Walter Swennen im Kunstmuseum Bonn:Mondrian an der Wäschespinne

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Wenn Nonsens zum Enigma wird. Das belgische "Phantom" Walter Swennen im Kunstmuseum Bonn.

Von Catrin Lorch

Ein Trichter purzelt von oben ins Bild. Darunter schweben auf der weißen Leinwand ein grob gezeichneter Hase, der Schemen eines Elefanten und ein Krokodil. In ungelenker Schreibschrift liest man "rabbit" daneben, "glas" und "oil". Das "Alphabetum" steht im Jahr 1981 am Anfang der Karriere von Walter Swennen, der bis dahin Psychologie und Philosophie studiert und als Poet und Professor schon mehrere Berufswege beschritten hatte. Doch im Programm der Brüsseler Galerie ERG klaffte eine Lücke, heißt es in der Biografie. Und Walter Swennen stand bereit. Sichtbar war es dem im Jahr 1946 in Brüssel geborenen Künstler wichtig, sich zunächst von so einem Übervater wie dem Belgier René Magritte abzugrenzen, dessen Gemälde einer Pfeife mit dem programmatischen Satz "Ceci n'est pas une pipe" ("Dies ist keine Pfeife") als Schlüsselbild der Malerei im 20. Jahrhundert gilt.

Möglicherweise verdanke die Geschichte der Malerei genau solchen Figuren die interessantesten Bilder, schreibt Stephan Berg, "denen, die sich dem Medium skrupulös, zweifelnd und kritisch nähern". Der Direktor des Kunstmuseums Bonn richtet Walter Swennen derzeit eine Retrospektive "Das Phantom der Malerei" mit mehr als sechzig Gemälden aus.

Der Rundgang ist eine Überraschung - vor allem die malerische Qualität dieses Werks, das zunächst eher anekdotisch, assoziativ und verspielt wirkt. Doch Walter Swennens virtuose Malweise kann Motive wie einen Totenschädel, Trichter, Fischschwanz und Rautenmuster auf leuchtblauem Fond zu einer spannenden Komposition zusammenbringen - "Untitled (Tete a mort, entonnair)", 1987: das knochige, grau abgetönte Weiß und das rote Dreieck des Trichters kontrastieren wirkungsvoll mit den schlierig grün umrandeten Flossen, die sich im Blau zu wiegen scheinen.

Dass Walter Swennen als Junge in der Nachkriegszeit sein außergewöhnliches Zeichentalent an Comics schulte, an Klassikern wie Micky Maus und "Tim und Struppi", ist dagegen auf Motiven wie "Le Boniment" (2013) unübersehbar. Der Clown, der mit einem Zylinder in der Hand in ein Megafon brüllt, scheint als schwarze Silhouette vor Nachtblau auf - und es sind die Überzeichnungen wie Knollennase und Riesenfüße, die das Bild ausmachen. Swennen hat vom Comic gelernt, er übernimmt die energischen kleinen Striche, die Bewegung andeuten, und die dynamischen Konturen, die Bäuche anschwellen und Obst prall erscheinen lassen.

Das Enigma des Bildes besteht für diesen Maler vor allem aus Nonsens

"Ein Bild zu malen bedeutet, Nonsens in ein Enigma zu verwandeln", ist eine für Walter Swennen charakteristische Ansage, der seine Biografie im Katalog mit einer Anekdote beginnen lässt. Seine Eltern hätten sich spontan entschlossen, zu Hause ausschließlich Französisch zu sprechen, als er gerade fünf Jahre alt war und bis dahin ausschließlich Flämisch beherrschte. Sollte das der initiale Moment im Leben des hochbegabten Jungen gewesen sein, der als Teenager von seiner Mutter zum Malunterricht bei Claire Fontaine geschickt wird? Stupende bleibt er jedenfalls bei Motiven, die allesamt aus dem Kinderzimmer zu stammen scheinen: Ritter, Cowboys, Laternen, Spielkarten, Geister und Monster. Dazu Druckbuchstaben, Schreibschrift, Graffiti und Zeilen, die in den Bildern immer wieder so auftauchen, als sei dem Comic die Sprechblase verrutscht: Hallo? Hallo? Konrad Bitterli bemerkt dazu im Katalog, dass in solchen Bildfindungen der "Poet zum Painter" werde.

Walter Swennens Malerei ist dennoch nicht nur in Fragen der Semantik, sondern auch was Kunstgeschichte angeht ungemein vorgebildet. Das belegen raffinierte Anspielungen wie die tüpfelige Zeichnung auf den Flügeln eines Monsters (Jan van Eyck) oder Bananenschalen (Andy Warhol). Die mit Grundfarben kolorierten Raster eines Piet Mondrian paraphrasiert er wieder und wieder - bis hin zur Karikatur einer Wäschespinne, auf der die Hausfrau grundfarbige Kleidung rechtwinklig aufgehängt hat. Klassische Motive mischt und mixt seine Malerei unbekümmert zusammen, die davon zu leben scheint, dass Walter Swennen vor der Staffelei offensichtlich selbst neugierig ist, welche Reaktion ein kurzer Satz, ein Motiv oder ein Farbklang bei ihm hervorrufen.

Unter den vielen Anspielungen ragt dann eine Hommage heraus. "Untitled (Philip Guston)" aus dem Jahr 1985 zeigt einen mit den Initialen "P.G." bezeichneten Geist mit Melone, der wie als Kistenteufel grinsend aus einer Konservendose aufsteigt. Der Amerikaner Guston, ein Abtrünniger des Abstrakten Expressionismus, der wegen seiner Rückkehr zur Figuration von Weggefährten geschnitten wurde, ist sichtbar Vorbild für Walter Swennen, der sich ebenfalls der Abstraktion stur entzieht. Sogar das ungegenständliche Rosa, das sich auf einem Hochformat in weichen Pinselschwüngen ausbreitet, wird mit dem Titel "Red Cloud" (2006) wieder in der Wirklichkeit verankert.

Die Ausstellung würdigt einen Außenseiter, der auf der internationalen Bühne angekommen ist, nachdem er in seiner Heimat lange ratlos als "Post-Pop-Künstler" geführt wurde. Zwischen Bad Painting und malerischer Finesse entwickelte Walter Swennen eine hoch attraktive, kluge Malerei, die im Kontext der Sammlung des Museums auch an einen Sigmar Polke anschließt, an Martin Kippenberger oder eben Philip Guston. Malerei ist bei ihm keine Sprache, sondern ein intrikates Wechselspiel zwischen ironischem Scheitern und höchster Finesse.

Walter Swennen. Das Phantom der Malerei im Kunstmuseum Bonn bis zum 29. August. Danach vom 2. Oktober bis zum 9. Januar 2022 im Kunstmuseum Den Haag und vom 29. Januar bis zum 24. April 2022 im Kunst Museum Winterthur. Der Katalog kostet 39,90 Euro.

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