Fotografie:Anker in der Natur

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In Norwegen gibt es auffallend viel ambitionierte Architektur an Aussichtspunkten. Der Fotograf Ken Schluchtmann zeigt, wie organisch sie sich in die Landschaft einfügt.

Von Hans Gasser

Es ist schon ein seltsames Land, dieses Norwegen. So schmal und lang wie ein Baseballschläger und so menschenleer, dass jeder naturbegeisterte Mitteleuropäer sofort neidisch wird: Etwas größer sogar als Deutschland, aber nur 13 Menschen pro Quadratkilometer, da bleibt viel Platz für die Wildnis. Und wegen dieser Wildnis fahren die meisten Touristen nach Norwegen. Natürlich, Oslo ist auch schön, besitzt ein modernes Opernhaus, über dessen Dach man flanieren kann. Aber ganz ehrlich: Eigens deshalb fährt man dort nicht hin. Man will die Wasserfälle sehen und die türkisfarbenen Fjorde, die schneebedeckten Fjells, die Rentiere und die großen Gletscher.

Die meisten Gäste erleben dieses Land und seine Naturschönheiten im Auto, aus dem Auto heraus; an besonders schönen Plätzen steigen sie aus, wollen staunen und fotografieren. Damit sie das nicht auf öden Parkplätzen oder an hässlichen Geländern tun müssen, lässt die staatliche Straßenverwaltung seit 1994 und noch bis 2023 die Aussichtspunkte verschönern und das auf typisch skandinavische Art: mit guter Architektur und besonderem Design. Wo etwa in den Alpen uninspirierte Metallplattformen über Felswände gehängt werden, haben in Norwegen meist einheimische Architekten und Künstler Stege, Gebäude und Kunstwerke geschaffen, die sich auf reduzierte, zurückhaltende Art in die gewaltige Landschaft einfügen und gleichzeitig einen Kontrapunkt setzen, einen Bruch, der die Natur und den Ausblick oft aufwertet.

Besonders stark tun sie das auf den Bildern des deutschen Fotografen Ken Schluchtmann, der auf fünf Reisen die rund 2000 Kilometer der 18 norwegischen Landschaftsrouten mehrmals abgefahren ist, geduldig wartend auf den richtigen Moment, das richtige Licht. Das ist auf seinen Bildern häufig der typisch norwegische, wolkenverhangene Himmel, oft auch die Dämmerung, selten die Sonne. Die spektakuläre Aussichtsplattform an der viel besuchten Trollstigen-Passstraße (großes Bild) hat er in sich lichtendem Nebel während der Dämmerung fotografiert; den Reindeer Pavilion zur Tierbeobachtung im Dovrefjell-Nationalpark (kleines Bild) ausnahmsweise bei Sonnenschein. Schluchtmann setzt die Architektur in der Landschaft meist so in Szene, dass man als Betrachter darauf gar nicht mehr verzichten möchte. Da kommt seine Arbeit als Fotodesigner und Werbefotograf durch, der kühle, kontrastreiche Look. Ob man als Tourist diese Bauwerke jemals so schön und vor allem so menschenleer erlebt, ist eine ganz andere Frage.

Ken Schluchtmann: Architektur und Landschaft in Norwegen. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2014. 160 Seiten mit 107 Abbildungen, 58 Euro.

© SZ vom 21.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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