Favoriten der Woche:Freaks, Magie und Agitation

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"Elmer Gantry" (Foto: explosive media)

Burt Lancaster als Gottes Einpeitscher, Wien als Welt, die Abenteuer des Äffchens Passepartout, Sommer-Songs und eine Liebermann-Ausstellung. Fünf Empfehlungen der SZ-Redaktion.

Film: Burt Lancaster in "Elmer Gantry"

Er tut alles für einen guten Showeffekt ... Mit einem Schimpansen auf dem Arm spaziert Elmer Gantry vor den Zuschauern im Zelt herum - kein Zirkuszelt, sondern eines für eine der großen Revival-Shows, mit denen in Amerika den Leuten ihr Glaube wiederbelebt werden soll. Von diesem Tier stammen wir also ab, macht er sich über die Evolutionstheorie lustig, beschwört den Kreationismus - dass die Schöpfung genau so sich abspielte wie in der Bibel erzählt. Die Wissenschaft verachtet er, ich bin gegen Harvardismus, Yaleismus, Princetonismus - die großen amerikanischen Universitäten. Elmer Gantry hat sich als billiger Vertreter rumgeschlagen im Hinterland, bis er auf die Revival-Show der Schwester Falconer stieß, verkörpert von Jean Simmons.

Burt Lancaster ist Elmer Gantry in der Verfilmung des gleichnamigen Romans von Sinclair Lewis, gedreht von Richard Brooks, die nun wieder auf DVD herausgekommen ist (explosive media). Der Roman ist von 1927, der Film von 1960, zu beiden Zeiten waren sehr viele Amerikaner überzeugt von der Gültigkeit der Schöpfungsgeschichte, und das sind sie heute immer noch. Was ist ein Revival, räsoniert ein Journalist, der die Wandertruppe begleitet. Ist es eine Kirche? Ist es eine Religion? Oder ist es ein Zirkus, mit Freaks, Magie, und rabble-rousing - was Agitation bedeutet, Aufputscherei oder Hetzerei.

Richard Brooks war ein kerniger Liberaler im Hollywoodbetrieb, aber Lancaster (der in der Jugend im Zirkus begann) macht aus Gantry eine erschreckend schillernde Figur. Er ist furios, wenn er in Fahrt kommt, kann uns richtig Angst machen mit seinem "Ihr seid alle Sünder" - natürlich hat er den Oscar bekommen für solche Auftritte. Er kann alles verkaufen, und Revival ist eben vor allem: ein Geschäft. Und er geht den erregten Massen voran, mit Fackel und Axt, um die Speakeasys - es ist die Zeit der Prohibition - und die Bordelle der Stadt Zenith auszuräuchern. Als eine Jugendaffäre publik wird, wendet eben diese aufgehetzte Stimmung sich gegen ihn und gegen seine Show. Aber zur Religion - auch das macht Lancaster deutlich - muss immer auch das Sinnliche gehören. "Ich möchte dir die Engelsflügel ausreißen", beschwört er Jean Simmons, "eine wirkliche Frau aus dir machen." Fritz Göttler

Die Kennedybrücke in Wien. (Foto: Franz Hammerbacher)

Bildband: "Almost 2: Eine Weltreise in Wien"

Als der in Wien lebende und an Wien quarantänebedingt leidende Publizist Wojciech Czaja vor Langeweile nicht mehr ein und noch weniger aus wusste, hatte er eine Idee. Bilder von Orten zu machen, die in Wien sind, aber an etwas ganz anderes erinnern. In der Nähe die Ferne zu entdecken. Daraus ist bald ein Facebook-Hype geworden - und jetzt gibt es "Almost 2: Eine Weltreise in Wien" (Konnex, Edition Korrespondenzen, 22 Euro). Zu sehen sind diesmal auch Bilder von Leuten, die sich beim Almost-Paten Czaja gemeldet haben mit eigenen Ideen von Wien. Das Bild "Almost Edward Hopper's America" stammt daher erstens von der "Kennedybrücke" in Hietzing. Und zweitens von Franz Hammerbacher. Drittens freut man sich schon auf Almost 3. Wenn Viren mutieren und serieller Natur sind: Bücher können das auch. Wir schlagen zurück. Gerhard Matzig

Kinderfilm: "In 80 Tagen um die Welt"

Das Äffchen Passepartout in "In 80 Tagen um die Welt". (Foto: dpa)

Ein junges Äffchen träumt von der weiten Welt, die er nur aus Büchern und von Postern an der Kinderzimmerwand kennt. Denn Passepartout hängt fest in einer düsteren Hafenstadt, zwischen einer erstickend-überbehütenden Mutter und zwielichtigen Gestalten. Eines Tages surft dann der hawaiihemdbehangene Phileas Frosch in Passepartouts Leben und geht eine Wette ein: In 80 Tagen will er es einmal um die Welt schaffen - und Passepartout nimmt er einfach mit. In dem rasanten Tempo, in dem die beiden von Abenteuer zu Abenteuer stolpern, ist auch Samuel Tourneux' Kinderfilm "In 80 Tagen um die Welt" nach Jules Vernes Klassiker erzählt. Gewürzt mit popkulturellen Referenzen von James Bond zu klassischer Comicästhetik und ironischen Brechungen, hebt sich der Animationsfilm immer wieder selbst auf Metaebenen und überrascht auch Erwachsene mit Witz und neuen Ideen. Ganz so als würde er selbst dem Lebensmotto seiner Figur Phileas Frosch folgen: "Alles vorausplanen? Wo bleibt da der Spaß?" Lisa Oppermann

(Foto: N/A)

Pop: das Album "Artifacts" von der Band "Beirut"

Mit 35 Jahren ein Doppelalbum rauszubringen, das 20 Jahre Musikerleben auffächern kann, das ist an sich schon eine Leistung. Zack Condon, Komponist und Sänger der Folklore-Indie-Band Beirut, hat für "Artifacts" also entsprechend dem Titel archäologische Grabungen in den Tiefen seiner Festplatten angestellt und aufpoliert, was er da an fälschlicherweise Liegengelassenem gefunden hat.

Die 26 Songs auf "Artifacts" haben Namen wie "Fisher Island Sound", "Sicily" oder "Transatlantique", eingespielt mit Bläsern, Ukulele, schepperndem Schlagwerk. Da ist zwar null Überraschung drin, alles klingt so wie 2011. Aber damals war, wie wir heute wissen, tatsächlich einiges besser. Dementsprechend tröstlich ist die Platte, ein musikgewordenes Polaroid, aufgenommen in einem Sommer an der Adria, in Frankreich oder Portugal. Ein Album wie ein flatternder Rock, ein tropfendes Eis und die Schwermut über die dunkle Gewissheit, dass der Sommer zu Ende gehen muss. Christiane Lutz

Max Liebermann: Strandbild bei Nordwijk, 1911 (Foto: privat)

Ausstellung in Düsseldorf: Max Liebermann als europäischer Künstler

Der Sommer 1872 war ein wichtiger Wendepunkt für Max Liebermann. Der Berliner Maler, damals Mitte zwanzig, besuchte den Salon der Académie des Beaux-Arts in Paris - nicht selbstverständlich so kurz nach dem deutsch-französischen Krieg. Er verkehrte auch in den Galerien der Pariser Händler und traf dort nicht nur die wichtigsten Salonmaler der Zeit, sondern auch Solitäre wie Gustave Courbet und die Mitglieder der Malschule von Babizon. Deren Pleinair-Gemälde, weit weg von akademischer Malerei und in Opposition zu dieser entwickelt, zogen Liebermann so sehr an, dass er vom Dezember 1973 an vier Jahre in Frankreich lebte. Später reiste er alljährlich in die Niederlande, seine "Malheimat", wie er selbst sagte, um ländliche Sujets, aber auch Szenen aus der Freizeit seiner eigenen bürgerlichen Schicht festzuhalten: Jugendliche am Strand, Reiter, Spaziergänger.

Der Düsseldorfer Kunstpalast zeigt jetzt in seiner großartigen Schau "Ich. Max Liebermann. Ein europäischer Künstler" den deutschen Impressionisten als Teil eines dichten, supranationalen Künstlernetzwerks. Mehr als 100 Werke von 64 Leihgebern, Museen und privaten Sammlungen sind in der Schau zu sehen, die in Zusammenarbeit mit dem Hessischen Landesmuseum Darmstadt entstand. Die Ausstellung vollzieht überzeugend Liebermanns stilistische Entwicklung nach, die fortschreitende Aufhellung seiner Palette und die Sprezzatura des Farbauftrags - von der Auseinandersetzung mit alten Meistern, über Realismus hin zu einer besonderen Ausprägung des Impressionismus.

Eingebettet ist diese Entwicklung in den Kontext der Arbeiten seiner Zeitgenossen: Millet, Manet, Monet, Pissarro, Corot, van Gogh. Den Niederländer traf Liebermann nie persönlich. Doch ein Einfluss auf den sechs Jahre jüngeren Kollegen ist erkennbar, wenn man etwa den quasi-rustikalen Gestus von Liebermanns in Babizon entstandener "Kartoffelernte" (1875) aus der Sammlung des Kunstpalastes mit van Goghs "Kartoffelsetzen" (1885) aus dem Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum vergleicht. Liebermanns Spätwerk gipfelt dann in den wunderbaren Darstellungen seines eigenen Gartens am Wannsee, eine Auseinandersetzung mit wechselnden Licht- und Farbsituationen, die denen seines französischen Kollegen Monet in nichts nachsteht. Alexander Menden

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