Am 11. Juni goss es in Berlin-Dahlem in Strömen. Und wie immer, wenn das passiert, lief das Kellergeschoss des Ethnologischen Museums voll Wasser. "Knöcheltief" stehe es dann an manchen Stellen des Gebäudes, darunter auch die Depots, so ein Mitarbeiter. Das Haus, eines der größten ethnologischen Museen der Welt, ist seit zwei Jahren für Besucher geschlossen. Ein kleiner Teil der Sammlung mit etwa 10 000 Objekten zieht im nächsten Jahr ins Humboldt-Forum um. Doch der Rest, über eine halbe Million Stücke, bleibt hier. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) will dort einen "Forschungscampus" bauen, kündigte sie letzte Woche erneut an. Doch ob und wann der realisiert wird, weiß niemand.
Noch auf Jahre hin werden die Objekte also möglicherweise unter Bedingungen gelagert, die, gelinde gesagt, nicht ideal sind. Wasser quillt nicht nur von unten in den "Bauteil 4" des aus den Sechzigerjahren stammenden Komplexes, es dringt auch durch Dach und Fassade, der Wind pfeift durch die Ritzen. Die Klimaanlage, die seit der Einweihung nie erneuert wurde, kommt dagegen nicht an. Brandschutz? Ist nicht vorhanden. Unter anderem deshalb wäre vor zwei Jahren eigentlich die Betriebserlaubnis für den Bau abgelaufen. 2020 soll nun endlich eine Löschanlage eingebaut werden. Auch eine "Teilsanierung" ist geplant.
Seit vor zwei Jahren die Debatte um den Umgang mit Raubkunst aus den ehemaligen Kolonien, besonders aus Afrika, begann, hört man ein Argument gegen Restitutionen immer wieder: Die Museen in den Herkunftsländern seien nicht in der Lage, die Objekte sachgemäß aufzubewahren. Es fehle auch an der "Kultur", an Sorgfalt im Umgang mit dem Menschheitserbe. Hermann Parzinger, der Präsident der SPK, zu der auch das Ethnologische Museum gehört, forderte im Dezember einen "Strukturfonds zur Unterstützung von Museen in Afrika und anderen Teilen der Welt", um diese "bei der Lösung infrastruktureller Probleme zu unterstützen, vor allem bei Kulturerhalt, also Restaurierung und Konservierung oder Digitalisierung. Wir müssen die Museen in die Lage versetzen, ihre Aufgaben erfüllen zu können."
Oft wurden die nach Europa gebrachten Stücke auch noch vergiftet
Dieses Programm, ein Projekte des Auswärtigen Amts, ist inzwischen beschlossen. Es nennt sich "Agentur für internationale Museumskooperation". 2019 sind dafür neun Millionen, dann jährlich fünf Millionen Euro eingeplant.
Wenn Parzinger auf die "infrastrukturellen Probleme" der afrikanischen Museen hinweist, dann scheint er damit auch zu sagen: Wir haben diese Probleme nicht. Es gibt denn auch kaum eine Diskussion zur Restitutionsfrage, bei der nicht behauptet wird, den Afrikanern sei doch am besten gedient, wenn man die Dinge vorerst hier behalte, in der sicheren Obhut deutscher Museen.
Blickt man dort aber hinter die Kulissen, nicht nur in Berlin, sondern auch ins Stuttgarter Linden-Museum, ins Hamburger Museum am Rothenbaum oder ins Museum Fünf Kontinente in München, dann zerbröselt der Nimbus, den diese Institutionen ausstrahlen, wie eine vom Holzwurm zerfressene Maske: Seit Jahrzehnten ausgehungert durch die Politik, schlecht besucht und nach innen gewandt, haben sich in den Museen gewaltige Defizite angehäuft. Diese sind nicht überall gleich dramatisch, es gibt positive Ausnahmen wie das sehr moderne Stuttgarter Depot. Doch das ändert nichts am generellen Eindruck: Die Museen verwalten den Notstand.
Die Restitutionsdebatte wäre für die Museumsleute die Gelegenheit, darüber endlich offen zu sprechen. Zwar stehen die Museen wie nie in der Kritik, sie genießen aber auch ungeahnte Aufmerksamkeit. Nie kümmerte sich jemand um sie, nun werden sie sogar im Koalitionsvertrag erwähnt: "Die Aufarbeitung der Provenienzen von Kulturgut aus kolonialem Erbe in Museen und Sammlungen wollen wir fördern." Sie sind Instrumente außenpolitischer Soft Power geworden. Doch obwohl weniger die heute Verantwortlichen als ihre Vorgänger und die Politik Schuld an der Situation tragen, verschleiern die Direktorinnen und Direktoren der Museen weiter, wie es zugeht bei ihnen. Den Mythos der Autorität und Vorbildlichkeit ihrer Häuser halten sie hartnäckig am Leben. Und kaum jemand zieht ihn in Zweifel. Es gibt gute und weniger gute Ausstellungen, sicher, aber dass in vielen deutschen Museen Verschleiß, Schlendrian und Überforderung herrschen, dass sie im internationalen Vergleich weit abgeschlagen sind, ist wenigen bewusst.
In der von ihnen kürzlich veröffentlichten "Heidelberger Stellungnahme", eine gemeinsame Wortmeldung zur Kolonialismusfrage, versprechen die Direktoren der ethnologischen Museen "ein größtmögliches Maß an Transparenz", ohne zuzugeben, dass sie oft selbst nicht wissen, was in ihren Depots liegt. Sie werben für "kooperative Provenienzforschung als allgemeinem Standard", ohne einzugestehen, dass die dafür nötigen Vorarbeiten längst nicht gemacht wurden. Und nobel verkünden sie: "Die Sammlungen erhalten wir in treuhänderischer Sorgfaltspflicht." Eine Kuratorin, die ethnologische Museen in mehreren Ländern kennt, ist da anderer Meinung: "In den Depots der deutschen Museen kommt einem das Weinen."
Außer Wischmops gehört in Berlin, wie in allen ethnologischen Museen, die "PSA", die "persönliche Schutzausrüstung" zur Grundausstattung. Bei einer Führung durchs Depot trifft man auf Gestalten in weißen Wegwerf-Overalls, die einen durch eine Art Taucherbrille unverwandt ansehen. Ein Gebläse am Gürtel führt ihnen durch einen Schlauch gefilterte Atemluft zu. Eine kurze Visite ohne diesen Schutz sei vertretbar, erklärt Lars-Christian Koch, der Direktor, obwohl seit 2003 auch dafür Schutzkleidung vorgeschrieben ist. Anderswo, im Münchner Museum Fünf Kontinente etwa, dürfen Besucher das Depot nur mit Kittel, Atemschutz und Handschuhen betreten.
Nötig ist das alles, weil die Europäer die von ihnen auf oft zweifelhafte Weise nach Europa gebrachten Stücke anschließend auch noch vergiftet haben. Weil Holzwürmer, Milben, Motten, "Museumskäfer" oder eingeführte Termiten über all die exotischen Dinge herfielen. Weil Holz und Fell und Pflanzenfasern unter den Augen der Völkerkundler zerfressen wurden, tauchte man die Dinge in Arsenbäder, bepinselte sie mit Bleiverbindungen oder besprühte sie mit Lindan, PCP und DDT. Wird also hier und dort einmal etwas restituiert, wie die geraubten Grabbeigaben, die vor einem Jahr aus Berlin an die Chugach aus Alaska zurückgingen, dann müssen sich die Vertreter der Herkunftsgesellschaften von den Deutschen erst erklären lassen, wie sie mit den verseuchten Objekten ihrer Vorfahren umzugehen haben, ohne Krebs davon zu bekommen.
Die Kontamination macht es aber auch schwer, die Versprechen der Museen von "Offenheit" und "Kooperation auf Augenhöhe" einzulösen. Zumal in Berlin, wo man es in all den Jahren nicht einmal geschafft hat, das Depot vom toxischen Staub zu reinigen. "Da wollen wir, glaube ich, nicht vorbeigehen", meint Jonathan Fine, der Afrika-Kurator, und lotst den Besucher um die Ecke, als eine der weißen Gestalten gerade einen Schrank öffnet und damit eine unsichtbare Giftwolke entweichen lässt.
Auf die Frage nach der Zahl ihrer Bestände wiegen deutsche Direktoren verlegen den Kopf
Wirklich geholfen hat die Chemie indes nicht. Insektenfallen stehen in allen Ecken. Sie dienen weniger zur Bekämpfung, als dazu, den Überblick über die Arten zu behalten. Solange das Gebäude so löchrig ist, dass sogar Ratten ins Innere kommen, ist der Kampf ohnehin vergebens. Andreas Schlothauer, der Herausgeber der Ethnologie-Zeitschrift Kunst & Kontext, berichtet von Federschmuck in der Berliner Sammlung, von dem nach ein paar Jahren kaum noch etwas übrig war. Schon 2015 wies er in einem offenen Brief darauf hin, dass "die Zustände in den Depots die Objekte beschädigen". Auch der Museumsforscher Dirk Heisig beklagt den - nicht nur in den ethnologischen Museen zu beobachtenden - schleichenden Verfall der Objekte durch überfüllte Lager und unzureichende Konservierung. Er spricht von einem "passiven Entsammeln".
Immerhin werden die 10 000 Objekte fürs Humboldt-Forum mit Stickstoff "entwest". Die übrige halbe Million muss auf solche Behandlung weiter warten. Wie viele Objekte sind es eigentlich genau?
"In deutschen Völkerkundemuseen herrscht totales Chaos", sagt eine Kuratorin
In Berlin kann das niemand sagen. Und auch in München, Hamburg, Stuttgart und Leipzig wiegen die Direktoren auf diese Frage erst einmal verlegen den Kopf. Sie wissen ganz einfach nicht, wie viel sie besitzen. Das ist das noch größere Problem der deutschen Museen. Natürlich können sie nichts dafür, dass im Zweiten Weltkrieg große Teile ihrer Sammlungen, Archive und Inventare in Flammen aufgingen. Doch der Krieg ist seit 75 Jahren vorbei. Seitdem haben viele Museen nicht die Zeit gefunden, die Verluste zu prüfen und die Inventare zu aktualisieren.
In Stuttgart etwa soll es laut Inventar 290 000 Objekte geben. In Wahrheit, so schätzt das Museum, seien es nur 160 000. Genau weiß man es nicht, weil nur 140 000 inventarisiert sind, davon 110 000 auch digital. In Hamburg liegt der "Sollbestand" bei 265 000 Objekten, doch die Direktorin, Barbara Plankensteiner, vermutet, es seien nur noch 200 000. In München schätzt man den Bestand auf 160 000 Objekte. Eine Inventur wurde in den Fünfziger- und Sechzigerjahren durchgeführt, aber "wohl nicht abgeschlossen", sagt die Museumsleiterin Uta Werlich, bei 40 000 Objekten gab man auf. 2015 hat man neu angefangen. Ein Ende ist nicht abzusehen.