Digitale Kunst:Ein Riff voll Müll

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Die Augmented-Reality-Großprojektion "Evolution of Fish" von Tamiko Thiel war 2019 beim Digital Graffiti Festival in Florida zu sehen. (Foto: Tamiko Thiel/P)

Die Kunsthistorikerin Karin Wimmer hat einen neuen Ausstellungsraum gegründet: den Digital Art Space

Von Evelyn Vogel, München

Die digitale Zukunft hat gerade erst begonnen und gibt sich gern naturnah. Da biegen sich die Ähren synchron im Winde, Wasser sprudelt munter über Steine, Fische ballen sich zu Schwärmen und durchziehen ein seltsames Riff, unzählige Quallen formieren sich zu einer blau leuchtenden Armada im Meer. Warum erschaffen Künstler, die sich mit digitaler Kunst beschäftigen, so oft naturnahe Szenarien? Warum wird ausgerechnet das genaue Gegenteil von Künstlichkeit so gern künstlich imitiert? Weil es den größtmöglichen Gegensatz darstellt? Weil der Betrachter von Natur aus eine Referenz vor Augen hat?

Was auch immer der Grund ist, dass so viele VR- und AR-Künstler Bilder aus der Natur künstlich entstehen lassen, interessierte Betrachter finden diese allemal. Das Interesse an digitaler Kunst ist in den vergangenen Jahren enorm gestiegen. Das hängt natürlich damit zusammen, dass die Digitalisierung mittlerweile allgegenwärtig ist und dass die Möglichkeiten, selbst solche Szenarien zu erschaffen, in den zurückliegenden Jahren exponentiell gestiegen sind. Zwar unterscheiden sich die komplexen Welten, die von Filmindustrie und Spieleentwicklern für den Markt produziert werden, noch immer von dem, was viele Künstler unter digitaler Kunst verstehen und kreieren. Aber die Kluft wird immer kleiner. Und mitunter hat man das Gefühl, dass mittlerweile jeder mit technischem Geschick solche digitalen Welten erschaffen kann. Was natürlich längst nicht so ist. Abgesehen von technischen Kenntnissen und innovativer Technologie gehören auch viel kreatives Potenzial und eine gehörige Portion Erfahrung dazu.

Schon vor Jahren konnte man im Rahmen der "Unpainted", einer Messe für digitale Kunst, deren Möglichkeiten erahnen. Und Barbara Herold, die mit ihrem "Stack Overflow" gerade das Forum an der Münchner Freiheit digital einstürzen lässt, ist schon lange in dem Bereich unterwegs. Doch seit April gibt es in München nun einen Raum, in dem Künstler ihre digitalen Arbeiten vorstellen können und der zugleich dem gestiegenen Interesse des Publikums an digitaler Kunst Rechnung tragen soll: das Digital Art Space von Karin Wimmer, das vom Kulturreferat der Stadt gefördert wird. Die Kunsthistorikerin hat zuvor an gleicher Stelle eine Galerie für zeitgenössische Kunst betrieben, die sie nach fünf Jahren aufgegeben hat. "Ich hätte mich neu erfinden müssen", erzählt die Mutter von drei Kindern, die 1974 in Mühldorf geboren wurde und 2011 in Wien über surreale Räume bei de Chirico promovierte.

Wimmer will mit dem Non-Profit-Projekt der Frage nachgehen, mit welchen Themen sich Künstler beschäftigen, die digital arbeiten. Dabei müsse der Einsatz digitaler Technik nicht im Vordergrund stehen. "Ziel soll sein, komplexe Thematiken wie den Umgang mit Daten, die Auswirkungen der Digitalisierung auf unsere Kommunikationskultur oder auch die Problematik der künstlichen Intelligenz aus einer künstlerischen Perspektive heraus zu betrachten." Auch die Auswirkung der Digitalisierung auf den gesellschaftlichen Umbruch soll kritisch reflektiert werden.

Zum Auftakt hat sie die Münchner Künstlerin Veronika Veit eingeladen. Diese ist unter anderem durch ihre Videokunst bekannt, hat sich aber zuletzt der digitalen Kunst zugewendet und zeigt im Art Space einen Loop aus mehr als 30 digital generierten AR-Sequenzen. Dazu Objekte, die dabei ebenfalls eine Rolle spielten. Ihre Ausstellung wird auch vom Bezirksausschuss Maxvorstadt gefördert. Im Sommer soll der Art Space Studenten für digitale Kunstinterventionen zur Verfügung stehen. Im September präsentiert "The Beautiful Formula Collective" bei der Open Art eine "Live Digital Painting Performance".

Von Oktober an erschafft die amerikanische Medienkünstlerin Tamiko Thiel, die auch schon im New Yorker MoMA ausgestellt hat, "eine schrecklich-schöne Zukunftsvision", wie Wimmer verspricht. Die Räume werden zu einer "Unterwasser-Höhle des Anthropozäns" mit einem Riff aus echtem Plastikmüll und AR-Fischen. Die Besucher können die Fische mit Hilfe eines iPads wie mit einer Unterwasser-AR-Kamera dirigieren. Doch der Eingriff in dieses künstlich-künstlerische Ökosystem wird Folgen haben. Die dritte große Ausstellung zeigt Arbeiten von Gretta Louw. In ihrer Medieninstallation "Einen riesigen Schwarm" greift sie ökologische Diskurse auf, die Modernisierungs- und Industrialisierungsprozesse seit ihren Anfängen kritisch begleiten und ein radikales erkenntnistheoretisches Umdenken einfordern.

Zu jeder Ausstellung gibt es wissenschaftliche Vorträge oder Gespräche. Beim Kunstarealfest am 13. Juli sprechen um 16 Uhr Aida Bakhtiari und Simona de Fabritiis über den Umgang von Künstlern mit digitaler Technik. Das Projekt hat erst einmal eine Förderung für ein Jahr. Aber Karin Wimmer hofft, dass es danach weiter geht - auch weil digitale Kunst eine Kunstform der Zukunft ist. Und die hat gerade erst begonnen.

Digital Art Space , Amalienstraße 14

© SZ vom 10.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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