Eurovision Song Contest:Kann man mögen - kann man aber auch leicht wieder vergessen

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Ben Dolic soll mit "Violent Thing" beim ESC in Rotterdam antreten. Das Lied kann man mögen. Kann man aber auch leicht wieder vergessen. (Foto: Jörg Carstensen/dpa)
  • Ben Dolic wird Deutschland beim Eurovision Songcontest 2020 in Rotterdam vertreten.
  • Das Publikum darf bei der Vorentscheidung nicht mehr mitbestimmen, ansonsten ändert sich am Konzept des NDR wenig.

Von Hans Hoff

Erinnert sich noch irgendwer an Cascada, Elaiza, Ann Sophie, Jamie Lee, Levina, Michael Schulte oder das Duo Sisters? Es sind jene Künstler, die Deutschland in den Jahren seit 2013 beim Finale des Eurovision Song Contest (ESC) vertreten haben. Die meisten landeten ganz weit hinten, nur das Trio Elaiza (2014) und Michael Schulte (2018) haben es in die Top Twenty geschafft, Schulte gar bis auf Rang vier. Nun drängt ein neuer Name auf die Liste. Seit Donnerstag weiß man, dass Ben Dolic am 16. Mai für Deutschland in Rotterdam antreten wird. Der sympathische und auf den ersten Blick ein wenig verschüchtert wirkende Slowene hat in seiner Heimat schon einmal an einem ESC-Vorentscheid teilgenommen, allerdings erfolglos. Später kam er recht weit bei "The Voice Of Germany". Ein paar Jahre hat der 22-Jährige in der Schweiz gelebt. Kürzlich ist er nach Berlin umgesiedelt.

Nun soll er mit dem Titel "Violent Thing" für Deutschland punkten, und beim NDR, der den ESC für die ARD ausrichtet, ist man sich ganz sicher, dass das klappt. Mal wieder, muss man sagen, denn überbordendes Selbstbewusstsein und Siegessicherheit strahlten die Verantwortlichen bislang noch jedes Jahr aus. Das endete, außer bei Michael Schulte, meist nach der Punktevergabe. Danach trugen die ESC-Entscheider Trauer und verstanden die internationale Popwelt, die sie vorher doch so perfekt analysiert hatten, nicht mehr und versprachen ein ums andere Mal, es werde nun aber alles anders.

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Sind die Songtexte der ESC-Teilnehmer wirklich so einfallslos, wie man ihnen unterstellt? Die Antwort ist: ja. Wir haben nachgezählt.

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In diesem Jahr ist tatsächlich alles ganz anders, denn das per Telefon mitbestimmende Fernsehpublikum ist als Entscheidungsinstanz raus. Kurz gesagt haben sie beim NDR wohl herausgefunden, dass beim Vorentscheid irgendwie die Falschen abgestimmt haben. Deswegen sind nun nur noch zwei Jurys zuständig, die man zusammengestellt hat aus Kandidaten, die in der Vergangenheit vorher sehr treffsicher auf die später ganz vorne landenden Künstler getippt haben. "Wir wollten mehr an die Leute ran, die international das Sagen haben", heißt es aus dem NDR.

Ein Choreograf, der dicke mit Justin Timberlake ist, soll helfen

Das folgt dem Konzept, dass es wurschtegal ist, ob die Menschen hierzulande sich für den deutschen Teilnehmer erwärmen können. Die Option, dass man Begeisterung entfacht für den deutschen Beitrag und dann notfalls auch gemeinsam in Würde untergeht, aber eben gemeinsam, ist keine mehr. Was zählt ist allein der internationale Erfolg. Deshalb hat man sich möglicherweise auch einen Künstler ausgeguckt, den man in drei Ländern kennt. Man hat einen in Österreich lebenden Bulgaren als Komponisten geholt, weil der schon mehrfach mit seinen Songs beim ESC-Finale ganz vorne gelandet ist, und die nötigen Moves für die große Bühne bekommt Ben Dolic demnächst von einem Choreografen beigebracht, der ganz dicke ist mit Justin Timberlake.

Das passt, denn das Liedchen "Violent Thing" ist eine nett zusammengeschusterte Tanznummer aus der Kategorie "sauberer Standard". Sie klingt streckenweise ein bisschen, als mühe sich Justin Timberlake dabei, Michael Jackson nachzumachen. Kann man mögen, kann man aber auch leicht wieder vergessen.

Natürlich meinen die ESC-Menschen beim NDR etwas anderes. Sie sind mal wieder siegessicher. Dieser Song werde auf jeden Fall ganz oft in den Radios gespielt, heißt es. Nicht so wie die Titel in den Vorjahren, die oft von den Stationen ignoriert wurden. "Wenn dieser nicht läuft, dann heiße ich Emil", sagt ESC-Kommentator Peter Urban. Was man halt so sagt, wenn man sich mal wieder sicher ist.

Aber eigentlich ist denen beim NDR auch wurscht, was man in Deutschland von dem Liedchen hält. Man sieht das auch daran, dass man Barbara Schöneberger nicht wie sonst in einer Halle vor Publikum das Ergebnis der Entscheider verkünden lässt. Man stellt sie stattdessen in ein Mini-Kino, in dem sie in einer Art Pressekonferenz die Fakten runterrattern und alle Beteiligten interviewen muss. Übertragen wurde das Ereignis nicht wie bisher live im Ersten, sondern als Konserve im digitalen Abseits der Archivabstellkammer namens One. Besser kann man sein Desinteresse am heimischen Publikum, das diesen ganzen verzweifelt nach Internationalität heischenden Retorten-Eintopf ja mit Beiträgen finanziert, nicht dokumentieren.

Interessant wäre jetzt nur noch die Antwort auf die Frage, was denn wohl Stefan Raab sagt zum abermaligen Versuch des NDR, einen Welthit zu landen.

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