Frauen bekommen für die gleiche Arbeit weniger Geld. Sie sitzen seltener in Aufsichtsräten, bleiben, wenn sie Kinder haben, länger daheim, erledigen einen Großteil der Hausarbeit. Frauen, heißt es, sind sozialer, kommunizieren besser, fahren vernünftiger Auto. Sie kümmern sich um ihre alten Eltern, sie sind extrem gut ausgebildet - und gleichzeitig so bescheiden, dass sie in Gehaltsverhandlungen meist zu kurz kommen.
Das alles kommt einem ziemlich bekannt vor, man hat es wohl schon tausendmal gehört. Aber stimmt es denn tatsächlich? Leben wir wirklich in einer Gesellschaft, in der die Männer Macht und Geld unter sich aufteilen? Und sind Frauen so selbstlos, so benachteiligt - wie es scheint? Theresa Bäuerlein und Friederike Knüpling finden: nein. In ihrem Buch "Tussikratie" (Heyne) rechnen sie mit dem ab, was sie als heutigen Mainstream des Feminismus verstehen. Eine "sexistische Diskursherrschaft", in der Frauen "nichts falsch und Männer nichts richtig machen können".
Knüpling und Bäuerlein sind etwas älter als dreißig, gut ausgebildet, aufgewachsen in dem Bewusstsein, dass Jungs und Mädchen gleich schlau sind, dass sie die gleichen Möglichkeiten haben. Im Feminismus der Tussi, den sie in ihrem Buch sezieren, geht es dagegen ausschließlich darum, die Chancen von Frauen zu verbessern - auf Kosten der Männer. Knüpling und Bäuerlein mögen Männer offensichtlich. Und sie scheinen in ihrem Leben schon einige getroffen zu haben, die ihnen keinesfalls überlegen waren. Schlechtere Berufschancen, weniger Durchsetzungsvermögen, keine Perspektive. Im Feminismus der Tussi wären auch diese Männer übermächtige Gegner - oder eben Loser, über die man sich getrost lustig machen darf. Eine menschenfeindliche Haltung.
Frauen, so die These des Buchs, haben heute ohnehin nicht mehr viel gemeinsam. Manche wollen Chefinnen werden, andere siebenfache Mutter auf einem Hof in den Bergen, wieder andere als freiberufliche Fotografin um die Welt reisen. Nur weil jemand ähnliche Geschlechtsorgane hat, müsse man ihn noch nicht unterstützen, finden die zwei - und überhaupt, es gebe wichtigere Fragen.
Die Karriere-Barbie verhöhne das Ziel des Feminismus
"Die Karriere-Barbie", sagt Bäuerlein und seufzt, sofern man das im Skype-Gespräch richtig deuten kann, "redet sich und allen anderen Frauen ein, dass sie den einzig richtigen Kampf kämpft. Dabei glaube ich gar nicht, dass die Karriere-Barbie für mich Karriere macht! Die Karriere-Barbie macht das, weil sie Karriere machen will". Knüpling, die in Kalifornien promoviert und von dort zugeschaltet ist, nickt. Das sei purer Egoismus, kein edler Kampf für unterdrückte Frauen. "Doch das Problem ist, dass die Karriere-Barbie das eigentliche Ziel des Feminismus verhöhnt: Wahlfreiheit." Die "moralische Herrschaft", der sich die Autorinnen gegenüber sehen, fordere aber genau das: sich "als Frau" nach oben kämpfen. Alles andere - also Teilzeit, Familie, Aussteigerphantasien - sei Verrat an der Sache der Frau.
Knüpling und Bäuerlein wollen andere Themen diskutieren, sich mit denen verbünden, die ihrer Meinung sind. Statt nur dafür zu sorgen, dass Frauen möglichst schnell wieder im Beruf Fuß fassen, müsse man die Arbeitswelt an sich auf den Prüfstand stellen. Prekäre Löhne, lange Arbeitszeiten, häufige Umzüge, wenig Zeit für Familie und Freunde: Das seien keine Frauenprobleme. Wer sie als solche behandle, verschleiere etwas.
Beide Autorinnen sagen, sie hätten lange versucht, sich mit dem Feminismus, so wie er heute ist, zu identifizieren. Seien zu Frauen-Stammtischen gegangen, hätten versucht, sich in feministischen Netzwerken einzuklinken. Doch obwohl sie junge, gebildete, weiße Frauen mit gewissen Karriere-Ambitionen sind, hätten sie sich dort nie wohlgefühlt. Es sei einfach "etwas Künstliches daran", wie darauf beharrt werde, dass Frauen grundsätzlich und in allen Bereichen benachteiligt seien, sagt Bäuerlein. "Ich kenne viele Frauen, denen es wirklich gut geht, mindestens genauso gut wie den Kollegen, und die trotzdem über Benachteiligung klagen. Das ist bei vielen fast schon ein Reflex geworden", stimmt Knüpling zu. "Neulich ist mir das auch passiert. Ich war gefrustet, weil niemand in der Konferenz meinen Vorschlag gut fand, und dachte einfach: ,Das sind Frauenfeinde, die mir nichts zutrauen.' Zwei Tage später habe ich eingesehen, dass der Vorschlag einfach schlecht war."