"Eine dunkle Begierde" im Kino:Gewalt, Dominanz, Qual

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Bei David Cronenberg geht es oft um ungesunde Liebesbeziehungen, so nun auch in seiner grimmigen Komödie "Eine dunkle Begierde". Doch dieses Mal beschäftigt den Altmeister des Horrorfilms nicht nur die Psychologie der Körperlichkeit, sondern auch Lust und Elend der Psychoanalyse selbst.

Fritz Göttler

Der Meister schwächelte in München, 1912, bei einer psychoanalytischen Konferenz - nach deren Ende erzählte jemand von der Generationenfolge bei den Pharaonen, Amenophis, der den Namen seines Vaters von den Stelen auskratzen ließ, um die Erinnerung an diesen zu löschen. Und Freud hat einen Black-out, bricht zusammen. Er sieht in der Pharaonen-Episode seine eigene Beziehung zu C. G. Jung gespiegelt, das Verhältnis von Lehrer und Schüler, Vater und Sohn, Herrscher und Thronfolger in der jungen Dynastie der Psychoanalyse.

Keira Knightley im Kino
:Schön durchsichtig

In ihrem Film "Eine dunkle Begierde" geht von Keira Knightley zunächst nicht der gewohnte Zauber aus. Dafür erliegen dann große Männer der Weltgeschichte ihren Reizen. Auf dem roten Teppich schockierte sie auch schon als Stängel in Seide. Bilder einer umstrittenen Schönheit.

Der Kronprinz von "Eine dunkle Begierde" hat zu diesem Zeitpunkt schon einiges von seinem Glamour verloren, das hat mit merkwürdigen spiritistischen Überlegungen zu tun, die er entwickelt, und vor allem damit, dass er eine Affäre hat mit einer seiner Patientinnen. Sabina Spielrein, eingeliefert in die Psychiatrische Klinik Burghölzli am Zürichsee im August 1904, mit achtzehn.

Sie schreit und windet sich in den Armen der Wärter, verdreht die Augen, verkrampft den Körper in grotesken Zuckungen, druckst mühsam rum, wenn der behandelnde Arzt ihr eine Frage stellt. Eine schaurige Performance, vor allem weil Keira Knightley sie so energisch durchzieht.

Eine Hysterikerin, früher hätte man gesagt: eine Besessene. Das ist ein weites Feld, die Psychoanalytiker und ihre irren Frauen, die das Anschauungsmaterial lieferten für ihre neuen Thesen und Erklärungen, wie der Körper und der Geist zusammenspielen und welche Rolle die Sexualität dabei spielt. In ihrer Faszination diesen Frauen gegenüber sahen die Analytiker sich bereits gefangen, es war ein erster Akt der Verführung.

Von einer Reinheit der Lehre kann nicht mehr die Rede sein bei der Psychoanalyse, und wer sie ernsthaft praktiziert, kennt sie als das, was der Originaltitel des Films ankündigt: a dangerous method. Eine Wissenschaft, in der die Objekte, die Patienten, nicht mehr eindeutig geschieden werden können von den Subjekten, den Untersuchenden.

Destruktiver Trieb

Sabina wird, noch während sie beim Doktor Jung in Behandlung ist - ihn mit ihrer Liebe verfolgt, ein Kind von ihm verlangt -, dessen Assistentin, sie beginnt selbst ein Studium der Psychologie in Zürich, fertigt ihre eigene Dissertation, in der sie erstmals von einem möglichen destruktiven Trieb spricht. Sie ist fasziniert von der wissenschaftlichen Arbeit im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit, vom Lügendetektor, dessen ruckelndes Voranschreiten sie konzentriert folgt, oder von frühen Tonaufnahmen der "Walküre".

Von Wagner kommt auch das Vorbild für ihre Liebe zu Jung, die Paarung Siegmund und Sieglinde. Noch vor dem Weltkrieg heiratet Sabina einen Russen, geht in den Zwanzigern mit ihm in die Sowjetunion zurück, ihre Brüder sterben unter Stalins Terror, Sabina wird mit ihren Kindern 1942 in Rostow am Don von den Nazis umgebracht.

Keira Knightley im Kino
:Schön durchsichtig

In ihrem Film "Eine dunkle Begierde" geht von Keira Knightley zunächst nicht der gewohnte Zauber aus. Dafür erliegen dann große Männer der Weltgeschichte ihren Reizen. Auf dem roten Teppich schockierte sie auch schon als Stängel in Seide. Bilder einer umstrittenen Schönheit.

Ende der Siebziger erst hat man ihre Briefe und Tagebücher entdeckt und gesehen, welche Rolle sie spielte für Freud und Jung. John Kerr hat davon in dem Buch "Eine gefährliche Methode" erzählt, Christopher Hampton ("Gefährliche Liebschaften") sein Stück "The Talking Cure" danach gefertigt.

Affäre mit der Patientin (Keira Knightley): C. G. Jung (Michael Fassbender) verliert in "Eine dunkle Begierde" einiges von seinem Glamour als Psychoanalytiker. (Foto: dpa)

Ungesunde Liebesbeziehungen gibt es en masse bei David Cronenberg, anfangs mit körperlicher Deformation und Visionen vom "neuen Fleisch" verbunden, später immer stärker in die familiären Gebilde verlegt, in "A History of Violence" oder "Eastern Promises" - beide mit Viggo Mortensen, der nun sehr komisch den Freud spielt.

Auch "Eine dunkle Begierde" ist eine Geschichte von Gewalt, von Dominanz, von Qual und Selbstqual, ersehnter Züchtigung. Natürlich kann Jung (Michael Fassbender) Sabinas Rollenerwartungen nicht erfüllen, er ist ein geschniegelter, scharfgescheitelter Schisser, abhängig vom Geld seiner Frau. Der absolute Horror ist, als Otto Gross bei ihm auftaucht (Vincent Cassel), der wilde Anarchist der Psychoanalyse, der die Freiheit der Liebe predigt.

Es ist ein kühner Film, der vom Widerstand gegen Zumutungen handelt, die auch heute noch nicht ausgeräumt sind. Mit Accessoires und Klischees bringt die bürgerliche Welt nach der Jahrhundertwende sich in Stellung gegen die Attacke der Psychoanalyse, und sie funktioniert ausgerechnet über die Sprache, ramponiert deren Ruf der Rationalität.

Cronenberg ist ein besessener Ausstatter, schon in seinen allerersten Filmen, ein Fetischist des Dekors. In den Behandlungsräumen der Klinik in Zürich ist alles akkurat zueinander platziert wie in einer Versuchsanordnung, in Wien schnurrt perfekt die Mechanik der Kaffeehäuser, und Freuds berühmtes Studierzimmer quillt über von seinen geheimnisvollen archäologischen Tonfiguren, wie bei den Jungs, die ihre Zimmer mit Plastikfiguren vollpacken von Spidey bis Godzilla. Das Unbewusste, eine Rumpelkammer.

Wonnen der Zweitklassigkeit

Diffamierung war der Psychoanalyse vorbestimmt von Anfang an - eine jüdische Wissenschaft, hieß es, die nur Schmutz hervorkramen und alles auf den Sex schieben will. Das jüdische Paar Freud und Sabina hält diesen Vorwurf aus, der arische Kronprinz Jung geht auf Distanz, bleibt Außenseiter.

Als es nach Amerika geht, dem Land, wo die Psychoanalyse groß herauskommen wird, gibt es eine kleine komisch-grausame Szene. Freud und seine Mitstreiter gehen die Gangway zum Ozeandampfer herauf, eine unternehmungslustige Bande, aber dann trennen sich plötzlich ihre Wege. Freud und Ferenczi biegen zur einen, Jung zur anderen Seite ab, und er erklärt, das ist ihm ziemlich peinlich, dass seine Frau, wie nicht anders zu erwarten, natürlich erste Klasse gebucht hat. Dies Gefühl einer Zweitklassigkeit, ob das eine heimliche Stärke der Psychoanalyse war?

A DANGEROUS METHOD, GB /F / D/ CAN/ CH 2011 - Regie: David Cronenberg. Buch: Christopher Hampton. Kamera: Peter Suschitzky. Musik: Howard Shore. Mit: Viggo Mortensen, Keira Knightley, Michael Fassbender, Vincent Cassel . Universal, 99 Min.

© SZ vom 10.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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