Filmemacher Michael Glawogger:Handbuch fürs Hotelzimmer

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Michael Glawogger: Workingman's Death

In "69 Hotelzimmer" erlebt man die Geburt der kühnen Glawogger-Visionen - zum Beispiel von den indonesischen Schwefelträgern in "Workingman's Death".

(Foto: Lotus & Quinte Film)

Michael Glawogger war ein grandioser Weltenfahrer des modernen Kinos. Ein Jahr nach seinem plötzlichen Tod erscheint nun das Reise- und Geschichtenbuch "69 Hotelzimmer". Es steckt voller Eskapaden, Exkurse und absurder Comedymomente.

Von Fritz Göttler

Wenn es dunkel wird, auf dem Nachttisch neben dem Bett, fängt dieses Buch an zu fluoreszieren, dann leuchtet der Schriftzug auf dem Buchrücken wie die Riesenbuchstaben, die auf der Fassade den Namen des Hotels verkünden und die, wenn man in seinem Zimmer ist, auch durchs Fenster hineinblinken, nur selektiv, nie in voller Länge. Eines der Stücke des Buchs erzählt denn auch von einer Nacht in Mexico City, die im Hotel Arlo (Monte Carlo) beginnt und, nach vehementen, blutigen Erlebnissen in einer Cantina, im Hotel Ella (Isabella) endet. "Ella Fitzgerald statt Arlo Guthrie, dachte er. Sonst war sein Gehirn noch bewölkt und leer."

Michael Glawogger ist als der große grandiose Weltenfahrer des modernen Kinos berühmt geworden, mit den drei starken Dokfilmen "Megacities", "Workingman's Death", über Extremformen der Ausbeutung, und "Whores' Glory", über Formen moderner Prostitution. Dazu hat er Spielfilme gedreht, die der Exzentrik seiner österreichischen Heimat liebevoll huldigen. Für das Wim-Wenders-Projekt "Kathedralen der Kultur" hatte er zuletzt die russische Nationalbibliothek in Sankt Petersburg erforscht, in 3D-Bildern, die das ganze Gedächtnis der Welt auf der Leinwand lebendig werden ließen.

Im Dezember 2013 brach er zu einem neuen Projekt auf, "Untitled - Der Film ohne Namen", ein Jahr lang wollte er Material sammelnd die Welt umrunden. "Man fährt und fährt und fährt", hat er dem Standard zu diesem Film erklärt, "und denkt sich, was das überhaupt werden soll. Und dann passiert etwas, gerade wenn man es nicht erwartet. Es wird ein Film über die Schönheit, über das Glück, jedenfalls ganz anders als alles, was ich bisher gemacht habe." Am 23. April ist er plötzlich in Monrovia, Liberia gestorben - an Malaria, die nicht rechtzeitig diagnostiziert worden war.

Ein Jahr nach seinem Tod ist nun sein Buch "69 Hotelzimmer" erschienen, betreut von seiner Frau Andrea. Es setzt das Glück der Glawogger-Filme literarisch fort, die atemraubende Unbefangenheit des Blicks, die kompakte Beschreibung, die Fernes unerwartet vertraut, Naheliegendes irritierend fremd macht. Ein Reisebuch, das die Struktur des Genres ignoriert, das keinen Ausgangspunkt hat und keinen Zielpunkt und das auch den Mythos von der Selbstverwirklichung on the road desavouiert. "Der Reisende ist ein Fluchttier", er will unabhängig bleiben, immer auf dem Sprung, wie auf einem Eckplatz im Kino.

Mehr als vom Reisen und von den roads erzählt Glawogger vom Innehalten, von den Momenten des temporären Unterschlupfens, in großen und kleinen, modernen und heruntergekommenen Hotels, von der Einsamkeit und den Erwartungen, die sie provoziert, von den Schocks der Realität auf den Straßen der fremden Stadt, und wie man sich dagegen wappnet mit Erinnerungen und erfundenen Geschichten. Das Buch ist ein Glawogger-Labor, man spürt beim Lesen, wie die Vitalitätsschübe in den Filmen sich entwickeln, schaut der Geburt der GlawoggerKinovisionen zu in aller Welt - den wahnwitzigen Bildern von den Schwefelträgern oder den Schlächtern, den Huren in Thailand oder Indien.

Absurde Comedy-Momente

69 Hotelzimmer kündigt der Titel des Buches an, jedem - nur Nr. 13 wird ausgelassen - sind ein paar Seiten gewidmet, aber wenn das Buch schließt, sind wir dann bei Zimmer Nr. 96. "Michael Glawogger liebte jene Filmkomödien", schreibt seine Freundin Eva Menasse im Nachwort, "in denen Hotelzimmertüren so leidenschaftlich zugeschlagen werden, dass sich die Ziffern drehen und damit Verwicklungen und Verwechslungen erst in Gang bringen."

Es gibt tatsächlich absonderliche und absurde Comedy-Momente in diversen Episoden, der knirschende, metikulös berichtete Tod einer armen Kakerlake, oder eine Vierer-Koffer-Kollektion verschiedener Größen, die an die Dalton-Brüder erinnert (aber nur zwei von ihnen werden gekauft, der lange Averell und der kleine Joe, in Rot), oder die Streifzüge eines Bildes von Dan Rather - der CBS-Nachrichtensprecher -, das nach Vilnius gebracht werden soll im Jahr 1991, zwischen den Moskauer Flughäfen Scheremetjewo und Domodedowo leider verloren geht und zur Ikone mutiert. Dazu jede Menge Begegnungen, nächtliche Verirrungen, Trinkgelage.

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