Jazz:Allerbeste Freunde

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Terrace Martin und Kamasi Washington am vergangenen Samstag auf dem Coachella Festival. (Foto: Amy Harris/Invision/AP)

Das neue Album der Supergruppe "Dinner Party" ist so viel lässiger als der Hip-Hop und der Modern Jazz, aus dem die vier Stars kommen. Passt. Vor allem in diese unentspannten Zeiten.

Von Andrian Kreye

Wenn man sich vom Anspruch freimacht, dass in einem Hip-Hop-Song zwangsläufig irgendwann ein Rapper auftauchen muss, und zu einer Jazz-Combo eine Rhythmusgruppe gehört, landet man bei Dinner Party, einer ausgesprochen unprätentiösen Supergruppe. Terrace Martin ist dabei, der als Produzent von Kendrick Lamar den Jazz in den Hip-Hop brachte. Der Tenorsaxofonist Kamasi Washington, der den Corpsgeist des Hip-Hop in den Jazz transponierte. Der Pianist Robert Glasper, der die Auflösung der Genregrenzen als Kampfansage versteht, sowie 9th Wonder, der als DJ und Produzent mit Residenzen an den Harvard und Pennsylvania University und im Beirat des National Museum of African American History and Culture in Washington als Public Intellectual des Hip-Hop firmiert.

Irgendwann im Elend des ersten Pandemiesommers tauchte ihr erstes Album auf. Es gab keine Werbung, Auftritte sowieso nicht, aber in den Streams und Blogs setzten sie sich durch mit ihrer extrem entspannten Hip-Hop-Jazz-Fusion für eine extrem angespannte Zeit. Wenig später veröffentlichten sie eine neue Version ihres Debüts, auf der Leute wie Herbie Hancock, Snoop Dogg und Bilal auftauchten. Nun haben sie ein Album mit dem Titel "Enigmatic Society" (Sounds of Crenshaw) aufgenommen. Diesmal gab es sogar ein bisschen Werbung. Vergangene Woche spielten sie live beim Latenight-Moderator Jimmy Kimmel in der Sendung. Auf Sofas gelümmelt (sie nehmen das mit der Entspanntheit schon sehr ernst). Am vergangenen Samstag traten sie dann beim Coachella Festival auf, ein bisschen unter ferner liefen, aber immerhin am höhepunktigen Samstagsabend im Vorlauf zu den aktuell amtierenden Superweltstars Blackpink, Rosalía und Boygenius.

Alle vier sind Meister dieser Wärme des "Jazzism", der sich wie ein Golfstrom durch den Hip-Hop zieht

Nun sind weder die scheinbar erratische Gästelisten ein Zufall, noch sind Dinner Party eine traditionelle Supergroup. Terrace Martin und Kamasi Washington sind seit ihren Schultagen in Los Angeles befreundet. Robert Glasper kennen sie aus der Zeit um die Jahrtausendwende, als alle drei durch die Akademien und Workshops der Begabtenförderungen gereicht wurden. 9th Wonder ist mit seinem Gespür für Harmonien und Swing des Jazz eine zwangsläufige Ergänzung. Auch die Gästeliste rekrutiert sich aus Weggefährten. Der Altsaxofonist und Keyboarder Terrace Martin arbeitet schon seit Jahren an einem immer noch unveröffentlichten Album von Herbie Hancock. Kamasi Washington war lange in der Tourband von Snoop Dogg. 9th Wonder hatte seinen Durchbruch mit einem Sample von Bilal.

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Auf dem neuen Album ist die Musik von genau jener Lässigkeit bestimmt, mit der sich der G-Funk-Hip-Hop aus Kalifornien einst von den Aggressionen der New Yorker Konkurrenz emanzipierte. Außerdem sind alle vier Meister dieser Wärme des "Jazzism", der sich von De La Soul bis Kendrick Lamar wie ein Golfstrom durch die Geschichte des Hip-Hop zieht. Da friert nichts ein im sonst so klirrenden Genre, das die Härte der afroamerikanischen Erfahrung meist ohne die Verklausulierungen des Jazz und des Soul in Musik umsetzte. Bei Dinner Party gleiten Martins und Washingtons Saxofone über weiche Grooves und noch weichere Klavier-Harmonien, Sängerinnen und Sänger fädeln sich ein.

Auf "Enigmatic Society" klingt das noch runder, noch ausgereifter, als am Anfang. Gegen Ende wagen sie sich sogar an den Yacht Rock, jenen Gipfel der Popvirtuosität aus den späten Siebzigerjahren. Da verdichten sie Hall & Oates' "I Can't Go For That" mit diesem Jazzfedern des West-Coast-Hip-Hop, das die beiden Rockstars damals sicher gemeint hätten, wenn es das schon gegeben hätte. De La Soul hatten vor 35 Jahren aus dem Song schon mal einen Track gemacht. Aber da schließt sich kein Kreis. Da bahnt sich nur ein Groove seinen Weg durch die Jahrzehnte, der in sich sehr viel stimmiger ist, als sich das Daryl Hall hätte ausmalen können, als er ihn im Frühjahr 1981 in den Electric Ladyland Studios in den damals noch so sensationell modernen Roland CR-78-Drumcomputer programmierte.

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