Fotoband "Land ohne Eltern":Gerahmte Einsamkeit

Kinderbilder sind etwas Schönes. Weniger erfreulich ist es, wenn sie in Zimmern von Menschen stehen müssen, die ihre Kinder in der alten Heimat zurückgelassen haben, um in einem anderen Land zu arbeiten. Die Fotografin Andrea Diefenbach zeigt in dem Bildband "Land ohne Eltern" das getrennte Leben moldawischer Arbeitsmigranten und ihrer Familien.

Irene Helmes

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Fotoband "Land ohne Eltern":Ottilia

Land ohne Eltern_Andrea Diefenbach

Quelle: Andrea Diefenbach

Kinderbilder sind etwas Schönes. Außer sie stehen im Zimmer von Menschen, die ihre Kinder zurücklassen mussten, um in einem anderen Land zu arbeiten. Die Fotografin Andrea Diefenbach zeigt in dem Bildband "Land ohne Eltern" das getrennte Leben moldawischer Arbeitsmigranten und ihrer Familien.

Ottilia sah ihre Eltern fünf Jahre lang nicht. Denn die waren illegal nach Italien emigriert und konnten nicht zurück. Ottilia war für sie ein gerahmtes Foto und weit weg. Sie nannte ihre Oma, die für sie sorgte, irgendwann "Mama", während die Eltern - nachdem sie jeweils 4000 Euro an ihre Schlepper gezahlt hatten - versuchten, in Italien mehr als ihren moldawischen Monatslohn von je 200 Euro zu verdienen. Vor einem Jahr gelang es, eine Aufenthaltserlaubnis für Italien zu bekommen. So konnten sie die Tochter nachholen. Zu dem Baby, das in der Zwischenzeit in Italien zur Welt gekommen war.

Geschichten wie diese sind in "Land ohne Eltern" zunächst nur zu erahnen. Die Bilder erschließen sich nicht alle sofort. Doch am Ende des Buchs hat die Fotografin kurze Protokolle zum Leben ihrer Modelle angefügt. Wie auch ...

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Fotoband "Land ohne Eltern":Carolina

"Land ohne Eltern" von Andrea Diefenbach

Quelle: Andrea Diefenbach

... die Geschichte von Carolina, Sabrina und Olga.

Carolina ist die jüngste von drei Schwestern. Als sie acht Jahre alt war, ging ihre Mutter nach Italien, um dort als Altenpflegerin zu arbeiten. Carolina blieb mit ihren älteren Schwestern alleine zurück. Zuerst versorgten sich die drei selbst, die älteste Schwester ...

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Fotoband "Land ohne Eltern":Olga

Land ohne Eltern_Andrea Diefenbach

Quelle: Andrea Diefenbach

... Olga, musste früh lernen, einen Haushalt zu führen. "Sie verhalten sich äußerlich wie kleine Erwachsene", zitiert der Bildband eine Psychologin der Internationalen Organisation für Migration zu solchen Fällen.

Später konnte die Mutter andere Familien dafür bezahlen, sie aufzunehmen. Inzwischen lebt die Mutter legal in Italien und konnte Carolina und Sabrina, die mittlere Tochter, nachholen. Olga blieb und besucht in der moldawischen Hauptstadt die Schule.

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Fotoband "Land ohne Eltern":Lilia

Land ohne Eltern_Andrea Diefenbach

Quelle: Andrea Diefenbach

Bilder eines Arbeitslebens: Lilia lebt seit acht Jahren in Italien. Sie und ihr Mann Georgju verschuldeten sich in ihrem moldawischen Heimatdorf damals hoch, um dorthin zu gelangen, und brauchten Jahre, bis sie ihren ehemaligen Nachbarn alles inklusive 25 Prozent Zinsen zurückgezahlt hatten.

Die ersten vier Jahre blieben die Töchter Alina und Nadja bei den Großeltern, es ging nicht anders. Auch während dieser Zeit hat Diefenbach fotografiert in Moldawien. Doch inzwischen konnten auch Lilia und Georgju die Kinder nachholen.

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Fotoband "Land ohne Eltern":Aliona und Wanja

Land ohne Eltern_Andrea Diefenbach

Quelle: Andrea Diefenbach

Viele der Bilder wirken auf den ersten Blick unspektakulär.

Ein Paar mit Handy etwa.

Es sind Aliona und Wanja, die zwei Kinder haben, kaum Geld und davon schon zu viel verloren bei gescheiterten Versuchen, sich nach Italien bringen zu lassen. Als Wanja es endlich geschafft hatte, mussten zunächst 6000 Euro Schulden abgestottert werden - der Lohn für die erste Saison auf den italienischen Melonenfeldern. Mal ist Aliona mit den Kindern in Moldawien geblieben, mal ging das Paar gemeinsam und ließ die Kinder bei den Großeltern.

Und dann ist ein Handy nötig, um mit den Kindern sprechen zu können.

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Fotoband "Land ohne Eltern":Großmutter Iwanowa und Catalina

Land ohne Eltern_Andrea Diefenbach

Quelle: Andrea Diefenbach

Die Großeltern, sie sind auf vielen Bildern in "Land ohne Eltern" zu sehen. Großmutter Iwanowa etwa zog für die Zeit, die ihre Enkel Catalina und Viktor alleine wären, extra in deren Dorf. Deren Eltern sind seit Jahren in Italien, dazwischen auch in Moskau.

Die traditionellen moldawischen Familienstrukturen zerbröckeln, schreibt Diefenbachs Co-Autorin Nicola Abé, "Wunsch und Wirklichkeit driften auseinander".

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Fotoband "Land ohne Eltern":Land ohne Eltern

Land ohne Eltern_Andrea Diefenbach

Quelle: Andrea Diefenbach

Diesen Zerfall hat Andrea Diefenbach durch diverse Reisen nach Moldawien und Italien während der letzten Jahre beoachtet und im nun erschienenen "Land ohne Eltern" dokumentiert. Dafür gab es den n-ost Reportagepreis 2012.

Andrea Diefenbach: Land ohne Eltern. Texte von Nicola Abé, Dumitru Crudu, Grigore Vieru. Kehrer Verlag, Heidelberg 2012. 124 Seiten, 73 Farbabb., Deutsch/Englisch. 39,90 Euro.

© Süddeutsche.de/ihe/pak/gba
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