Fernsehen:Kein Domian mehr unter dieser Nummer

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Verblüffende 43 200 Euro hat der weiße Hirsch, Domians Maskottchen, in einer Spendenaktion eingebracht. (Foto: Henning Kaiser)

Kurz vor zwei Uhr am Samstagmorgen beginnt bei Domian das Abschiednehmen. Der Moderator geht wie er war: Ohne viel Getöse um seine Person.

Von Hans Hoff

"Wir haben Einuhrdreiundfünfzigundachtundvierzig Sekunden. Jetzt ist die Zeit des Abschiednehmens gekommen." Jürgen Domian sagt das am sehr frühen Samstagmorgen. Dann bedankt er sich bei seinen Technikern, beim Publikum, bei den Anrufern und seinen Zuhörern: "Vielen Dank für euer Vertrauen, vielen Dank für eure Treue. Die Zeit mit euch war groß."

Nach fast 22 Jahren und über 25 000 Anrufen ist es Zeit, Bilanz zu ziehen. "Was ich hier gelernt habe, in all den Jahren, das war Demut", sagt der Mann mit dem schlichten weißen Hemd und den schwarzen Kopfhörern, der nun vom Sender geht. "Auf Wiederhören, auf Wiedersehen, Euer Jürgen Domian."

Dann nimmt er den Kopfhörer ab, steht auf und schiebt betont langsam die Pappkulissen zur Seite, die im Hintergrund eine Backsteinwand simulieren. Dazu läuft, ganz zart, "Hallelujah", der Klassiker von Leonard Cohen.

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Der zurückhaltende Mann, der zuhören konnte

Es ist ein würdiger Abgang, ein leiser, ein melancholisch stimmender Moment. Er passt zu Domian, der es Zeit seiner Karriere vermieden hat, großes Getöse um seine Person zu veranstalten. Er war der zurückhaltende Mann, der zuhören konnte, der Verständnis zeigte für Anrufer in seelischer Not, der sich aber auch herzhaft zu amüsieren wusste, wenn irgendwer etwas Skurriles beizutragen hatte.

Skurril ist auch die Mischung der letzten Sendung. Sie beginnt mit einer Frau, die von dem Stress erzählt, nicht zu wissen, wann sie wieder auf die Toilette gehen kann. Domian springt ihr bei und berichtet, dass er sich 20 Jahre lang eine große Frage gestellt hat: "Was mache ich, wenn ich Magen-Darm kriege, während ich hier sitze?"

Die Angst war unbegründet, aber so wie er es erzählt, ist es vor allem der Versuch, seiner Anruferin beizuspringen, ihr zu sagen: Du bist nicht allein. Es ist jemand für dich da. Und wenn es nicht Domian ist, dann sind es die vielen ehrenamtlichen Helfer, die sich ganz ohne Kamera die Nacht um die Ohren schlagen bei den vielen Anlaufstellen der Telefonseelsorge. Die sind jetzt wieder allein, ohne den Mann, der stets wie eine lebende Werbung für intensives Zuhören wirkte.

Der aber auch beherzt lachen konnte und neugierig wird, wenn jemand von schrägen Lebenswegen berichten kann. In der Abschiedssendung ist das David, ein 20-Jähriger, der sein Taschengeld mit dem Synchronisieren von Pornofilmen verdient. "Das ist schauspielerisch nicht die große Herausforderung. Könnte ich, glaube ich, auch", sagt Domian und fordert eine Kostprobe ein.

David legt los, "Stöhn, Stöhn, Oh ja, komm, Baby", und Domian erklärt den Ahnungslosen: "Falls gerade zufällig jemand reinschaltet: Wir machen hier keinen Telefonsex. Ist nur Spaß." Er kitzelt noch die Information raus, dass David für den Synchronisationsjob gerade mal 20 Euro pro Stunden bekommt.

Es folgt Lydia, ein rheinisches Urgestein, eine 76-Jährige, die schon mal zugeschaltet war. Damals berichtete sie freimütig, wie sie nach einem Besuch am Grab ihres Mannes einen Wildfremden kennengelernt hatte, der sie in einem nahegelegenen Waldstück perfekt oral zu befriedigen wusste.

"Es war ein Traum. Der hatte eine Zunge, da kann ich dir sagen, der hat toll gearbeitet", berichtet Lydia, und dann hat Domian noch eine Überraschung für die Dame parat, denn in einer anderen Leitung ist Horst, ihr Sohn. Der erzählt, wie schräg es für ihn war, vom Anruf seiner Mutter in der Sendung zu erfahren. Es geht launig hin und her, und dann lädt Domian Mutter und Sohn noch zu seiner Bühnentournee ein, die im Januar startet.

Wie so oft liegt danach nur ein Klick zwischen großer Heiterkeit und wirklicher Tragik. "Ich habe keinen zum Reden", sagt die 46-jährige Ramona, die im Frühjahr ihren Lebensgefährten verloren hat, die weinend von ihrer Obdachlosigkeit berichtet und davon, dass sie nicht weinen darf, wenn ihre Tochter da ist.

"Ich verspreche dir, meine Psychologin ruft dich an", sagt Domian am Ende eines sehr ernsten Gesprächs. Sein Team werde sich alle Mühe geben, Ramona aus ihrem Gefängnis rauszuholen, sagt er.

Es folgen ein Modedesigner, der Domian in Melbourne hört, und eine Kriminalpsychologin, mit der sich das Gespräch rasch um die Frage dreht, wann ein Mensch böse ist. "Danke, dass du so vielen Menschen da draußen gezeigt hast, dass sie nicht allein sind", sagt die Frau, und dann kommt noch einer, der sich bedanken will, dass er die letzten 15 Jahre nachts auf der Autobahn nicht eingeschlafen ist. Weil Domian im Radio lief.

Domian schiebt kurz die Hände in die Taschen und wirkt verlegen

Klaus heißt der Anrufer, und Klaus gibt sich heiter. Aber der Zuhör-Profi im Studio riecht den Unterton. "Wie geht es dir im Moment, Klaus?", fragt er. "Durchwachsen", lautet die Antwort, die andeutet, dass da noch viel Gesprächsbedarf ist. Aber Klaus gibt sich versorgt und hat sogar noch einen Tipp für die einsame Anruferin vorher parat. "Die Ramona, die soll einfach zur Caritas gehen", sagt er und erfährt dann, dass er der allerletzte Anrufer war, der je zu Domian durchgestellt wurde.

Es folgt Domians Abschied, die Dankensworte, das leise "Hallelujah". Domian schiebt kurz die Hände in die Taschen, wirkt verlegen, schaut sich noch einmal um, zieht bedächtig seine Steppjacke über, richtet sorgfältig den Kragen und ergreift sein Maskottchen, einen weißen Hirschen, der in einer Wohltätigkeitsaktion verblüffende 43 200 Euro eigebracht hat, die der Spender zahlt, ohne Anspruch auf den Hirschen zu erheben. Den schenkt er Domian, der sich nun noch einmal umschaut. Noch einmal nimmt er die Kopfhörer in die Hand, dann geht er aus dem Bild.

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Im Hintergrund sieht man seine Mannschaft hinter einer Scheibe im Neonlicht stehen. "Danke, Jürgen" steht auf einem Insert, auf dem auch die Anrufnummer zu sehen ist, die Domian in all den Jahren wohl tausendfach vorgelesen hat, die nun aber leer läuft. Nullachthundert Zweizweinull, Fünfzig, Fünfzig. Das leise "Hallelujah" endet um Einuhrneunundfünfzigundneunundfünfzig Sekunden. Kein Domian mehr unter dieser Nummer.

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