"Die Spur" im Kino:Der Mörder ist immer das Wildschwein

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Jäger sind Mörder, findet Janina (Agnieszka Mandat) und legt sich mit der gesamten jagdaffinen Gemeinde an. (Foto: Palka Robert; Film Kino Text)

Was wäre, wenn die Natur Rache an den Menschen nehmen würde? Der polnische Öko-Thriller "Die Spur" erzählt von einem Jäger-Patriarchat, das sich alles und jeden unterwerfen will - und dafür mit dem Leben bezahlt.

Von Kathleen Hildebrand

Was wäre, wenn die Natur Rache an den Menschen nehmen würde? Wenn Rehe zur Jagdsaison nicht nur großbraunäugig zusehen, wie ihre Verwandten erschossen werden und Käfer nicht nur still davonkrabbelten, wenn man ihnen wieder ein paar Bäume unter den Füßchen wegfällt? Eines ist klar: Für die Menschen sähe es, wären die Tiere streng und konsequent, sehr schnell sehr düster aus.

Was für ein Szenario für einen Film. Das wird sich Agnieszka Holland gedacht haben, als sie beschloss, den Kriminalroman "Der Gesang der Fledermäuse" von Olga Tukarczuk zu verfilmen. Und nicht nur sie dachte das, "Die Spur" hat auf der Berlinale einen Silbernen Bären gewonnen und ist Polens Kandidat für den diesjährigen Auslands-Oscar.

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Hollands Öko-Rache-Thriller spielt in der südpolnischen Waldwildnis nahe der tschechischen Grenze. Die pensionierte Brückenbau-Ingenieurin Janina Duszejko wohnt dort in einem alten Haus, zusammen mit ihren beiden geliebten Hunden. Aber die beeindruckende Märchenlandschaft um sie herum ist keine Idylle. Die Stille wird zerfetzt von den ständigen Schüssen der Jäger. Duszejko hasst diese Jäger und erklärt jedem, der ihr ein paar Minuten lang zuhört, dass sie "Mörder" sind. Als ihre Hunde plötzlich verschwinden, ist klar, wen sie für schuldig hält.

Der Jagdverein ist auch ein korrupter Männerbund aus Hinterwäldler-Honoratioren

Und dann passiert Folgendes: Ein Mitglied des örtlichen Jagdvereins nach dem anderen wird ermordet aufgefunden. Immer im Wald und immer mit Spuren im Schnee neben der Leiche. Spuren, nicht von Schuhen, sondern von Pfoten, Hufen, Klauen. Duszejko hat eine Rachetheorie. Die Rehe waren es, sagt sie, die Wildschweine, die Käfer.

Weil die Schauspielerin Agnieszka Mandat diese Duszejko so überzeugend als schrullige, warmherzige, leidende Person spielt, so durchströmt von einem überbordenden Sinn für Gerechtigkeit, möchte man ihr das als Zuschauer sofort glauben. Auch weil Agnieszka Holland nach jedem Leichenfund die Tiere des Waldes wie strafende Naturgötter einblendet. Die Provinz-Polizisten im Film jedoch glauben ihr keine Sekunde. Dass deren Zweifel genauso glaubwürdig sind, liegt ebenfalls an Agnieszka Mandat. Die redet und schreit nämlich mit derselben Leidenschaft über Tierschutz wie über Astrologie und macht ihre Figur so zu einer fesselnden, aber auch unzuverlässigen Erzählerin.

Es hätte diesem Film gutgetan, wenn Agnieszka Holland nicht nur ihre Hauptfigur mit einer solchen schillernden Ambivalenz ausgestattet hätte. Den Rest des Personals teilt die Regisseurin so eindeutig in Gut und Böse auf, dass es ans Komische grenzt. Die Männer aus dem Jagdverein schießen nicht nur gern auf Tiere. Ihr Verein ist auch ein korrupter Männerbund aus Hinterwäldler-Honoratioren. Sie schlagen Frauen, und zum Feiern lädt der Fieseste von ihnen in seinen geheimen Sexclub ein, wo junge Frauen in Häschenkostümen herumlaufen und an dessen Wänden, natürlich, Hirschgeweihe hängen.

Diese finsteren Typen sind die Karikatur eines Patriarchats, das sich alles und jeden unterwerfen will. Manche lesen "Die Spur" deshalb als Kritik an der nationalkonservativen Regierung Polens, die auch wenig Interesse an erneuerbaren Energien, Umwelt- und Tierschutz zeigt. Der Film relativiere Ökoterrorismus, schrieben rechte Zeitungen, außerdem sei er ein Angriff auf den Katholizismus. Die Kirche kommt tatsächlich gar nicht gut weg. Als Duszejkos Hunde verschwunden sind und sie sich tränenverquollen dem Dorfpriester anvertraut, ist nicht ein Hauch von Mitleid zu sehen im Gesicht des jungen Mannes mit der schlechten Haut. Er sagt ihr nur, dass es "Sünde" sei, zu sehr an Tieren zu hängen. Die Jagd hingegen verteidigt er: "Gott hat die Tiere den Menschen untergeordnet. Das ist die Ordnung der Welt." Als Duszejko das hört, leert sich ihr Gesicht, kurz sieht sie noch ein bisschen verzweifelter aus angesichts dieser brutalen Verweigerung von Trost. Aber in der nächsten Szene stapft sie schon wieder zielstrebig durch den verschneiten Wald. Ihr Gott ist das nicht. Und auch nicht ihre Welt.

Pokot , Polen/D 2017, Regie: Agnieszka Holland. Buch: Olga Tokarczuk, Agnieszka Holland. Kamera: Jolanta Dylewska. Mit: Agnieszka Mandat, Wiktor Zborowski, Jakub Gierszal. Film, Kino, Text, 128 Minuten.

© SZ vom 09.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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