Jerzy Skolimowskis Film "EO" im Kino:Ganz große Eselei

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Was wollen bloß diese Menschen von mir? Lorenzo Zurzolo (links) und Hauptdarsteller Tako in dem Film "EO". (Foto: Sideshow/Janus Films)

Ist es möglich, einen Film ganz aus der Perspektive von Tieren zu drehen? Der polnische Kino-Altmeister Jerzy Skolimowski entdeckt Überraschendes in seinem Film "EO".

Von Philipp Stadelmaier

Rotes Stroboskoplicht, Kreise, eckige Formen: Der Film beginnt im Vollstress, während einer Zirkusvorstellung, in der Manege. Der Protagonist scheint nicht zu wissen, was da mit ihm geschieht, aber er muss die Sache über sich ergehen lassen. Die junge Frau, die ihn die Kunststücke aufführen lässt, ist ihm zärtlich verbunden und versorgt ihn mit Streicheleinheiten und Karotten. Doch die Manege, den Zirkus, das Spektakel, all das gehört ins Reich der Menschen. Er, der Esel namens Eo, kann nichts damit anfangen.

Dann geht der Zirkus pleite, Eo wird verkauft, und für das Tier beginnt eine lange und surreale Odyssee, die Jerzy Skolimowski in seinem schönen Film "EO" nachzeichnet. Der lief dieses Jahr im Wettbewerb des Festivals von Cannes, wo Skolimowski, der berühmte polnische Filmemacher, verdientermaßen mit dem Preis der Jury ausgezeichnet wurde. Der Hauptdarsteller namens Tako, der sich beim Esel-Casting gegen alle anderen Bewerberinnen und Bewerber durchsetzen konnte, ging hingegen leer aus, ebenso wie seine fünf Esel-Doubles, die namentlich im Nachspann genannt werden. Für Esel gibt es auf Filmfestspielen leider ebenso wenig zu gewinnen wie im echten Leben.

Im Film wechselt Eo ein ums andere Mal die Besitzer. Er landet im Stall einer Dressurhalle und bei Tiertherapeuten, wo er Kindern mit Down-Syndrom zum Schmusen dient. Er wird zum Maskottchen eines Fußballklubs, gegnerische Fans prügeln ihn tierkrankenhausreif. Er soll zu Eselsalami verarbeitet werden. Er gerät an einen sadistischen Tierquäler, aber auch an einen italienischen Priester mit Spielschulden und eine von Isabelle Huppert gespielte Gräfin, die ihn in ihren toskanischen Landsitz aufnehmen.

Der Held will Freiheit - die Liebe der Menschen lässt ihn unbeeindruckt

Für Eo könnte da schon das Paradies erreicht sein: Bei warmen Temperaturen im Schatten majestätischer Pinien sorgenfrei auf saftig-grünen Wiesen zu grasen, besser kann man es als Esel kaum treffen. Doch da Eo äußerst freiheitsliebend ist, und ihn die Liebe der Menschen ebenso unbeeindruckt lässt wie die leidvollen Umstände seiner Existenz, wird er auch von dort wieder ausbüxen und stoisch seinem Schicksal entgegentraben, das er mit so vielen anderen Nutztieren unseres Planeten teilt.

Der Film ist eine Hommage an den modernen Kinoklassiker "Zum Beispiel Balthasar" von Robert Bresson aus dem Jahr 1966. Schon Bresson erzählte die Passionsgeschichte eines Esels, wobei das Tier eine wesentlich innigere Beziehung zur weiblichen, damals von Anne Wiazemsky verkörperten Hauptfigur unterhielt, als das in "EO" der Fall ist. Bressons Esel war eine christliche, immer auch menschliches Leid verkörpernde Ikone. Skolimowski hingegen erzählt ganz und gar aus der Perspektive des Tieres.

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Von der aus betrachtet wirkt der Bereich des Menschlichen wie ein absurdes Theater - ob es sich nun um den Zirkus handelt, um die feierliche Eröffnung einer Reithalle, um das Fotoshooting für ein edles weißes Pferd, das Eo nur eifersüchtig beäugen kann, oder um die verrohten, nationalistisch eingefärbten Riten polnischer Dorffußballer. Auch Huppert und ihr Priester spielen am Ende in der Küche ihres Landsitzes letztlich eine Szene vor, in der es um Geldschulden, enttäuschte Erwartungen und zerbrechende Beziehungen geht.

Demgegenüber schafft Skolimowski, der auch Maler ist, seinem Esel eine eigene, visuell beeindruckende Bilderwelt. Mal nimmt die Kamera die Perspektive eines Vogels ein, der über ein rot gefärbtes Flussbett gleitet, ein anderes Mal die Perspektive einer Ameise, die Eo vom Gras aus betrachtet, ihn riesenhaft und unscharf werden lässt. Im nächtlichen Wald dringt Eo in eine Märchenwelt vor, die aus Fröschen, sprudelndem Wasser und Spinnen besteht. Und ein Roboter auf vier Beinen verkörpert überraschenderweise die Vision des zusammengeschlagenen Esels, wieder laufen zu können.

Auf diese Weise erforscht Skolimowski die Seele eines Esels, seine Spiritualität. Den Eseln dieser Welt mag das egal sein. Aber es macht uns Zuschauer, zumindest für die Dauer dieses Films, vielleicht zu etwas besseren Menschen.

EO , Polen / Italien 2022. - Regie: Jerzy Skolimowski. Buch: Ewa Piaskowska, Skolimowski. Kamera: Michal Dymek. Mit Tako, Sandra Drzymalska, Tomasz Organek. Rapid Eye Movies, 88 Min. Kinostart: 22. 12. 2022.

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