"I, Tonya" im Kino:Prinzessin im Kaninchenmantel

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Ein Star auf dem Eis, und eine Verzweifelte: Margot Robbie spielt Tonya Harding, die ihrer größten Konkurrentin die Kniescheibe zertrümmern ließ. (Foto: DCM)

Prolliday on Ice: In "I, Tonya" verkörpert Margot Robbie den gefallenen Eiskunstlaufstar Tonya Harding - und zeigt die aggressive Verletzlichkeit der Ausgestoßenen in der US-Gesellschaft.

Von Susan Vahabzadeh

Der Begriff der Eislaufmutter ist aus der Mode gekommen, er klingt irgendwie angestaubt. Vielleicht, weil das ganze Erziehungsmodell nicht mehr satisfaktionsfähig ist, das dahinter stand: Weil das eigene Leben nicht erwartungsgemäß verlaufen ist, wird ein Kind dazu gequält, die eigenen Träume auszuleben. Lavona Golden, wie Allison Janney sie in "I, Tonya" spielt, ist ein besonders widerliches Exemplar der Gattung, sie schlägt schon mal mit der Haarbürste zu. Brille, Zigarette, kurze Haare, zerfurchte Gesichtszüge. Sie ist hart, das Leben hat sie eben hart gemacht, würde sie sagen - man könnte aber auch behaupten, dass sie sich mit sich selbst nicht viel Mühe gibt. Lavona ist arm und war immer arm. Sie kellnert, einen Ausweg gab es nie. Sie hat mehrere Ehemänner und alle Hoffnung in die Flucht geschlagen - und nun konzentriert sie sich auf ihre Jüngste, Tonya Harding. Ein zauberhaftes kleines Mädchen mit blonden Locken.

Der Skandal ging um die ganze Welt, als 1994 die amerikanische Eiskunstläuferin Tonya Harding beschuldigt wurde, sie habe ihrer Rivalin Nancy Kerrigan die Kniescheibe mit einer Eisenstange zertrümmern lassen. Die Sache machte Tonya Harding wesentlich berühmter, als es eine Goldmedaille bei den Olympischen Spielen getan hätte, und vor allem: berühmter, als ihr lieb war. Sie war erledigt, als herauskam, dass tatsächlich ihr Mann und ihr Bodyguard hinter dem Anschlag auf Kerrigan steckten. Craig Gillespie erzählt diese Geschichte nun, im Stil einer Mockumentary, streng aus der Sicht des Harding-Clans. Und wer kann schon einem Film widerstehen, der mit der Verkündung beginnt, er basiere auf komplett ironiefreien Interviews mit allen Beteiligten?

Man sieht also Lavona, deutlich sichtbar befinden wir uns in den späten Siebzigern, auf einer Eisbahn, qualmend natürlich, an der Hand die vierjährige Tonya. Das Mädchen sei noch viel zu klein, kritisiert die Eiskunstlauftrainerin (Julianne Nicholson), und außerdem sei Rauchen verboten. Lavona schubst das Kind aufs Eis, und die winzige Tonya strahlt und rauscht los, als wäre das ihre einzige Bestimmung. Schade nur, dass sie sich keinen Sport ausgesucht hat, in dem allein eine messbare Leistung zählt.

"I, Tonya" ist irgendwie komisch und irgendwie ein Sozialdrama mit sehr ungefälligen Figuren - aber Gefälligkeit ist im Kino kein Qualitätskriterium. Tonya Harding ist von Anfang an der Underdog, weil sie eben aus einer Familie stammt, die Eichhörnchen abknallt. Oder Kaninchen. Das Kind braucht einen Pelzmantel, sagt die Trainerin, bald kreuzt Tonya also in einem Mäntelchen auf, das Lavona aus den Fellen der fürs Abendessen selbst gewilderten Karnickel zusammengeflickt hat. Tonya kann springen wie keine Zweite - aber sie hat die Eleganz eines Maulesels. Die Richter mögen ihre trashigen, selbstgemachten Kostüme nicht, die ZZ Top-Songs, zu denen sie auftritt, ihren Hang zu Pöbeleien - und überhaupt haben sie keine Lust, eine Familie ins Rampenlicht zu stellen, die so wenig bürgerliche Sittsamkeit ausstrahlt wie der Harding-Clan. Einmal, da ist Tonya schon groß - sie wird nun von Margot Robbie gespielt -, hört man einen Ruf, als sie auf die Eisbahn geht: "Prolliday on Ice!" Das wird nicht dadurch besser, dass der Ruf von ihrem Stiefbruder kommt. Den hat sie davor verhaften lassen, weil er sie betatscht hatte.

Hartes Muttertier: Allison Janney bekam den Nebenrollen-Oscar. (Foto: DCM)

Natürlich sind die Hardings komisch, besonders, wenn sie sich an die Kamera wenden und alles leugnen, was man gerade gesehen hat. Oft bleibt einem aber der Hohn im Hals stecken. Tonya heiratet, dem Vorbild ihrer Mutter folgend, den ersten Kerl, der nicht vor ihr davonläuft. Dass er bald anfängt, sie zu schlagen, findet sie normal - das hat ihre Mutter auch getan. Jeff Gilooly (Sebastian Stan) hat aber auch eine Knarre, und bald steht das erste Mal die Polizei vor der Tür, weil der liebende Gatte Tonya im Affekt fast ein Auge ausgeschossen hätte.

Jeff hat einen Freund, der ein noch größerer Loser ist als er selbst, der bei seinen Eltern wohnt, keinen Job hat und den Leuten erzählt, er sei beim Geheimdienst. Der wird als Bodyguard engagiert, und als es dann nicht gut läuft mit Tonyas Leistung kurz vor den Olympischen Spielen 1994, in einem letzten Anlauf, obwohl sie langsam zu alt wird für den Hochleistungssport und vom Kellnern lebt wie einst Mama - da haben die beiden Jungs eine Idee für echte Spatzenhirne: Sie engagieren zwei weitere Vollpfosten, um Tonyas Rivalin Nancy Kerrigan einzuschüchtern. Schon wegen dieser Konkurrenz, die weit übers Eis hinausgeht - Kerrigan ist die Prinzessin, Tonya der Trampel. Dann eskaliert die Sache, irgendwie, ganz organisch - und selbstverständlich haben alle dem FBI eine schöne, breite Spur gelegt, damit man sie auch findet.

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Es ist ein interessanter Balanceakt, den Gillespie hier vollführt, oder besser: vollführen lässt, denn viel davon hängt an den großartigen schauspielerischen Leistungen von Margot Robbie und vor allem von Allison Janney, die für ihren Auftritt als Mutter gerade den Oscar bekommen hat. Denn man kommt diesen Figuren doch merkwürdig nah, obwohl sie so liederlich sind, sogar der rabiaten Mutter: Weil man schon verstehen kann, dass sie ihr Bestes geben, und dass ihr Bestes keinem gut genug ist. So, wie Gillespie nun mit ihnen umgeht, enthält die Beschreibung schon mal kein falsches Mitleid, und es ist immer deutlich, warum sie das auch nicht verdienen: Weil sie keinerlei Verantwortung für das übernehmen, was sie tun. Alle sind sie Opfer: Lavona hat sich aufgeopfert, damit die Kleine eislaufen kann, Tonya ist Opfer ihres Ehrgeizes und der Brutalität von Jeff, der wiederum ein Opfer der Umstände ist. Nancy Kerrigan, der die Kniescheibe zertrümmert wurde, kommt in dieser Geschichte so gut wie nicht vor. Sie huscht nur durchs Bild. Und doch ist klar, dass Tonya und ihre Mutter sich das Wenige, was sie über die Unantastbarkeit der Würde anderer wissen, selbst beigebracht haben.

Das Kino versucht hier, sich einen Reim zu machen auf die im US-Wahlkampf 2016 so oft zitierten "deplorables", die Beklagenswerten am Rand der Gesellschaft - zurückgelassen, ausgestoßen, manchmal bis an die Zähne bewaffnet und hochgradig aggressiv. Wie der Respekt, den Menschen für sich selbst verlangen, mit dem zusammenhängt, den sie bekommen - das kann nun natürlich die Geschichte eines Eiskunstlaufskandals auch nicht klären. Und doch hat hier alles mit allem zu tun. Es gibt ja längst ganz viele Tonyas in unserer Welt, und alles ist ein Wettbewerb.

I, Tonya , USA 2017 - Regie: Craig Gillespie. Drehbuch: Steven Rogers. Kamera: Nicolas Karakatsanis Mit: Margot Robbie, Allison Janney, McKenna Grace, Sebastian Stan, Julianne Nicholson, Paul Walter Hauser. DCM, 119 Minuten.

© SZ vom 22.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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