Zweite Station in Krnić, Serbien:Unfertige Träume

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Dort, wo der doppelköpfige Adler zu Hause ist, sind die Stufen aus rohem Beton. (Foto: Michael Glawogger)

Die Rettung ist in Krnić, Serbien, noch eine Illusion, auch wenn sie von Prachtbauten mit eindrucksvollen Portalen und endlosen Zäunen genährt wird. Eine fiktive Geschichte, die auf ganz realen Beobachtungen beruht.

Von Michael Glawogger

Die Farben wechseln hier schnell: vom Schwarz-Weiß des Nebels zum Blaulicht der Polizei zum goldenen Aufleuchten der Rettung. Doch noch ist diese eine Illusion, auch wenn sie von Prachtbauten mit eindrucksvollen Portalen und endlosen Zäunen genährt wird. Denn sie sind nur Fassaden.

Er erwachte in einem unfertigen Haus. Es war kalt, und er stand barfuß auf einer gefrorenen Wasserlache. Er konnte sich nicht erinnern, in ein Hotel eingecheckt zu haben, das noch nicht fertig war. Konnte man das überhaupt? Da war er sich jetzt gar nicht so sicher, aber eines war klar: Er stand nackt und frierend in einem Rohbau.

Draußen war es neblig. Er sah die Umrisse eines Baumes und dahinter ein anderes Haus in Bau. War hier nichts fertig? Vielleicht schlief er noch und sein Traum war nicht zu Ende? Er trat von einem Fuß auf den anderen und versuchte, sich auf diesen Gedanken zu konzentrieren.

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Von Michael Glawogger

Er fuhr in einem Auto, dessen Scheiben nicht nur angelaufen, sondern zugefroren waren. Er spürte, dass er dahinraste, ohne irgendetwas zu sehen. Ein Mann hing aus dem Seitenfenster und rief ihm etwas zu - wahrscheinlich Anweisungen, wohin er fahren solle, aber er verstand die Sprache nicht. Er ahnte, dass das, was er tat, gefährlich war. Er trat auf die Bremse und spürte sofort, wie er die Gewalt über den Wagen verlor und ins Schleudern geriet. Er schloss die Augen in angstvoller Vorahnung eines Aufpralls. Der Mann schrie irgendetwas. Dann wurde es ruhig. Sehr ruhig.

Er sah sich durch einen mehrstöckigen Prachtbau gehen, eine Art Palast gewordenes Einfamilienhaus. Und er sah Bilder, die ihm klar machten, dass er nicht hier sein sollte - schwarzweiß und im visuellen Tonfall einer Überwachungskamera. Er fühlte sich wie ein Einbrecher und ein Polizist in einer Person.

Einsam im Bett aus Gold

Das Haus hatte fünfzehn Schlafzimmer, fünfzehn Badezimmer, zahllose Gänge - und eine geschwungene Treppe, die noch in Bau schien. Die Stufen waren aus rohem Beton, und statt eines Geländers ragten Säulen empor, auf denen Statuetten goldener Löwen thronten. Über diese Treppe gelangte er nach unten und in eine warme Stube, in der alles plötzlich in Farbe war. Der weiße kleine Herd hatte etwas altmodisch vertrautes. Das Backrohr stand offen. Er konnte die Wärme sehen, die ihm entströmte.

Er fand sich in einem herzförmigen Bett aus purem Gold. Der Kleiderschrank zu seiner Linken war schwarz und hatte goldgerahmte Spiegel, die Scheiben der Fenster rechts waren getönt, und goldene Blumen zierten das Glas. Draußen ratterten ununterbrochen schwere Lastwägen vorbei, und kleine Hunde, rasend vor Wut, liefen den Lastern hinterher und bellten gegen die mächtigen Räder an. Einer wurde erfasst und mitgerissen, landete im Straßengraben und blieb dort tot liegen.

Rasch setzte sich der Morgenfrost auf seinen Barthaaren fest.

Er fühlte sich traurig und verlassen, als er, wieder in dem riesigen Bett liegend, dieses Bild sah. Die goldene Bettdecke wog schwer auf ihm und lies sich nicht bewegen.

Er war früh am Morgen aufgestanden, um für den Priester bereit zu sein, der sein Haus segnen sollte. Er hatte eine Schüssel mit Wasser gerichtet und einen Bund getrockneter Kräuter danebengelegt. Weihrauch stand im Backrohr des offenen Herdes, und ein Bild des Herrn hing an der Wand. Der Priester stürmte zur Türe herein, kassierte zuerst seinen Lohn, legte dann ein feierliches Gewand an, nahm die Kräuter, tauchte sie in die Wasserschüssel und besprengte die Wand. Als er zu einem feierlichen Sermon anheben wollte, hielt er mit einem Mal inne und erklärte wütend, dass man doch kein unfertiges Haus segnen könne - und schon gar kein unfertiges Hotel.

Das Auto war zum Stehen gekommen, und er stieg aus. Er zitterte, da er viel zu dünn angezogen war für die frostige Nacht. Sein Beifahrer war verschwunden, und die Straßenlaterne, unter der er gelandet war, strahlte wie eine Sonne auf ihn herab. Der Nebel tat sein übriges, der Situation etwas Mystisches zu verleihen.

Er kratzte das Eis von der Frontscheibe, da er nicht wusste, was er sonst tun sollte. Er schaute dabei nach oben und bemerkte, dass eine Überwachungskamera jeder seiner Bewegungen folgte. Er stieg wieder ins Auto und raste davon. Die Scheibe war jetzt frei, aber der Nebel so dicht, dass er erst recht nichts sehen konnte. Das Bild seines Autos in der Überwachungskamera zeigte, wie der Wagen im Nebel verschwand. Wäre das Bild in Farbe gewesen, wäre es trotzdem schwarz/weiß geblieben.

Im Prachtbau hatte sich ein alter Bauer zu ihm an den Tisch neben dem Herd gesetzt. Er selbst hatte Gummistiefel an und konnte erkennen, dass der Bauer Socken und darüber weiße Plastiktüten an den Füßen trug. Er fragte sich noch, ob diese gegen die Kälte oder gegen Schmutz wirken sollten, als ihm der Mann Schnaps einschenkte.

Der Bauer erklärte ihm, dass er und seine Verwandten sich immer für Helden gehalten hätten. Schon ihre Großväter waren als Gastarbeiter nach Wien gegangen, hatten all diese prunkvollen Häuser gebaut und eine Heerschaar von Kindern gezeugt. Jetzt könne er die Namen der Kinder, Enkel und Urenkel nicht mehr im Kopf behalten und wusste nicht mehr, für wen welches Zimmer gedacht war. Aber es wohne sowieso keiner hier, da niemand zurückgekehrt sei. Und er selbst sei lieber im alten Bauernhaus geblieben.

Noch ist nicht alles gescheitert

Als der inzwischen fast gänzlich undurchsichtige Nebel blau aufleuchtete, ahnte er, dass er das Auto gestohlen haben musste. Er war sich bisher nicht bewusst gewesen, dass er ein Dieb war. Und doch hatte er schon immer gestohlen. Er stahl Autos, Wohnungen, Häuser, Bilder und ganze Leben, und sie waren hinter ihm her gewesen, hatten ihn jetzt gefunden, und die weiße Wand hinter ihm reflektierte das blaue Blinken der Polizeiwägen. Dann verwandelte sich das Blau in Gold, und er wusste, dass der Nebel ihn retten würde.

Er zog sich die goldene Decke über den Kopf und versuchte, noch ein wenig weiterzuschlafen. Es waren ihm zu viele unfertige Träume da draußen. Ein großer, schäbig gekleideter Roma mit dickem Bauch setzte sich zu ihm ans Bett und erklärte ihm mit salbungsvoller Stimme, dass nicht alles gescheitert wäre. Die Träume seien nur angehalten und verlangsamt worden, sie würden zäh dahinfließen wie Lava. Aber nur für den Moment. Käme die Zeit, würden Dämme brechen, und dann würden sie alle hier leben in diesem selbst gebauten Paradies, in diesem gelobten Land aus Palästen und steinernen Gärten.

Die Bremsen versagten, und das gestohlene Auto raste in den Hinterhof einer Fabrik, in dem zahllose Tierstatuen gelagert waren. Löwen, Pferde, Adler und Schwäne, die hier darauf warteten, eindrucksvolle Portale und endlosen Zäune zu zieren, barsten krachend unter dem Fahrzeug.

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Er öffnete die Fahrertüre und hielt vorsichtig seinen Fuß hinaus, aber der Wagen war immer noch zu schnell und rumpelte über die Trümmer. Als wollten die Statuen gegen diese Attacke kämpfen, begannen die Löwen zu brüllen, die Pferde zu steigen, die Adler zu fliegen und die Schwäne aufgeregt zu flattern.

Uralte Roma-Frauen - so alt, dass sie jedes bestimmbare Alter überschritten hatten - standen Stöcke schwingend in den Hinterhöfen ihrer kleinen, alten Bauerhöfe und versuchten, den Angriff der strahlend weißen Greifvögel auf ihre Hühner abzuwehren. Vergeblich.

Er erwachte in einem Hotel, das aussah wie eine Burg. Vor dem Fenster saß ein doppelköpfiger Adler, dessen steinerne Augenpaare über eine Fabrik und eine Müllhalde in die Weite blickten.

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