Ethnologische Museen:Weltkulturschmerz

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Es müsste Ausstellungen zu Harley-Davidson-Clubs geben: Europäische Biker im Festgewand, Frankreich, frühes 21. Jahrhundert. (Foto: Jean-Philippe Ksiazek/AFP)

Die ethnologischen Sammlungen sind in der Krise. Wer sich heute für Mexiko interessiert, fliegt einfach hin. Und das ist nur ein Grund. Umso mehr stellt sich die Frage nach dem Sinn des Berliner Humboldt-Forums.

Von Jörg Häntzschel

Ende 2019 ist es so weit. Dann wird der "kulturelle Inkubator für Weltverständnis" (Frank-Walter Steinmeier) eröffnet, das "Kultur- und Welterfahrungszentrum" (Klaus-Dieter Lehmann), das "Projekt ohne Beispiel in der Welt" (Monika Grütters): das Humboldt-Forum also. Seit sich Berliner Kulturfunktionäre vor fast 20 Jahren das Forum ausdachten, musste rhetorischer Pomp immer dafür herhalten, Ratlosigkeit zu verbergen.

Dass bis heute keine zündende Idee für Deutschlands größtes Kulturprojekt seit Jahrzehnten gefunden wurde, ist aber auch der Krise geschuldet, in der sich die ethnologischen Museen befinden. Und nichts anderes als ein sehr großes, erweitertes ethnologisches Museum wird das Humboldt-Forum sein.

Was müssen die Museen tun, um aus der Defensive zu kommen? Was könnte ihre Funktion in einer globalisierten Welt sein? Das fragten wir Ethnologen, Kunsthistoriker und Aktivisten. Ihre Antworten haben wir auf dieser Seite zusammengestellt.

Wie aber gerieten die Museen überhaupt in diese Krise? Völkerkundemuseen, wie sie bis vor Kurzem noch hießen, begleiteten den Kolonialismus und profitierten von ihm. Stammten die alten ethnologischen Sammlungen von einzelnen Gelehrten und Abenteurern, spülte die Kolonialzeit massenhaft Objekte in die Depots. Manche wurden rechtmäßig erworben, andere waren erschlichen oder geplündert.

Spätestens in den Siebzigern begann an den angelsächsischen und französischen Universitäten die kritische Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus und dessen Folgen bis in die Gegenwart. An den deutschen Universitäten kam der Postkolonialismus erst Jahre später an. Noch träger reagierten aber die Museen. Viele von ihnen überarbeiten erst jetzt ihre Dauerausstellungen und trennen sich vom alten Namen mit all seinen düsteren Assoziationen: Das Münchner Völkerkundemuseum heißt seit 2014 Museum Fünf Kontinente; das in Wien wurde eben als Weltmuseum wiedereröffnet; in Hamburg hat die Namenssuche gerade erst begonnen. Doch mit dem Namen ist es nicht getan.

Die Kolonialisierung brachte den Boom dieser Museen, aber sie leitete auch das Verschwinden des Authentischen, Wilden und Exotischen ein, aus dem diese ihre Schauwerte bezogen. Früher konnten sie einen Großteil ihrer Exponate als zeitlose Dokumente lebender Kulturen vorführen, heute sind sie oft historisch wie Barockmöbel.

Neben künstlerischen Kostbarkeiten gibt es in den Beständen viel belanglosen Alltagskram. Eine gute Doku sagt mehr

Migration und Tourismus ließen die Daseinsberechtigung der Museen weiter erodieren. Wer sich für Thailand oder Mexiko interessiert, fliegt einfach hin. Und seit Einwanderer aus der Dritten Welt selbstverständlich in Europa leben oder es als Touristen besuchen, ist die eingespielte Konstellation des Völkerkundemuseums - europäische Experten sprechen zu europäischen Besuchern über abwesende Exoten - gestört. Was heißt überhaupt fremd, was heimisch in Zeiten der Globalisierung?

Doch die Museen sind auch von anderer Seite unter Druck. Es gibt in ihren Sammlungen künstlerisch beeindruckende Stücke wie die berühmten Benin-Bronzen, doch bei einem Großteil der Objekte handelt es sich um Alltagsgegenstände, die im 19. Jahrhundert eher als Anschauungsmaterial denn ihrer Kostbarkeit wegen gesammelt wurden. Eine gute Arte-Doku sagt mehr.

Die am meisten diskutierte Frage ist aber die nach den Provenienzen. Wem gehören die Objekte? Wie lässt sich die Herkunft erforschen und im Museum darstellen? Was muss zurückgegeben werden? Und an wen? Seit die Berliner Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy im Juli unter Protest aus dem Expertenbeirat des Humboldt-Forums austrat und im Interview mit der SZ davon sprach, dass an diesen Objekten "Blut" klebe, zudem eine entschlossene Offenlegung der Provenienzen forderte, sind die deutschen Museen in Rechtfertigungsnot geraten. Sie ist noch größer geworden, seit der französische Präsident Emmanuel Macron im November versprach, aus Afrika geraubte Artefakte zurückzugeben.

Die ethnologischen oder - wie sie außerhalb Deutschlands meist heißen - anthropologischen Museen reagieren auf all das bisher nur schleppend. Sie beginnen, ihre Sammlungen nicht mehr geografisch, sondern thematisch zu präsentieren. Sie laden, mehr oder weniger zögerlich, Vertreter der Herkunftsgesellschaften zur Mitarbeit ein. Sie bemühen sich um "Multiperspektivität".

Ein anderer Ansatz besteht darin, statt Differenz Gemeinsames zu zeigen, wie in "Vorsicht Kinder!", der jüngsten Vorab-Schau des Humboldt-Forums. Alle Kulturen schützen ihre Kinder, war die These, es gibt einen anthropologischen Kern, der unabhängig von Rasse, Kultur oder Religion ist. Doch die noble Bemühung, die Hierarchie von Zivilisierten und Wilden offiziell für erledigt zu erklären und die "Family of Man" zu feiern, kann zu ganz anderen Verzerrungen und Missverständnissen führen, zumal wenn die Regie weiter in den Händen der Europäer liegt.

Ehrlicher und weniger paternalistisch ist es, das Museum selbst zum Thema zu machen, wie es Bénédicte Savoy fordert: offenzulegen, unter welchen Umständen all die Dinge in ihre Bestände gekommen sind und zu welchen politischen oder symbolischen Zwecken sie einst dienten. Für die Museen bedeutet das aber, ihren tief verwurzelten Aufbewahrungszwang zu überwinden. Es bedeutet, den Widerstand gegen Restitutionen aufzugeben.

© SZ vom 24.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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