmal ein Viertel der alten Bewohner ist zurück. Gerade einmal 24 Prozent der einstigen Haushalte haben die Bevölkerungsstatistiker im vergangenen Jahr gezählt.

Zugegeben, im Lower Ninth Ward ist es am schlimmsten. Das lässt sich leicht an den Kennziffern für die einzelnen Stadtviertel ablesen. Andere, wohlhabendere - und meist von Weißen bewohnte - Quartiere wie Lake Terrace oder der Garden District haben praktisch wieder die alte Einwohnerzahl erreicht. Doch das sind die wenigsten. Noch immer fehlt New Orleans ein Fünftel seiner einstigen Bevölkerung; 125.000 Menschen sind seit dem Sturm nicht zurückgekommen. In Houston oder Atlanta sind sie geblieben, wohin sie evakuiert worden waren, oder noch weiter gezogen.

"Fünf Jahre nach dem schrecklichsten Ereignis in der fast dreihundertjährigen Geschichte der Stadt ist New Orleans noch immer - physisch und psychisch - wie ein Patient, der sich von Brandverletzungen am ganzen Körper erholt", heißt es in der Zeitung der Stadt, der Times-Picanyune. Die sichtbaren Spuren - die brachliegenden Grundstücke, die leerstehenden Häuser - sind dabei nur das eine. Vielleicht noch tiefgreifender wirken in der Tat die psychischen Folgen nach: die Hilflosigkeit nach der Flucht vor dem Hurrikan und seinen urgewaltigen Zerstörungen, das wochenlange Chaos, der traumatisch erlebte Verlust von Haus und Habe und oft genug von Freunden und Bekannten.

Besonders getroffen sind - trotz aller Beteuerungen vor fünf Jahren, gerade das vermeiden zu wollen - die Schwächsten unter den Einwohnern der Stadt: die Schwarzen. Die ökonomischen und die demografischen Daten spiegeln genau das wider. Das "Greater New Orleans Community Data Center" hat die Zahlen aufgeschlüsselt: Mit 54,7 Prozent ist der Anteil der Einwohner weißer Hautfarbe an der Stadtbevölkerung nahezu wieder identisch mit dem Anteil, den sie vor dem großen Sturm hatten.

Von 4,4 auf 6,6 Prozent gestiegen ist die Zahl der Einwohner lateinamerikanischer Abstammung. Das ist leicht zu erklären. Die Hispanics sind als billige Arbeitskräfte für die Abrissarbeiten nach dem Hurrikan gekommen - und geblieben. Abgenommen hat indes die Zahl der Schwarzen. Ihr Bevölkerungsanteil verringerte sich erkennbar von 37,1 auf 34,5 Prozent.

In ökonomischer und sozialer Hinsicht sind die Unterschiede in New Orleans immens: Angehörige schwarzer Haushalte - also zum Beispiel die Bewohner des Lower Ninth Ward - verdienen nicht einmal die Hälfte dessen, was Weiße zur Verfügung haben. Nur ein gutes Zehntel der schwarzen Einwohner von New Orleans haben einen College-Abschluss, unter Weißen sind es fast ein Drittel.

In der Greater Little Zion Missionary Baptist Church war noch etwas anderes zu beobachten, als die jüngste Prüfung der katastrophengeschüttelten Region sich abzeichnete, die Ölpest im Golf. Nur Tage nach dem Untergang der Bohrplattform draußen vor der Küste hatte die EPA, die Umweltbehörde der US-Regierung, Aktivisten von Nicht-Regierungsorganisationen in die kleine Baptistenkirche im Lower Ninth Ward eingeladen. Das sollte demonstrieren, dass die Obama-Administration den Geschehnissen nicht genauso gedankenlos zuschaut, wie es die Vorgängerregierung bei Katrina anfangs getan hatte.

Irgendwann, nachdem EPA-Chefin Lisa Jackson viel geredet, aber wenig Konkretes versprochen hatte, stand eine schwarze Frau mit einem großen Sommerhut von ihrem Kirchenstuhl auf und unterbrach den Redefluss der Behördenfrau aus Washington, höflich, aber bestimmt.

Die Umweltschäden, sagte sie, seien schlimm genug. Die "menschlichen Kollateralschäden", wie sie sich ausdrückte, die die neue Katastrophe verursache, aber würden immens sein. Denn noch immer hätten die Menschen in der Region das Trauma des Hurrikans nicht überwunden. Und das werde nun unweigerlich wiederbelebt. "Wir sind so verletzlich", sagte sie, "uns geht es noch nicht gut."

© SZ vom 28.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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