Fotografie:In weiter Ferne, so nah

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Ursula Schulz-Dornburg reiste 1980 in die irakischen Marschen. (Foto: Ursula Schulz-Dornburg)

Die Berliner Ausstellung "Verschwundene Landschaften" zeigt Aufnahmen der 86-jährigen Fotografin, Weltreisenden und Abenteurerin Ursula Schulz-Dornburg.

Von Sonja Zekri

Der eckige Kopf, der Schnauzbart, der etwas stiere Blick, kein Zweifel, es ist der Verbrecher aus Bagdad. Saddam Hussein hat Iraks Schwemmland im Süden, die Marschen, fast umgebracht, wie er so viele seiner Untertanen hat umbringen lassen, vor allem Schiiten, sie ganz besonders, und die Marsch-Araber waren Schiiten. Und jetzt hängt er hier, auf dem Bild eines Schilfhauses in diesem mesopotamischen Wasserparadies, dem Ursprung der ersten Städte und des Gilgamesch-Epos', ein winziges Porträt an der Wand nur, ein Punkt auf der Fotografie von Ursula Schulz-Dornburg in der Berliner Architekturgalerie Aedes. Es ist die erzwungene Ehrung ihres größten Feindes.

Winzig ist dieser Saddam auch deshalb, weil die Bilder von Ursula Schulz-Dornburg ganz generell nicht besonders groß sind, überraschend kleinformatig sogar, wenn man bedenkt, welche Weite sie zeigen, welche Ewigkeit. "Verschwundene Landschaften" füllt nur einen einzigen Raum, und wenn man ihre lose gehängten Fotografien aus dem Irak, aus Indonesien, aus Jemen und dem Kaukasus anschaut, muss man sagen, dass es schon erstaunlich ist, wie wenig Platz die Welt manchmal braucht.

86 Jahre alt ist die Düsseldorfer Fotografin. Die Zeit intensiver Reisetätigkeit liegt schon etwas zurück, aber die Wirkung ihrer Bilder ist frisch wie am ersten Tag. Die Marschen etwa, inzwischen Unesco-Welterbe, sind längst wieder bedroht, auch wenn diesmal nicht Saddam den Zufluss durch Euphrat und Tigris mit seinem "Mutter aller Schlachten"-Kanal minimiert, sondern Dämme, Klimawandel, Verschwendung. Schulz-Dornburgs Bilder stammen von 1980, damals war die Ressource Wasser noch im Überfluss vorhanden, als glatter Spiegel, aus dem sich die palastartigen Reetbauten erheben, als breite Straßen durch das Schilf-Dickicht. Fest und solide wirkt dieses Wasser, als könne man darüber laufen und auf jeden Fall gut darauf leben. Eine Momentaufnahme, eine Illusion.

Es braucht nicht Saddams Porträt, um das Prekäre an all dieser Fülle zu begreifen. Schulz-Dornburgs mal zarte, mal gewaltige Schwarzweiß-Bilder mögen verschwindende Landschaften zeigen, vor allem aber zeigen sie vergehende Lebensräume. An der Grenze zwischen dem christlichen Georgien und dem islamischen Aserbaidschan hat sie Höhlen gefunden, die christliche Mönche im 7. Jahrhundert nach ihrer Flucht aus Byzanz in den Fels schlugen. Man sieht ein überraschend gemütliches Bett aus Stein, Risse in den Wänden von Erdbeben, Graffiti sowjetischer Soldaten und immer wieder Ausblicke in eine majestätisch gebirgige Ebene, die bedrohlich wäre, würde man nicht aus dem sicheren Rückzugsort der Höhle auf sie herabschauen.

Auf der indonesischen Insel Sulawesi, früher Celebes, hat sie Anfang der Achtzigerjahre die Bugis Houses fotografiert, Konstruktionen auf hölzernen Stelzen, die den Menschen Schutz gegen Fluten, fremde Blicke und Götter gleichermaßen boten. Jahrzehnte lagerten die Fotografien - einige ihrer seltenen Farbaufnahmen - in ihrem Archiv, die Originalfilme waren längst verloren. Für die Berliner Ausstellung hat sie Kopien angefertigt. Und die Wirkung der verblichenen Farben, der Zerbrechlichkeit dieser Bauten an der Grenze zwischen Land und Flut, der seriellen Einsamkeit hat etwas so Anrührendes, dass manchen Betrachtern die Tränen kamen, berichtet Aedes-Direktor Hans-Jürgen Commerell. Wohnen war schon immer eine riskante Tätigkeit. Nach der Katastrophe im Ahrtal weiß man: Das ist es auch in Deutschland.

Bett aus dem 7. Jahrhundert: Auf einer Reise entlang der georgisch-aserbaidschanischen Grenze entdeckte Schulz-Dornburg frühmittelalterliche Höhlen christlicher Mönche (Foto: Ursula Schulz-Dornburg)

Nur auf den ersten Blick wirken die Bilder Ursula Schulz-Dornburgs leer oder abstrakt. In Wahrheit ist eine Menge los. Religionen und Kulturen treffen aufeinander, imperiale Träume scheinen auf und verblassen, Menschen siedeln und ziehen weiter, Städte entstehen und vergehen. Es ist dieses ineinander Verschränkte, ein Herauswachsen der Architektur aus Erde, Wasser, Dschungel, aber eben auch aus der Zeit, das nicht ganz leicht zu entschlüsseln ist, aber die Mühe mit aufregender Tiefe belohnt.

Ursula Schulz-Dornburg wurde von der amerikanischen Minimalart inspiriert, von Donald Judd und Ed Ruscha, in Deutschland - Düsseldorf ! - von Bernd und Hilla Becher. Aber ihr Interesse galt bald anderen Regionen. Zu ihrem Gesamtwerk gehören Bilder sowjetischer Bushaltestellen in Armenien und des einstigen Atomversuchsgeländes in Kasachstan, der Moskauer Metro, Saudi-Arabiens und immer wieder Aufnahmen vom Ararat. Sie bereiste Länder fern des westlichen Abendlandes, fern sogar seiner Ränder. Aber die Ruinen der Hedschas-Bahn zwischen Damaskus und Medina zeugen eben auch von der innigen Kooperation zwischen dem Deutschen Reich und dem osmanischen Sultan. Geschichte ist immer auch geopolitischer Synkretismus.

In der Mitte des Saales schwebt ein Dach aus Strohrollen. Die Installation greift das Motiv der Nachbarausstellung bei Aedes auf, "Arbre à Palabres" mit Entwürfen des Architekten Francis Kéré . Der Titel geht zurück auf Versammlungs- und Gesprächsbäume, unter denen sich westafrikanische Gesellschaften treffen, um zu reden, zu handeln, zu richten. Kéré, von der Zeitschrift Architektur und Wohnen zum Architekten des Jahres gekürt, ist in Burkina Faso geboren und lebt in Berlin, und greift die Form dieses Baumes - den Schutz der Krone, den Schwung, die Konzentration der Begegnung - in vielen seiner Entwürfe auf. Man findet sie beim Parlament in der Republik Benin ebenso wie bei einem Kunstraum in Montana oder beim Goethe-Institut im senegalesischen Dakar.

Der Entschluss, die beiden Ausstellungen durch das Strohdach zu verbinden, sei kurz vor der Eröffnung gefallen, sagt Commerell. Buchstäblich in letzter Sekunde habe man sämtliche Strohmatten in sämtlichen Berliner Baumärkten aufgekauft, gerollt und zurechtgeschnitten. Diskret, aber unschwer zu entschlüsseln, zeigt sich auch hier: das Abendland.

Verschwundene Landschaften. Ursula Schulz-Dornburg , Düsseldorf Fotografien 1980-1998; Arbre à Palabres - Kéré Architecture , Berlin, beide bis 9. September. Aedes Architekturforum, Berlin. Kataloge jeweils 10 Euro

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