Die CDs der Woche - Popkolumne:Der "Killer" sitzt noch immer am Klavier

Kieszas Version von "What is Love" tröstet über die Tatsache hinweg, dass es gerade wenige feiernswerte neue Pop-Alben gibt. Dafür ist da aber Jerry Lee Lewis' Autobiografie. Sie zeigt, wie groß und wahnsinnig man sich den Künstler vorstellen muss.

Von Jens-Christian Rabe

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(Foto: Island Records)

Beachtenswerte neue Pop-Alben erscheinen derzeit Woche für Woche wieder im doppelten Dutzend. Leider ist nicht immer etwas dabei, das man guten Gewissens hemmungslos feiern möchte. Gespannt wartete man etwa auf das zweite Album "Tough Love" (Universal) der britischen Sängerin Jessie Ware oder auch darauf, was wohl die hochverehrten Flaming Lips mit Hilfe von Pop-Superstar Miley Cyrus und Indie-Helden wie J Mascis oder MGMT auf "With A Little Help From My Fwends" (Bella Union) mit dem Beatles-Klassiker "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" anstellen würden. Aber dann wollten beiden Platten doch nicht recht abheben. "Tough Love" immerhin ist sehr gute zeitgenössische Fahrstuhl- Musik.

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(Foto: N/A)

Mindestens drei Songs, die man gehört haben sollte, gibt es aber natürlich doch. Wie es ja fast immer mehr neue gute Popmusik gibt, als ihre Feinde wahrhaben wollen, weshalb sie lieber erst gar nicht danach suchen. Man höre also bitte Kieszas feierliche Version des Eurodance-Gaga-Hits "What Is Love" von Haddaway, die sich auf ihrem am Freitag erscheinenden Debüt "Sound Of A Woman" (Island) befindet; außerdem unbedingt den konsequent verträumten Song "Chain Of Command" auf dem neuen Album "Streetlife" (Italic) der Kölner Indie-Pop Band Von Spar; und den unwiderstehlichen Track "Desire To Believe" auf "Chanson 3000" (Gomma) von Munk, dem Disco-Pop-Projekt des Münchner Musikers, Produzenten und DJs Mathias Modica, dem ja gerade auch der eine fantastische Remix des Lana-Del-Rey-Hits "West Coast" geglückt ist.

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(Foto: DPA)

Für alle, die sich nicht mehr ganz sicher sind: Jerry Lee Lewis lebt. Der Rock'n'Roll-König der Fünfziger und letzte Überlebende des "Million Dollar Quartet" (zu dem außerdem drei Männer namens Johnny Cash, Elvis Presley und Carl Perkins gehörten) tritt sogar noch gelegentlich auf. Wenn auch mit leicht schwankender Form. Sei's drum. Der "Killer" sitzt noch am Klavier. Ein knappes Jahr vor dem 80. Geburtstag am 29. September 2015 erscheint in diesen Tagen von Rick Bragg die autorisierte Biografie "Jerry Lee Lewis - His Own Story". Wer wissen will, wie groß und wahnsinnig man sich diesen Künstler vorstellen muss, der lese dieses Buch: "Joe Fowlkes, ein Anwalt aus Tennessee erzählt gerne von den mittleren Achtzigern, als er davon hörte, dass Lewis Vier-Stunden-Shows spielte, ohne Pause: ,Wir haben ihn dann in irgendeinem Schuppen in Nashville erlebt.' Er sah etwas heruntergekommen und blass aus, als er auf die Bühne kam, und fing eher langsam an (. . .). Aber er spielte und spielte und spielte (. . .). Und nach einer Weile hatte er wieder Farbe im Gesicht. Um halb drei Uhr morgens sah er dann wieder richtig gut aus. Er spielte jeden Song, den ich jemals gehört hatte, inklusive "Jingle Bells" und dem "Easter Bunny Song". Im Juli. Es war das beste Konzert, auf dem ich je war. Und ich habe Elvis live gesehen. Und James Brown."

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(Foto: N/A)

Am Freitag wird auch das neue, neunte Studio-Album der Fantastischen Vier, "Rekord" (Four Music/Sony), erscheinen. Pünktlich zum 25-jährigen Jubiläum. Ja, so lange gibt es jetzt schon deutsche Hip-Hop-Bands. Und auch wenn man nie so richtig glücklich wurde mit ihrer Rap-Kunst, die womöglich immer einen Tick zu sehr wie eine - allerdings wirklich gute - Parodie von ungelenkem deutschem Rap klang, muss man doch sagen, dass sie immer die lustigsten und selbstironischen deutschen Pop-Superstars gewesen sind. Deswegen soll hier jetzt auch nicht lange am neuen, etwas ereignislosen Album herumgenörgelt werden. Allen Fans wird es gefallen. Allen anderen sei mindestens der Anfang des Videos zur neuen Single "Und los" empfohlen: Wie Smudo da mit Sonnenbrille und Stirnband einen Selbstoptimierungs-Guru des "F4 Institute Amen Islands - 0180-444 444 4" gibt, ist ganz, ganz, ganz große Klasse: "Wir haben ein Programm entwickelt - mit GANZ EINFACHEN Stufen - die man nur in der RICHTIGEN REIHENFOLGE machen muss - um auch SICH SELBST zu positivieren."

So viel zu den deutschen fantastischen Vier. Aber so kann diese Kolumne natürlich noch nicht enden. Enden soll sie mit einer unterschätzten, unendlich rührenden, aber sehr seltenen Geste im Pop: Als die amerikanische Seventies-Stoner-Rock-Band Pontiak in der vergangenen Woche ihr großartiges Konzert im feinen kleinen Münchner Klub Milla beendet hatte, weil die drei Jungs wirklich einfach keine Kraft mehr hatten, da gingen sie von der Bühne ins Publikum und gaben einfach jedem, also JEDEM Zuschauer erschöpft, aber überaus freundlich die Hand.

© SZ vom 22. Oktober 20114 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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