Deutscher Alltag:Westerwelles Nähe zu James Dean

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Guido Westerwelles Besuch in der Türkei wäre nicht weiter erstaunlich gewesen, wenn er nicht ein pikantes Detail im Gesicht gehabt hätte.

Kurt Kister

Auch in München, einer wenig überraschenden Stadt, erlebt man hin und wieder Überraschungen. In der Sendlinger Straße zum Beispiel gibt es Buchläden, Klamottengeschäfte, Krimskrams-Buden und einen Beate-Uhse-Laden. Neulich traten am hellen Nachmittag zwei arabische Damen aus dem Laden, die rabengleich in schwarze Ganzkörper-Schleier gehüllt waren.

Unerwartetes unter der Bosporus-Brücke: Außenminister Westerwelle mit James Dean - Gedächtnisbrille. (Foto: dpa)

Nun mag es sein, dass man die Raben im Sexladen in erster Linie wegen seiner eigenen Vorurteile für eine Überraschung hält. Verhüllung muss ja nicht Sinnenfeindlichkeit bedeuten, sondern hat mutmaßlich mehr mit dem Possessivdenken sonderbarer Männer zu tun als mit der Weltabwendung der verborgenen Frauen. Warum sollte die Vize-Emiressa ihren Vize-Emir, selbst wenn der gendermäßig ein Depp ist, nicht mit Strapsen unter der Burka erfreuen?

Überraschung stellt sich grundsätzlich dann ein, wenn man etwas oder jemanden an einem Ort oder unter Umständen sieht, wie man das nicht erwartet hätte. Jüngst war Guido Westerwelle wieder einmal in der Türkei. Das allein ist nicht überraschend, denn einerseits ist Westerwelle nominell Außenminister, und andererseits ist die Türkei eindeutig Ausland. Ein Außenminister im Ausland ist keine Überraschung, nicht einmal, wenn er Westerwelle heißt.

Allerdings trug Westerwelle bei der Befahrung des Bosporus eine Sonnenbrille. Eigentlich wäre auch das nicht weiter ungewöhnlich, hätte es sich nicht um eine Aufstecksonnenbrille gehandelt. Dieses optische Hilfsmittel kam in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts in Gebrauch. Soldaten des Afrikakorps, Bergsteiger und andere Reisende schoben über ihre eigentliche Brille ein Gestell mit zwei zumeist aus Plastik bestehenden dunklen Guckschalen.

Die Aufstecksonnenbrille ermöglichte dem kurzsichtigen Onkel in jener Zeit, als er noch Vespa fuhr, weil er sich kein Auto leisten konnte, sowohl Blendschutz als auch eine gewisse Nähe zu James Dean. Dann aber verunglückte James Dean, der Onkel sattelte auf VW-Käfer um, und die Optiker brachten die preiswerte geschliffene Sonnenbrille für Sehschwache auf den Markt.

Die Aufstecksonnenbrille, mit der man im Krieg Tobruk und danach den Strand von Rimini erobert hatte, wurde auf die rote Liste der gefährdeten Arten gesetzt. Hin und wieder sah man sie noch bei älteren Busreisenden, die sie auch gerne im 90-Grad-Winkel aufgeklappt trugen. Vielleicht ist Westerwelles Aufstecksonnenbrille ein Signal für die konservative Stammwählerschaft der CDU: Noch ist die Koalition nicht verloren. Demnächst wird der Minister in Amerika Gamaschen tragen.

© SZ vom 07.08./08.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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