"Die Nonne" im Kino:Verrat an Denis Diderot

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Schauspielerin Pauline Etienne als Ordensschwester Suzanne Simonin in "Die Nonne" (Foto: dpa)

Ausstattung, Kostüme und Requisiten mögen noch so erlesen daherkommen, Guillaume Nicloux' "Die Nonne" ist eine viel zu zahme Adaption der Romanvorlage. Immerhin ist Newcomerin Pauline Étienne in der Titelrolle eine Entdeckung.

Von Martina Knoben

Ein Kostümfilm ist ein Film, der in den Kleidern und Kulissen einer vergangenen Epoche spielt. Im Fall von Guillaume Nicloux' "Die Nonne" muss man den Begriff aber auch in einem besonderen Sinne wörtlich nehmen, sind es doch die Kostüme, die hier ihre Träger definieren, die aus einem Mädchen eine Nonne machen oder eine Tochter aus adeligem Haus. Die Protagonistinnen dieses Films werden Teil jener Gemeinschaften, deren Kleider sie tragen: Klasse, Familie oder Orden - schon durch ihr Kostüm sind diese Frauen endgültig beschrieben.

Ausstattung, Kostüme und Requisiten sind denn auch erlesen in Nicloux' Adaption des Romans "La religieuse" von Denis Diderot. Es ist fast ein haptisches Vergnügen - oder zumindest die Illusion davon -, die Stoffe auf den Frauenkörpern zu erleben. Ansonsten ist die Verfilmung dieses Klassikers der französischen Aufklärung recht fade - kein Vergleich mit Jacques Rivettes Adaption aus dem Jahr 1966, die in Frankreich sogar einige Zeit verboten war. In Nicloux' Fassung ist kaum etwas wirklich anstößig: Wenn die 16-jährige Suzanne gegen ihren Willen ins Kloster gesteckt wird, Unterdrückung und Sadismus erfährt und dagegen rebelliert, dann verstört oder überrascht das heute niemanden mehr. Auch Suzannes Bekenntnis zur Selbstliebe hat seinen aufklärerischen Stachel in der Gegenwart vollkommen verloren.

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Immerhin ist die Newcomerin Pauline Étienne in der Titelrolle eine Entdeckung, mit ihrem zarten und trotzigen Jeanne-d'Arc-Gesicht gibt sie dem Film ein Zentrum. Wenn ihre Suzanne "Nein" sagt bei der Profess, wo Frauen zu ihrer Zeit doch immer nur zu gehorchen hatten, vor Gott und ihren weltlichen Herrn, dann ist das ungeheuerlich - und ein hinreißendes Schauspiel widerstreitender Gefühle.

Mit ihrem Spiel kann sich Pauline Étienne jedenfalls locker behaupten neben den Stars dieses Films: Martina Gedeck als Suzannes Mutter, Françoise Lebrun als allzu gütige, Louise Bourgoin als sadistische sowie Isabelle Huppert als verliebt-lüsterne Oberin. Vereinnahmende Güte, vereinnahmende Liebe und Grausamkeit sind denn auch die drei Stationen, die Suzanne auf ihrem Leidensweg durchläuft.

Dass sie diese übersteht und schließlich sogar gestärkt aus den Prüfungen hervorgeht, mutet am Ende jedoch wie ein populistischer Verrat an Diderots Werk an. Besonders ärgerlich: dass alles Übel hier von den Frauen ausgeht, während die Männer schlimmstenfalls als Schwächlinge und bestenfalls als Retter auftreten. Einzig Isabelle Hupperts "verrückte" Liebe für Suzanne droht für einen Moment, den Konsens des guten Geschmacks zu sprengen. Aber eben nur fast.

La religieuse , F/D/B 2012 - Regie: Guillaume Nicloux. Buch: G. Nicloux, Jérome Beaujour, nach dem Roman von Denis Diderot. Kamera: Yves Cape. Kostüm: Anais Romand. Schnitt: Guy Lecorne. Musik: Max Richter. Mit: Pauline Étienne, Isabelle Huppert, Martina Gedeck, Louise Bourgoin, Françoise Lebrun. Verleih: Camino, 114 Minuten.

© SZ vom 04.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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