200. Geburtstag von Fjodor Michailowitsch Dostojewski:Superheld oder Zweifler

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Denkmal für Fjodor Dostojewski vor der Russischen Staatsbibliothek in Moskau. (Foto: Mikhail Tereshchenko/imago images/ITAR-TASS)

In Russland wird Fjodor Dostojewski heute als Nationalheld gefeiert. Geht alles, wenn man ihn nur selektiv genug liest.

Von Sonja Zekri

Erinnern wir an einen Mann, der Großes mit Russland vorhatte. In Sankt Petersburg hatte er seine Jugend verbracht, aber prägende Jahre auch in Dresden. Sein Verhältnis zu Europa war kompliziert, um das Mindeste zu sagen, manche sprachen von einer Hassliebe.

Die Rede ist - richtig geraten - von Russlands Präsident Wladimir Putin.

Die Rede ist natürlich auch von Fjodor Dostojewski, der sich an der Elbe zwar nicht so wohl fühlte wie Putin - die Frauen zu hässlich, die Stadt zu öde, die Casinos weit weg -, aber aus Kreml-Perspektive kommt es derzeit vor allem auf die Gemeinsamkeiten an. Zu Sowjetzeiten hatte Dostojewski keinen leichten Stand, seine Skepsis gegenüber den Sozialisten und Revolutionären, aufs Finsterste ausbuchstabiert in den "Dämonen", verzieh man ihm ebenso wenig wie seine Orthodoxie. Zwar waren seine Ressentiments gegen die Deutschen im Großen Vaterländischen Krieg durchaus nützlich, aber der dauerte auch nicht ewig. Dostojewski galt als Gestriger, als Erzreaktionär. Die erste Briefmarke erschien 1956.

Wer die Moderne kritisieren möchte, lässt sich manche seiner Sätze auf der Zunge zergehen

Vieles davon - die Ablehnung Europas, die Orthodoxie, der Konservatismus - ist im heutigen Russland Staatsdoktrin. Und so wenig die damalige wie die heutige Einschätzung einem der widersprüchlichsten Schriftsteller der Weltliteratur gerecht wird, so wenig kann Dostojewski sich an seinem 200. Geburtstag gegen die Indienstnahme wehren. Als gelte es die ausgebliebene Anerkennung von Jahrzehnten nachzuholen, feiert Russland den Literaten mit neuen Denkmälern, widmet ihm U-Bahn-Stationen, Straßen und Plätze, richtet Ausstellungen und Theaterstücke aus, Lesewettbewerbe, Filmabende. In Sankt Petersburg trägt ein Bus das Porträt Dostojewskis. In Moskau wird Putin am Donnerstag ein restauriertes Museum in einer Wohnung besuchen, in der der Literat seine Kindheit verbrachte. Seit einigen Jahren werden Romane Dostojewskis als TV-Serien adaptiert. Dostojewski ist so nah wie nie, ein Gesprächspartner, ein Zeitgenosse. Der rechtsextreme Eurasier Alexander Dugin feiert Dostojewski ebenso wie der Kommunist Gennadi Sjuganow. Die Literaturnaja Gaseta nannte ihn einmal einen "Superhelden" der postsowjetischen "Massenkultur".

Wenn man seine Werke nur selektiv genug liest, gibt er das her, keine Frage. Wie sollte er das Herz russischer und allerrussischster Nationalisten auch nicht erwärmen? Wer russischen Messianismus in seiner wärmenden, ekstatischen Variante suchte, der wird bei ihm fündig. Wer aus russischer Warte die Moderne kritisieren möchte, eine Moderne, die damals noch gar nicht richtig angebrochen war, der kann sich Sätze auf der Zunge zergehen lassen, wie den, dass die Rettung einzig darin liege, wenn "alle Menschen Russen werden", immer vorausgesetzt, Russland widersteht den Versuchungen des Materialismus und der Gottlosigkeit, den Geißeln der europäischen Aufklärung.

Im Februar legte der Regisseur Konstantin Bogomolow ein Essay mit dem Titel "Die Entführung Europas 2.0" vor, in dem er den Westen als Tyrannei aus "Queer-Aktivisten, fanatischen Feministinnen und Öko-Psychopathen" beschrieb. Einzig in Russland gebe es noch den "komplexen Menschen", und wer hätte komplexere Menschen geschaffen als Dostojewski?

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Das soziale Elend wertete er nicht als Versagen der Autokratie, sondern als Potenzial

Dass der Schriftsteller sich 1854 als "Kind des Jahrhunderts, ein Kind des Unglaubens und Zweifelns" beschrieben hatte, dass sich in seinen Schriften neben seinen brachialen Vorurteilen, dem Antisemitismus und den Fake News über, ja, auch die Frauen in Dresden, eben auch die anderen Positionen finden, dass die großen Romane ein einziges Ringen um den richtigen Weg sind, das passt gerade nicht ins kulturelle Klima.

Wer mit den Härten der russischen Gegenwart hadert, mag sich daran erinnern, dass der Schriftsteller Russlands Mission ohnehin als Zukunftsprojekt betrachtete. In der Festungshaft in Sankt Petersburg, in der sibirischen Verbannung hatte er in den Abgrund der Gesellschaft geblickt, Kriminelle, Mörder kennengelernt. In einer oft beschriebenen Wende aber wertete er das soziale Elend nicht als Versagen oder vielleicht auch nur Folge der Autokratie, sondern als Potenzial: "Man beurteile das russische Volk nicht nach seinen Schandtaten, die es so oft verübt, sondern nach den großen und heiligen Dingen, nach denen es in seinen Schändlichkeiten immer lechzt", schrieb er im "Tagebuch eines Schriftstellers". Gerade der einfache, der fehlbare Russe hat das Zeug, die Welt zu erlösen. In einer oft freudlosen Gegenwart macht das Dostojewski nur attraktiver. Es wird, so viel ist sicher, nicht Russlands letzte Neuentdeckung des Klassikers sein.

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